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# taz.de -- Urwahl der Grünen: Die Protestantin und der Vegetarier
> Katrin Göring-Eckardts Neuer ist der „anatolische Schwabe“ Cem Özdemir.
> Großer Gewinner ist der Norddeutsche Robert Habeck.
Bild: Der knappe Vorsprung war nicht zum Heulen, zum Lachen hat er aber auch ni…
Als Cem Özdemir am Mittwoch um kurz nach 13 Uhr gemeinsam mit Katrin
Göring-Eckardt in Berlin vor die Presse tritt, verzichtet der grüne
Parteivorsitzende und frischgebackene Spitzenkandidat auf jegliche
Siegerpose. Er lächelt, aber es ist ein angespanntes Lächeln. „Mir bedeutet
es viel, dass ich hier jetzt stehen kann“, sagt er.
Es hat nicht viel gefehlt, dann hätte jemand anderes an der Stelle des
51-jährigen Politikers gestanden. Knapp 59 Prozent der rund 60.800 grünen
Mitglieder haben sich an der Kür der Spitzenkandidaten beteiligt – und sie
machten es spannender als erwartet.
Erst als am frühen Mittwochmorgen alle 33.935 Stimmen ausgezählt sind,
steht fest, dass Özdemirs Herausforderer Robert Habeck knapp an der
Sensation vorbeigeschrammt ist: Mit 35,74 Prozent hat der Außenseiter aus
dem hohen Norden [1][nur ganze 75 Stimmen weniger] geholt als der Favorit
aus der Parteizentrale, der 35,96 Prozent gewinnen konnte.
Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter landete mit 26,19 Prozent
abgeschlagen auf dem dritten Platz.
Die Kofraktionsvorsitzende Göring-Eckardt, die sich ohne Gegenkandidatin um
den Frauenplatz in dem Spitzenduo beworben hatte, kam auf 70,63 Prozent. Er
freue sich auf den Wahlkampf, sagt Özdemir. Gemeinsam mit Göring-Eckardt
werde er die Partei „führen und einen“. Zentrale Themen seien der
Klimaschutz, dass Eintreten für eine ökologische Modernisierung und für
Weltoffenheit.
## Kein Triumph
Mit dem „anatolischen Schwaben“ und der „bürgerlichen Ostdeutschen“ we…
erstmalig zwei VertreterInnen des Realo-Lagers die Grünen in den
Bundestagswahlkampf führen. Sie würden sich beide „ganz gut ergänzen“, s…
Göring-Eckardt. „Ich bin Protestantin, er ist Vegetarier“, flachst sie.
Beide zeigen sich bemüht, ihren Triumph nicht allzu sehr auszukosten.
Özdemir versichert, aus der Urwahl sei „niemand als Verlierer
hervorgegangen“. Habeck und Hofreiter seien „sehr stark, sehr kompetent,
klasse Politiker“. Beide würden gebraucht. Sie wollten die Partei „in der
ganzen Breite mitnehmen“, sagt Özdemir.
Gleichwohl ist der Ausgang der Urwahl für den linken Parteiflügel bitter.
Dass sein Kandidat nur gerade mal etwas mehr als ein Viertel der Stimmen
auf sich vereinigen konnte, kommt einem Desaster gleich – zumal die
Parteilinke schon auf eine eigene Kandidatin für den Frauenplatz verzichtet
hatte. Dabei ist das Kalkül der linken Strategen aufgegangen: dass sich die
Stimmen des Realo-Lagers zwischen Özdemir und Habeck aufteilen. Dumm nur,
dass Hofreiter nicht als lachender Dritter profitieren kann. Offenkundig
hat die grüne Basis eine Richtungsentscheidung getroffen.
Hofreiter schlechtes Abschneiden ist auch Ausdruck der Krise der
Parteilinken, die sich nicht mehr auf Augenhöhe mit den Realos befindet.
Damit steht jedoch nicht nur bei der Spitzenkandidatur die informelle
Vereinbarung zur Disposition, Doppelspitzen paritätisch mit Vertretern
beider Lager zu besetzen.
## Wahlkampf gegen grünes „Establishment“
Für die Parteilinke dürften harte Zeiten anbrechen, zumal sich zum Ende der
Legislaturperiode auch noch mit Hans-Christian Ströbele, Volker Beck und
Bärbel Höhn drei starke Persönlichkeiten in der grünen Bundestagsfraktion
verabschieden werden.
Der große Gewinner der Urwahl ist hingegen Robert Habeck. Sein
parteiinterner Wahlkampf gegen das grüne „Establishment“ ist auf
bemerkenswert großen Zuspruch gestoßen. Sein Ergebnis sei ein „eindeutiger
Hinweis, dass er eine bestimmende Rolle in der Partei spielen wird“, sagt
Özdemir, der sich Habeck gut als seinen Nachfolger im Parteivorsitz
vorstellen könnte.
[2][Auf Facebook bedankte sich Habeck] bei „allen von ganzem Herzen, die
mir ihre Stimme gegeben haben, die mich in den letzten zwei Jahren
unterstützt haben, mit Rat und so häufig auch mit Tat“. Gleichzeitig
gratulierte er Göring-Eckardt und Özdemir und sichert ihnen seine volle
Unterstützung zu. Ob der schleswig-holsteinische Umweltminister jetzt
selbst nach Berlin wechselt, ließ er allerdings zunächst offen. Auf der
Liste seines Landesverbands gibt es nur einen aussichtsreichen Männerplatz.
Über den würde gern wieder der Innenpolitiker Konstantin von Notz in den
Bundestag einziehen. So ist es gut möglich, dass Habeck lieber Minister in
Kiel bleibt.
Weder Göring-Eckardt noch Özdemir wollen ihre Wahl als Vorentscheidung für
eine mögliche Koalition nach der Bundestagswahl gewertet wissen. Es sei
„nicht mehr so wichtig“ mit wem die Partei koaliere, sagt Göring-Eckardt.
Entscheidend sei nur, wie viel Grünes durchsetzbar sei. „Es gibt die
natürlichen Koalitionsoptionen nicht mehr“, sagt Özdemir.
18 Jan 2017
## LINKS
[1] /Kommentar-Urwahl-der-Gruenen/!5376050
[2] https://www.facebook.com/habeckrobert/posts/1819152598344833
## AUTOREN
Pascal Beucker
## TAGS
Realos
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