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# taz.de -- Analyse Rot-Rot-Grün in Berlin I: Wozu eine linke Regierung?
> Der Koalitionsvertrag steht. Doch was steht drin? Und wer wird davon
> profitieren? Die taz macht den Fakten-Check. Teil 1: Soziales, Migration
> und Bildung.
Bild: Die drei ChefunterhändlerInnen von Rot-Rot-Grün: Ramona Pop, Michael M�…
## SOZIALES: Ein Zeichen in Richtung der Armen
Fast jeder Sechste lebt in Berlin von Hartz IV. Wer, wenn nicht eine
rot-rot-grüne Koalition, sollte sich der Menschen annehmen, an denen der
wirtschaftliche Aufschwung vorbeigeht? Nun kann ein Land nicht die
Hartz-IV-Regelsätze anheben. Deshalb versucht Rot-Rot-Grün, an kleineren
Stellschrauben zu drehen: So sollen Schuldnerberatungsstellen und die
Wohnungslosenhilfe gestärkt werden, Mobilitätsdienste für Behinderte und
Stadtteilmütter will man absichern.
Eines der Lieblingsprojekte der Linken während der rot-roten Regierungszeit
bis 2011 war die öffentlich geförderte Beschäftigung Langzeitarbeitsloser.
Ein ähnliches Vorhaben wird es mit Rot-Rot-Grün vorerst nicht geben. Für
die Finanzierung fehlten derzeit entsprechende Arbeitsmarktprogramme auf
Bundesebene, sagt Elke Breitenbach, die für die Linke als Sozialsenatorin
gehandelt wird.
Dafür will Rot-Rot-Grün aber die Mietrichtwerte für Arbeitslose und
Sozialhilfeempfänger erhöhen. Für einen Singlehaushalt übernimmt das Amt
derzeit eine Bruttokaltmiete von 365 Euro, für vier Personen 587 Euro. Ist
die Miete höher, müssen die Betreffenden die Differenz aus ihrem Regelsatz
bestreiten. Das betrifft immer mehr Menschen: Von 302.000 Haushalten, die
von Hartz IV leben, liegen derzeit 126.000 über den Richtwerten, doppelt so
viele wie vor drei Jahren. Die Koalition will nun die Berechnungsgrundlage
der Richtwerte ändern und dabei nicht mehr nur die einfachen Wohnlagen des
Mietspiegels, sondern auch mittlere Wohnlagen berücksichtigen.
Das wäre vielleicht nicht der ganz große sozialpolitische Wurf, aber doch
ein wichtiges Zeichen: Die neue Regierung hat einen Sinn für die
Bedürfnisse von Arbeitslosen und SozialhilfeempfängerInnen. Allerdings muss
sich erst noch zeigen, ob eine solche Neuregelung auch Bestand hätte: Laut
einem Urteil des Bundessozialgerichts von 2010 sollen für die Berechnung
der Hartz-IV-Mieten die Verhältnisse des einfachen Wohnungsstandards
herangezogen werden. Antje Lang-Lendorff
## MIGRATION: Mehr Humanität, weniger Härte
Ganz klar: Das Kapitel „Metropole Berlin – Weltoffen, vielfältig, gerecht�…
des Koalitionsvertrags, das sich den Themen Migration und Integration
widmet, durchzieht ein im besten Sinne des Wortes liberaler Geist, den man
in den vergangenen Jahren oft schmerzlich vermisst hat.
Zum Beispiel beim Thema Aufenthaltsrecht. Hier muss Rot-Rot-Grün das Rad
nicht neu erfinden – das kann die Koalition auch nicht, weil vieles
Bundesrecht ist. Aber spürbare Verbesserungen für nicht wenige Geflüchtete,
etwa die vom Oranienplatz, dürfte es in der Tat bringen, wenn bestehende
rechtliche Möglichkeiten „unter humanitären Gesichtspunkten ausgeschöpft“
werden, um Aufenthaltstitel zu erteilen oder zu verlängern. Die bislang
CDU-geführte Ausländerbehörde legte die Gesetze eher restriktiv und im
Sinne einer Zuwanderungverhinderungspolitik aus.
Nun soll eben dieses Amt „in Richtung einer Willkommensbehörde entwickelt
werden“, wie die Geschäftsführerin der Linkspartei, Katina Schubert,
erklärt. Das klingt hochtrabend, wird aber untermauert dadurch, dass eine
ExpertInnenkommission die Verfahrenshinweise überarbeiten soll, nach denen
die Mitarbeiter der Behörde etwa über Abschiebungen, Visaverlängerungen und
Aufenthaltstitel entscheiden. Auch die Richtlinien der Härtefallkommission
sollen in einem „großzügigen“ und „wohlwollenden“ Sinne verändert we…
Nichtsdestotrotz wird auch Rot-Rot-Grün Geflüchtete abschieben, wie
Grünen-Chefin Bettina Jarrasch bei der Präsentation der Ergebnisse des
Fachbereichs Anfang November betont hatte. Aber: „An die Stelle einer
reinen Abschiebepolitik soll die Förderung einer unterstützten Rückkehr
treten“, besagt der Vertrag. Bestehende Rückkehrerprogramme des Bundes
sollen mehr genutzt, „bei Bedarf durch ein Landesprogramm verstärkt“
werden. Zudem soll es keine Abschiebungen aus Schulen, Jugendeinrichtungen
und Krankenhäusern mehr geben. Unter CDU-Innensenator Frank Henkel war dies
zuletzt vermehrt vorgekommen.
„Wir wollen aus dem Wettbewerb der Bundesländer, wer mehr abschiebt,
aussteigen“, sagt Schubert. So soll es laut Vertrag Abschiebungen „in
Regionen, in die Rückführungen aus humanitären Grünen nicht tragbar sind,
nicht mehr geben“. Dazu gehörten Abschiebungen „im Winter, in Regionen, wo
es null Infrastruktur gibt und null Chancen für die Menschen“, erklärt
Schubert.
Mit Erleichterung dürften Geflüchtete auch zur Kenntnis nehmen, dass
Rot-Rot-Grün den Familiennachzug erleichtern will, etwa über das
Landesprogramm für syrische Geflüchtete, das auf Iraker ausgeweitet wird.
Eine Bundesratsinitiative soll den Familiennachzug auch für Verwandte
zweiten Grades (etwa Eltern) möglich machen. Realisierungschance hier
allerdings: eher mau. Susanne Memarnia
## BILDUNG: Die Fallhöhe ist hoch
Es wird bildungspolitisch das linke Symbolprojekt der kommenden Legislatur:
freier Zugang zum Schulhort für alle Kinder, und ein Halbtagsplatz in der
Kita für jedeN DreijährigeN – ganz egal, ob die Eltern arbeiten gehen und
deshalb ein Betreuungsbedarf besteht oder nicht.
Die Zielgruppe: Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien sollen von
einer Förderung in Kita und Hort profitieren. Denn wer erwerbslos ist,
musste bisher einen Betreuungsplatz im Schulhort mühsam beantragen (was
kaum jemand tat), und hatte grundsätzlich nur Anspruch auf fünf Kitastunden
pro Tag – künftig sollen es sieben Stunden sein. Mehr Teilhabe und bessere
Bildungschancen für die vermeintlich Schwachen dieser Gesellschaft also:
Wozu hat man auch eine linke Regierung gewählt?!
Allerdings muss man hier abwarten, was haushälterisch möglich sein wird.
Zum Schulhort heißt es im Vertragswerk: „Die Koalition wird die räumlichen
und personellen Voraussetzungen dafür schaffen, die Bedarfsprüfung für die
Ganztagsbetreuung in der Grundschule in dieser Legislatur abzuschaffen.“
Der erste Halbsatz vor dem Komma ist der Entscheidende.
Zwar sprachen der Regierende Michael Müller (SPD), Linken-Landeschef Klaus
Lederer und Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop bei der Vorstellung des
Koalitionsvertrags am Mittwoch unisono von einer „Dekade der
Investitionen“. Doch nicht von ungefähr fehlt im Koalitionsvertrag ein
konkreter Zeitplan für die Abschaffung der Bedarfsprüfung. Denn bei der
Frage, wie die „personellen Voraussetzungen“ eigentlich geschaffen werden
sollen, bleibt Rot-Rot-Grün vage: Man wolle „die
Ausbildungsplatzkapazitäten“ erhöhen, heißt es lediglich. Das hatte auch
schon die bisherige SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres auf den Weg
gebracht, und das wird nicht reichen.
Schon jetzt ist der Betreuungsschlüssel mit einer ErzieherIn für 22 Kinder
in den Schulhorten schlecht. Nun sollen noch mehr Kinder länger in die Kita
gehen – und die bereits unter Rot-Schwarz beschlossenen Verbesserungen zum
Erzieherschlüssel sollen auch kommen. Das könnte eine Rechnung werden, die
sich am Ende nicht begleichen lässt.
Als Linke und Grüne noch Opposition waren, haben sie mantraartig
wiederholt: Bedarfsprüfung abschaffen, aber nicht ohne die
Betreuungsqualität zu verbessern. Gelingt ihnen nun die „Gute Kita für
Alle“, wie es im Vertrag heißt, und der freie Zugang zum Schulhort, dann
hätte Berlin ein bildungspolitisches Vorzeigeprojekt sozialer Teilhabe.
Echte linke Politik also, die was will. Entsprechend hoch ist die Fallhöhe.
Anna Klöpper
Der nächste Teil des taz-Checks morgen hier auf taz.de/berlin. Oder alle
Texte zu Rot-Rot-Grün in der Print-Wochenend-Ausgabe ab Samstag am Kiosk.
18 Nov 2016
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
Anna Klöpper
Susanne Memarnia
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