# taz.de -- Pädagogin über Ausgrenzung in Kitas: „Es ist wichtig, nicht ein… | |
> In Kitas kommen Kinder unterschiedlichster Herkunft zusammen. Immer | |
> wieder erleben schon Kleinkinder dabei auch Diskriminierung und | |
> Ausgrenzung. | |
Bild: Kitas sollten bunt und vielfältig sein – dafür müssen sich die Päda… | |
taz: Frau Wagner, in Berlin sahen sich vor Kurzem jüdische Eltern | |
veranlasst, ihre Kinder von der Kita zu nehmen, nachdem einige andere | |
Eltern nicht akzeptierten, dass deren Kinder nicht mit in die Kirche gehen | |
sollten. Erleben Sie das häufiger? | |
Petra Wagner: Das ist ein Beispiel unter vielen. Das Paradigma, „Die | |
Minderheit muss sich integrieren“ ist wahnsinnig verbreitet. Das bedeutet | |
auch immer, dass es zu Dominanzgebaren kommt. Einige nehmen für sich in | |
Anspruch, dass so, wie sie die Welt sehen, die einzig richtige Weise ist. | |
Es braucht eine Auseinandersetzung damit, was es bedeutet, wenn man offenen | |
Auges auf die Stimmen der „anderen“ verzichten. | |
Wie gehe ich als Mutter oder als Erzieherin mit den Vorurteilen um, die | |
andere Kinder aus ihrem Elternhaus mitbringen? | |
Ich erinnere mich an einen Fall: Ein Kind hatte in einem Atlas die | |
israelische Flagge entdeckt und mit einem dicken schwarzen Stift | |
ausgestrichen. Das Kind war aus einer palästinensischen Familie und die | |
Erzieherin stellte sich vor, dass in der Familie gegen Israel gehetzt wird. | |
Die Empörung darüber kriegte der 4-jährige Junge ab. Ihre Empörung erlaubte | |
es ihr nicht, unaufgeregt mit ihm darüber zu sprechen. Sie hätte auch sagen | |
können: Du weißt, was für eine Fahne das ist, das ist ja prima! Und warum | |
willst du die lieber ausstreichen? Also ein Gespräch mit ihm führen über | |
seine Beobachtungen und Vorstellungen. | |
Was kann die Kita in so einem Fall nationalistischer Erziehung | |
entgegensetzen? | |
Die Kinder sind ihren Eltern mehr verbunden als der Kita, ganz klar. Für | |
junge Kinder ist es auch wichtig, dass man nicht versucht, einen Keil | |
zwischen sie und ihre Familie zu treiben. In so einem Fall spricht man mit | |
den Eltern: „Ihr Kind äußert sich hasserfüllt gegenüber Juden oder | |
Israelis.“ Und tritt dann als Expertin für Kleinkindpädagogik auf und | |
erklärt, warum man das nicht gut findet. Dass man Kindern durch so eine | |
dogmatische Sichtweise auch etwas nimmt. Und in den frühen Jahren gehe es | |
doch darum, dass das Kind viel lernt, dass es seine Sinne öffnet. Die | |
Eltern für das gemeinsame Projekt, das Kind großzuziehen, gewinnen. | |
Inwieweit wir da etwas beeinflussen können, wissen wir nicht, aber wir | |
müssen es versuchen. | |
Sind die Eltern in der Regel offen für Ihren Ansatz? | |
Es gibt natürlich auch Eltern, die skeptisch sind. Als eine Kita einmal | |
Fasching vorurteilsbewusst gestalten wollte, gab es Widerstand. Gerade im | |
Fasching operiert man ja häufig und viel mit respektlosen Bezeichnungen und | |
Stereotypen. Da gibt es oft Abwehr: „Darf man denn gar nichts mehr sagen?!“ | |
Das zeigt natürlich auch ein Stück weit gruppenbezogene | |
Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft. | |
Sie bieten Fortbildungen für Kitateams an. Wie sensibilisieren Sie für | |
solche Probleme? | |
Wir müssen die Teams so stärken, dass sie in solchen Fällen Position | |
beziehen. Sie müssen die Gleichmacherei überwinden, wonach eine rechte, | |
auch extremistische Position eine anerkannte Position von vielen möglichen | |
ist. Das wird ja immer mehr in den Diskurs gebracht, dass die | |
Meinungsfreiheit alle Positionen umfasst, auch menschenverachtende. Die | |
Kitas müssen lernen zu sagen: Nein, das und das sind unsere Grundwerte, die | |
vertreten wir. Und hier in unserer Einrichtung dürfen Sie so etwas nicht | |
sagen. Die KollegInnen dürfen da nicht einknicken. | |
Wo ist die Grenze zwischen Einknicken und Tolerieren? | |
Wenn man einen Ort schaffen möchte, an dem verschiedene Einflüsse wirken, | |
kommt es häufig zu Konflikten. Und die müssen auch stattfinden, damit man | |
gemeinsam aushandeln kann, wie die Kultur in einer Einrichtung sein soll. | |
Ich erlebe da oft eine Ängstlichkeit bei den Verantwortlichen. Es braucht | |
aber eine Bejahung von Konflikten. | |
Und wenn sich ErzieherInnen einer gemeinsam vereinbarten Kultur verweigern? | |
Wenn wir mit unseren Inhalten in die Kitas kommen, gibt es immer wieder | |
ErzieherInnen, die dagegen sind. Einmal hatte eine Erzieherin gekündigt und | |
zu erkennen gegeben, dass sie eine Linie, die gegen Diskriminierung ist, | |
nicht mitträgt. Damit solche Positionen ans Licht kommen, braucht es im | |
Team die offene Auseinandersetzung über Diskriminierung und Unrecht. | |
Wie schafft man es, ErzieherInnen die nötige Sensibilität auch für subtile | |
Diskriminierungsformen, etwa Mobbing, nahezubringen? | |
Höchstwahrscheinlich sehen Erziehende bestimmte Formen der Verletzung oder | |
Ausgrenzung gar nicht, weil sie so weit weg davon sind. Dafür braucht es | |
nämlich eigentlich immer eine innere Anschlussfähigkeit, und wenn man | |
aktuell keine direkten Diskriminierungserfahrungen macht, ist das | |
schwierig. In unseren Fortbildungen machen wir Übungen, in denen | |
ErzieherInnen Situationen aus ihrer eigenen Kindheit erinnern, in denen sie | |
selbst einem unfairen oder diskriminierenden Verhalten ausgesetzt waren. Wo | |
sie sich ohnmächtig und schuldig gefühlt haben und nicht daran gedacht | |
haben, sich zu wehren. Das kennzeichnet auch die Wirksamkeit von | |
Diskriminierung: Dass das Opfer an sich zweifelt, anstatt an den | |
Verhältnissen. Eine basale Diskriminierung, meistens als Kinder, haben | |
wirklich viele erlebt. | |
Wie können Kitas verhindern, dass sich Kinder ausgegrenzt fühlen? | |
Kinder brauchen einen Alltag mit Routinen, die von inklusiven moralischen | |
Grundwerten geleitet werden. Sie müssen die Erfahrung machen, „ich gehöre | |
dazu, so wie ich bin“. Eigentlich ein ganz einfaches Prinzip, wonach aber | |
leider häufig nicht gehandelt wird. | |
Tragen dazu nicht auch die Kinder selber bei? | |
Natürlich. Schon mit drei Jahren äußern Kinder Vor-Vorurteile. Sie stellen | |
Verknüpfungen her zwischen den Beobachtungen, die sie machen, und den | |
Bewertungen, die sie erleben. Ein 4-jähriges Kind steht zum Beispiel an der | |
Supermarktkasse, sieht den Mann an, der da kassiert und ruft: Aber Männer | |
sind doch keine Kassiererinnen! Es hat also bereits etwas über | |
geschlechterstereotype Arbeitsteilung in dieser Gesellschaft gelernt, | |
wonach dieser Mann eher eine Ausnahme ist. | |
Nehmen Kinder denn wahr, dass sie selbst diskriminieren? | |
Kinder erklären sich selbst, wie Unterschiede zustande kommen, und haben | |
eigensinnige Hypothesen: Dass Leute unterschiedliche Hautfarben haben, weil | |
ihr Blut unterschiedliche Farben hat. Oder ein Kind glaubt, „das ist wie | |
beim Filzstift, da ist innendrin etwas, das die Farbe anders macht“. Oder | |
sie finden, dass jemand mit einer Behinderung noch wie ein Baby ist, das | |
nicht sprechen oder laufen kann. | |
Und wie reagiert man da? | |
Nicht schockiert, sondern interessiert an den Deutungen der Kinder, im | |
Wissen darum, dass sie sich einen Reim auf die Dinge in dieser Welt machen | |
wollen. Und dabei beeinflusst sind von Bewertungen, die sie von uns | |
mitbekommen. Wenn sie sich ablehnend gegenüber Menschen mit Behinderungen | |
äußern, müssen wir uns fragen, welchen Status Menschen mit Behinderung in | |
ihrer Umgebung haben? Wo erleben sie denn eine Person mit Behinderung, die | |
angesehen ist? Kinder lernen auch viel von der Unsichtbarkeit von Menschen. | |
Wie kann man diskriminierendes Verhalten von Kindern gegenüber anderen | |
vermeiden? | |
Durch Empathieförderung. Es geht darum, nachzufühlen, wie das ist, nicht | |
dabei sein zu dürfen, nur weil man beim Essen sabbert. Es gibt viele | |
Gründe, warum Kinder jemanden nicht dabei haben wollen, zum Beispiel nach | |
Konflikten im Spiel. Das ist auch nachvollziehbar. Aber wenn es ein Merkmal | |
ist, das die Person nicht ändern kann, dann ist das Diskriminierung und | |
gemein. Und das muss man ganz früh versuchen aufzubrechen. | |
23 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Sunny Riedel | |
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