| # taz.de -- Kommentar Grüne in Deutschland: Die Beilagen-Partei | |
| > Wer die Grünen sind, ist mit der Entscheidung für Göring-Eckardt und | |
| > Özdemir geklärt. Doch was die Partei anzubieten hat, ist völlig unklar. | |
| Bild: Ein Selfie geht immer: Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt | |
| Immerhin weiß man jetzt, wer die Grünen sind. [1][Deren Mitglieder haben | |
| zwei realogrüne Politprofis zu Spitzenkandidaten gewählt]. Katrin | |
| Göring-Eckardt und Cem Özdemir sind überdies zwei, die sich in | |
| Regierungsverantwortung auch mal schmutzig machen würden. Die Basis wusste | |
| das. Die Basis wollte das. Die Basis war Boss. Auf diese Weise | |
| charakterisiert die Urwahl auch die Mehrheit der Mitglieder: Bürgerlich, | |
| kompromisslerisch und dickfellig. | |
| Die Republik ist gerade ein Reizraum voll schriller Klingeltöne. Da haben | |
| die Grünen – keine Ironie, wir kommen noch zu den Problemen – zwei starke | |
| Leute im Angebot. | |
| Göring-Eckardt und Özdemir. Eine Ostdeutsche und der Sohn einer | |
| Einwandererfamilie. Dies ist ein besonderer Umstand in einer Zeit, in der | |
| Ostdeutschland aufgerührt und Integration ein Riesenthema ist. Die | |
| Besonderheit besteht auch darin, dass bei den Grünen Einwanderer und | |
| Ostdeutsche kaum eine Rolle spielen. Umso erstaunlicher, dass diese beiden | |
| sich durchgesetzt haben. Göring-Eckardt, die kühle Neunundachzigerin und | |
| Cem Özdemir, den die Partei selbst immer wieder zum Außenseiter gemacht | |
| hatte. Es spricht für die Grünen zwischen Tübingen und Göttingen, dass sie | |
| zwei wählen, die aus anderen Milieus kommen als sie selbst. | |
| Allein: Was die Grünen anzubieten haben, ist unklarer denn je. Wofür stehen | |
| sie? Was setzen sie auf die Agenda? Was wollen sie überhaupt? Schwarz-Grün | |
| oder Rot-Rot-Grün – als Neun-Prozent-Partei ohne Thema können sie beides | |
| vergessen. Woche für Woche geht es in nervtötender Weise darum, ob die | |
| Grünen dieses begrüßen oder jenes verurteilen. Bisweilen sind sie – | |
| Höchststrafe – auch offen für Gespräche. Sie sind zu Deutschlands | |
| Was-sagen-die-dazu?-Partei geworden. Wenn man sich eine politische Debatte | |
| als Tellergericht vorstellt, dann sind die Grünen bestenfalls die Beilage. | |
| Es war mal anders. Waldsterben, Abrüstung, Atomausstieg. Die Grünen machten | |
| Themen groß. Die anderen mussten sich dazu verhalten. Selbst in der | |
| Regierung etablierten die Grünen ein neues Thema, an dem niemand vorbeikam: | |
| Renate Künasts Agrarwende. | |
| ## Anämische Rolle | |
| Heute regieren die Grünen auch. In elf Bundesländern. Hängen bleibt, dass | |
| sie im Bundesrat mal etwas mitmachen und – seltener – mal etwas blockieren. | |
| Regierung oder Opposition – die Rolle bleibt anämisch: Was sagen die dazu? | |
| Die Linksgrünen, die gern behaupten die Inhalte zu haben, mit denen alles | |
| gut wird, haben keine Mehrheit. Und keine Angebote, die Wähler_innen | |
| ziehen. | |
| Es stimmt ja: Reiche gehören härter besteuert in Deutschland. Die | |
| Ungerechtigkeit stinkt. Aber die Grünen sind in Fragen der | |
| Steuergerechtigkeit eben eine Zwischengröße, irgendwo zwischen SPD und | |
| Linkspartei. Und strategisch betrachtet ist Umverteilung nicht das Thema, | |
| das das große grüne Wählerpotenzial der Bio-Bohemiens bindet. Eher schwappt | |
| ihnen vor Schreck der Barolo über. | |
| Und die Agrarwende? Ist nötig und wichtig. Sie berührt den Alltag. Aber das | |
| Thema, das die Grünen in den vergangen Jahren durchaus gepflegt haben, hat | |
| keine Konjunktur. Es wird verdrängt vom Streit um Flüchtlinge, der Debatte | |
| um den Antiterrorkampf und der Sorge um die demokratiefeindlichen | |
| Bewegungen. | |
| ## Gefahr des Stillstands | |
| Vielleicht könnte das einzigartige Angebot der Grünen in der Synthese von | |
| Energie- und Außenpolitik bestehen: Weg vom Öl, das die Kriegstreiber stark | |
| macht und den Klimaschutz schwach. Robert Habeck, bei der Urwahl der | |
| Zweitplatzierte knapp hinter Özdemir, hat das erkannt. Er könnte Nachhilfe | |
| geben. Öl ist ein großes Thema. Oder Migration. Vielleicht ist Özdemir auch | |
| der Mann, der beantwortet, wie die Geschichte der Flüchtlinge jetzt | |
| weitergeht. Denn die Integrationspolitik verliert sich gerade irgendwo | |
| zwischen Residenzpflicht und Billigpraktika. | |
| Aber die Gefahr besteht, dass die Grünen trotz der Urwahl gefangen bleiben. | |
| Dass sie sich auf ewig vertagen in innerparteilichen | |
| Koalitionsverhandlungen. Auch eine Minderheit werden Göring-Eckardt und | |
| Özdemir einbinden müssen, und die Linksgrünen werden empfindlich sein wie | |
| nie. Gerade weil sie so dramatisch verloren haben. Doch wer ist da | |
| überhaupt noch? Anton Hofreiter steht nach seiner Niederlage bei der Urwahl | |
| niedrig im Kurs. Mit Simone Peter plant niemand mehr. Dafür sprengt die | |
| Aktie Trittin die Charts. Er wäre gern Teil der Antwort auf die Wer-Frage. | |
| Aber die Was-Frage beantwortet auch Jürgen Trittin nicht. [2][Neulich | |
| erschien im Spiegel ein Porträt über ihn]. In Gegenwart des Journalisten | |
| regte er sich auf, wie die Grünen den Präsidentschaftskandidaten Steinmeier | |
| kommentieren. Als ob Politik aus Presserklärungen bestünde. Aus | |
| Sprachregelungen. Aus einem ewigen Was-sagen-die-dazu. Good night and good | |
| luck. | |
| 20 Jan 2017 | |
| ## LINKS | |
| [1] /!5372843 | |
| [2] http://www.spiegel.de/spiegel/juergen-trittin-der-gruene-scheinriese-mit-br… | |
| ## AUTOREN | |
| Georg Löwisch | |
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