Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Karriere der Katrin Göring-Eckardt: Ohne Whisky könnt's schwe…
> Kann eine Politikerin auf das Unerwartbare, Unbekümmerte verzichten? Die
> Grünen-Spitzenkandidatin riskiert nichts.
Bild: Katrin Göring-Eckhardt kann diesen Wahlkampf mehr genießen als den letz…
Die Politikerin Katrin Göring-Eckardt trinkt keinen Whisky mehr. Bourbon,
Scotch, egal, schon ein Hauch davon stößt sie ab, sagt sie. Whisky geht
nicht mehr seit jenem Spätsommertag 1999. Da fuhr sie ihren orangefarbenen
Twingo vor ihr Haus in Ingersleben in Thüringen, es war noch hell. Sie ging
rein, nahm die Flasche und trank drei Viertel aus. Warum, das kommt später.
Wichtiger ist erst einmal, dass dieser Spätsommertag den politischen Weg
Göring-Eckardts in ein Vorher und ein Nachher teilt. Vorher brach sie
unbekümmert in die Welt der Politik auf, zu den Demos der Wendezeit, ins
neu gegründete Bündnis 90 und später in den Bonner Bundestag. Das Vorher
war ein Abenteuer. Das Nachher ist eine Karriere.
Sie ergriff Chancen, wenn sie gut waren. Als der grüne Patriarch Joschka
Fischer sie 2002 anrief, um sie im Paket mit der erfahrenen Krista Sager
zur Fraktionschefin im Bundestag zu machen. Als sie sich nach dem Ende von
Rot-Grün den Prestigeposten holte: Vizepräsidentin des Parlaments. Oder
als ihr der Vorsitz der EKD-Synode angetragen wurde, das höchste Laienamt
der evangelischen Kirchenhierarchie.
Dann, 2012, als sie vor einer Grünen-Urwahl erkannte, dass es keine klare
Favoritin des Realoflügels gab und sie auf diesem Ticket ins Rennen
ging, um ihre innerparteiliche Macht zu stärken. Sie gewann sogar. Sie
wurde Spitzenkandidatin für die Wahl 2013, an der Seite von Jürgen Trittin,
und als die zwei verloren, erklärte sie, die Grünen könnten sich „gemeinsam
rausarbeiten“, was am Ende hieß: mit ihr als Fraktionschefin.
## Die musst du rausschmeißen
Diese Karriere hat, vielleicht haben Sie das gerade beim Lesen ein bisschen
gedacht, etwas Langweiliges. Katrin Göring-Eckardt strebt aufwärts,
durchdenkt viel, improvisiert wenig. Und das führt zur Frage, ob eine
Politikerin, die spitze sein will, nicht auch das Unerwartbare braucht, das
Unkalkulierbare und Unbekümmerte. Ob es reicht, eine planungs- und
nervenstarke Königin der Kühle zu sein. Oder ob Politik nicht auch darin
besteht, eine Meisterin des Momentums zu werden, die alle überraschen kann,
sogar sich selbst.
Genau wie an diesem Spätsommertag 1999. Rot-Grün regierte damals fast ein
Jahr. Göring-Eckardt, eine Grünen-Abgeordnete von 33 Jahren, wurde
rentenpolitische Sprecherin. Sie arbeitete sich hinein in die Formeln und
Prognosen der Rente. Als sie durch war, tippte sie ein Zehnpunktepapier und
schickte es an zehn Grünen-Abgeordnete: Liebe Kollegen, wie findet ihr das?
Einer der zehn fand das Papier so genial, dass er es gleich der
Nachrichtenagentur Reuters steckte. Reuters tickerte los: Die Grünen wollen
das Rentenniveau senken. Die Grünen wollen das Rentensystem ändern. Die
Grünen wollen etwas völlig anderes, als es der Koalitionspartner SPD
versprochen hat.
Die musst du rausschmeißen, forderte Gerhard Schröder von Joschka Fischer.
Die musst du rausschmeißen, verlangte Joschka Fischer von Rezzo Schlauch,
dem Grünen-Fraktionschef.
Die Grünen hatten für diesen Tag eine Klausur in Weimar anberaumt. Mit
Aplomb wollten sie ein energiepolitisches Konzept verabschieden. Aber
darüber redete niemand mehr. Es wurde in die Telefone gewispert und
gebrüllt, geraunt und gedroht. „Rente regt auf“, sagt Andrea Fischer, die
damalige grüne Gesundheitsministerin. „Heute nennt man so was Shitstorm.“
## Plötzlich war sie wer
Allerdings gab es damals noch kein Twitter, kaum SMS, und Katrin
Göring-Eckardt rief keiner an, sie ahnte nichts. Sie tingelte in ihrem
Twingo nach Weimar zur Grünen-Klausur. Erst als die Kameraleute auf sie
zustürmten, kapierte sie, was los war. Aber sie stand zu ihrem Papier.
Rezzo Schlauch verteidigte sie, die Fraktionsklausur beschloss die Hälfte
ihrer Vorschläge, und hinterher kannten eine Menge mehr Leute die Frau aus
Thüringen. Sie war wer.
Eigentlich keine schlechte Nummer, oder? Aber Göring-Eckhardt hat das
anders abgespeichert. „Ich krieg immer noch Beklemmungen, wenn ich daran
denke. Das war ein Granatenfehler, den man als Politikerin nur einmal
macht“, sagt sie. „So was kann gut- oder auch schiefgehen. Heute sage ich
den jüngeren Kolleginnen: Ihr könnt Papiere schreiben, aber überlegt euch
gut, was ihr damit macht.“
Das ist ihr Ideal: vorbereiten und einfädeln, absichern und abhaken. Sie
sagt gern: etwas ordentlich machen. Und dann glänzen.
Sie fährt im Intercity nach Leipzig, es geht zu Wahlkampfterminen, sie
trägt bequeme Sneakers, vor sich hat sie eine Büchse mit Pausenbroten und
geschnittener Paprika, der Pressesprecher und eine Mitarbeiterin gehen die
Termine durch. Der Schaffner verkündet über den Lautsprecher, dass in den
nächsten Tagen aufgrund von Bauarbeiten die Züge auf dieser Strecke mal
früher und mal später fahren könnten, und Göring-Eckardt lächelt darüber.
Alles läuft normal, es ist schon auch eine höchst beruhigende Szene in
einer Zeit, in der Trump-Tweets und Erdoğan-Eruptionen den politischen
Alltag heiß laufen lassen.
## Eine grüne Angela
Göring-Eckardt sagt: „Politik ist keine Mutprobe, sie braucht aber Mut zur
Veränderung. Wir durchdenken, was wir machen. Mutig sein heißt, einen
klaren Plan zu haben und den auch gegen Widerstände durchzuziehen.“
Vielleicht wäre vieles anders gekommen, wenn diese Frau mehr riskiert
hätte. 2005 zum Beispiel, als Schröder Neuwahlen ankündigte und Joschka
Fischer ihm die Treue hielt: Sie hätte den schnellen Generationenwechsel
fordern können, stattdessen ordnete sie sich ein und redete von
Generationengerechtigkeit.
So hielt sie es auch nach der verlorenen Wahl, sie lehnte sich nicht gegen
die Alten auf: Trittin, Roth, Bütikofer, Künast und Kuhn, eine
Fünferkombination, die wegen der Ränkespiele als „Pentagramm des Grauens“
in die Parteigeschichte einging. Immer gab es Gründe, dass Göring-Eckhardt
mitspielte, aber es ist eben auch typisch für sie, dass sie nie unbekümmert
losschlägt.
Manche behaupten, sie sei eine Variante von Merkel, eine grüne Angela, die
alles berechne, statt etwas zu riskieren. Aber der Vergleich ist schief,
weil Merkel in manchen Lagen voll ins Risiko geht: nach der Atomkatastrophe
von Fukushima zum Beispiel, als sie Jahrzehnte Energiepolitik der Union in
wenigen Augenblicken umkehrte. Oder als sie den in der Spendenaffäre
angeschlagenen Helmut Kohl in einem FAZ-Artikel angriff und so den Weg für
ihren eigenen Aufstieg frei räumte. Das ist Politik.
## Als liege das Temperament auf Eis
Göring-Eckardt attackiert nur, wenn sie die Folgen schon kennt. Im Sommer
2016 verlangte sie den Rücktritt des Bundesinnenministers, als dieser
behauptete, vor Abschiebungen würden 70 Prozent der Männer unter 40 durch
Atteste bewahrt: eine Zahl, die er durch nichts belegen konnte. Dass
Göring-Eckardt da hinlangte, war für ihre Verhältnisse fast ungewöhnlich
und passte doch zu ihr, denn die Aktion des Ministers war so eindeutig ein
Skandal – nach einer Reihe anderer Eskapaden.
Jetzt, 2017, gestaltet sie den Wahlkampf so, wie sie ihn mag. Kurz nach
zehn Uhr morgens sitzt sie in einem Fernsehstudio in Berlin-Mitte, wo ein
Moderator und eine Moderatorin von Phoenix sie fast eine Stunde lang
befragen. Am Anfang hält sie sich noch ein bisschen am Tisch fest, aber
dann spielt sie, ganz Profi, mit den Händen. Handflächen geöffnet,
Handflächen auf den Tisch; Finger gespreizt, Finger geschlossen. Handkanten
vor, zack, zack, zack, gegen Braunkohle, gegen Stickoxide, gegen Läusegift
in Eiern. Hände zum versöhnlichen Kreis geformt, ermöglichen, ermöglichen,
ermöglichen.
Göring-Eckhardt mag diese Kampagne viel mehr als die von 2013. Sie
beherrscht jetzt die Umweltthemen selbst. Cem Özdemir dominiert das
Spitzenduo nicht annähernd so wie Jürgen Trittin. Es wabert kein Veggieday
durch die Medien. Das Steuerkonzept schockt niemanden. Die Braunkohle wird
ordentlich bekämpft. Es läuft professionell, nichts geht schief, aber im
Grunde passiert auch nichts – als liege das Temperament dieser Partei auf
Eis.
## Eins dieser schrecklichen Risiken
Sie prägt die Kampagne. Sie soll auf ihre Weise funktionieren. „Das ist
jetzt mein Wahlkampf, mein Baby. Das kann schiefgehen, das kann gutgehen.“
Es kann schiefgehen. Der Wenig-Wagnis-Wahlkampf der Grünen wird in Umfragen
zurzeit bestraft, sie rangieren auf dem letzten Platz unter den
Bundestagsparteien – und hinter AfD und FDP. Von 10 Prozent ist schon lange
nicht mehr die Rede. Göring-Eckardt muss wenigstens die 8 Prozent vom
letzten Mal holen, und je mieser das Ergebnis, desto mehr braucht sie eine
Regierungsbeteiligung, um ihre Karriere zu retten, auf Deutsch:
Schwarz-Grün.
Aber, Sie ahnen es schon, nicht mal das erklärt sie offen. Ach, woher denn:
So eine Aussage wäre ja wieder eines dieser schrecklichen Risiken.
Vielleicht ist es so: Eine, die andauernd Risiken verkleinert, riskiert am
Ende alles. Die ganzen minimierten Risiken türmen sich irgendwo auf und
brechen am Ende alle auf einmal über sie herein. Denn darauf kann es
hinauslaufen: Vizekanzlerin oder raus. Wenn es nicht reicht, wird’s schwer,
jedenfalls ohne Whisky.
15 Sep 2017
## AUTOREN
Georg Löwisch
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Cem Özdemir
Grüne
Jürgen Trittin
Katrin Göring-Eckardt
Schwerpunkt Abtreibung
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Lesestück Interview
Realos
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grüne über Abtreibungsdebatte: „Strafe schreckt ab“
Der Paragraf 218 stellt Abtreibungen unter Strafe. Die Bundestagskandidatin
der Bremer Grünen, Kirsten Kappert-Gonther, will ihn abschaffen.
Parteitag der Grünen: Klima „first“
Raus aus der Kohle – das ist die Forderung der Grünen, die auf dem
Parteitag bekräftigt wurde. Auch die „Ehe für alle“ soll vorangebracht
werden.
Robert Habeck über die Grünen: „Nicht immer gegen was. Für!“
Umfragetief? Rechte Gegner? Seine Partei müsse sich wieder Idealismus
trauen. Aber nicht abstrakt, sondern konkret, „so, dass man es versteht“.
Urwahl der Grünen: Die Protestantin und der Vegetarier
Katrin Göring-Eckardts Neuer ist der „anatolische Schwabe“ Cem Özdemir.
Großer Gewinner ist der Norddeutsche Robert Habeck.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.