# taz.de -- Umgang mit Rechten in Bayern: Biedermanns Wort und seine Folgen | |
> Mehr als die Hälfte aller Bayern mag keine Muslime, knapp ein Drittel | |
> keine Flüchtlinge. Die bayerische Regierung ignoriert die Erkenntnisse. | |
Bild: In Bayern nimmt die Ablehnung gegen Flüchtlinge zu. Die Regierung sieht … | |
MÜNCHEN taz | Ein in München wohnender Flüchtling wird im Hausflur von | |
seinem Nachbarn geschlagen, sein kleines Kind muss dabei zusehen. Ein Mann | |
spuckt in der Öffentlichkeit eine muslimische Frau an und reißt ihr das | |
Kopftuch herunter. Ein Fahrgast verpasst im Bus einer Frau aus Sierra | |
Leone, die mit Baby im Kinderwagen unterwegs ist, einen solch heftigen | |
Hieb, dass sie zum Arzt muss. | |
Das sind nur drei von mehr als 80 Fällen, die seit März 2016 allein bei der | |
Beratungsstelle für Opfer von Diskriminierung und rechter Gewalt in München | |
(BEFORE) gemeldet wurden. „Wir können dabei zusehen, wie mit der Hetze und | |
Angstmacherei, die im Internet und von Politikern betrieben wird, die | |
Hemmschwelle zur Gewalt sinkt“, sagt Christine Umpfenbach von der erst im | |
März 2016 gegründeten Organisation. | |
Von 2014 auf 2015 stieg in Bayern die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen | |
rechtsextremistischer oder fremdenfeindlicher Straftaten um 29 Prozent an. | |
Der bundesweite Anstieg beträgt sogar um 39 Prozent. Auf eine Anfrage der | |
Grünen bestätigte das Innenministerium, dass in den ersten drei Quartalen | |
des Jahres 2016 gegen Flüchtlinge 429 Straftaten begangen wurden, davon 415 | |
aus rechter Ecke. Erst auf diese Anfrage hin stellte sich auch heraus, dass | |
die Polizei selbst in einigen krassen Fällen die Öffentlichkeit gar nicht | |
informiert hatte. | |
Diese Zahlen passen zu einer Studie der Münchner | |
Ludwig-Maximilians-Universität vom Oktober 2016. Danach lehnt rund die | |
Hälfte der bayerischen Bevölkerung Muslime ab oder hegt feindselige Gefühle | |
gegen sie. Bei Flüchtlingen sind es mehr als 30 Prozent. Ein gutes Fünftel | |
der Befragten stimmte Sätzen wie „Es gibt zu viele Muslime in Deutschland“ | |
voll zu. Auch andere Gruppen wurden abgewertet: Nur 17 Prozent der | |
Befragten lehnten Aussagen wie „Die Langzeitarbeitslosen machen sich auf | |
Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben“ komplett ab. Einer Verbannung | |
von Sinti und Roma aus den Innenstädten stimmte ein gutes Viertel gar nicht | |
zu. | |
Laut Opposition stellen die Ergebnisse die bayerische Strategie gegen | |
Rechtsextremismus infrage. „Die Staatsregierung betreibt viel zu wenig | |
Prävention und bevorzugt stattdessen eine Politik der Repression“, sagt die | |
grüne Landtagsabgeordnete Katharina Schulze. Die Regierung konzentriere | |
sich lediglich darauf, Polizei und Verfassungsschutz zu stärken. „Die | |
handeln aber erst, wenn die Straftaten schon passiert sind oder drohen | |
begangen zu werden“, so Schulze. Die Behörden setzten sich zu wenig mit dem | |
auseinander, was die Bevölkerung denkt und welche Vorurteile sie hegt. | |
Hinter dem Streit, wie mit Rechtsextremen umzugehen ist, verbirgt sich eine | |
heftige Debatte um eine bekannte, wissenschaftliche Methode, mit der die | |
Forscher die Studie erstellten – die Methode der „Gruppenbezogenen | |
Menschenfeindlichkeit“. Sie erforscht, wie stark innerhalb einer | |
Gesellschaft bestimmte Menschen abgewertet werden, unabhängig von deren | |
individuellen Verhalten, sondern allein weil sie einer Gruppe zugehören, | |
wie zum Beispiel Migranten, Muslime, Juden, Obdachlose oder Homosexuelle. | |
Das Problem: Auch Leuten, die nie vorhaben, selbst gewalttätig zu werden, | |
verbreiten Vorurteile in „Resonanzräume“, also beim Friseur, in der S-Bahn, | |
an der Supermarktkasse, am Stammtisch und vor allem im Internet. | |
„Radikalisierte lauschen in diese Räume hinein und hören Aufforderungen | |
heraus“, erklärt der Dortmunder Rechtsextremismusforscher Dierk Borstel, | |
„sie sagen sich: Die anderen reden, ich mache was.“ Das Verbindungsstück | |
dabei sei die „Ideologie der Ungleichwertigkeit“. | |
Doch diesen Zusammenhang mag die Bayerische Staatsregierung nicht sehen. | |
Das zeigte eine Anhörung im Oktober im Ausschuss für Innere Sicherheit des | |
Landtags über Bayerns Kampf gegen den Rechtsextremismus. Sechs geladene | |
Experten beriefen sich in ihrer Kritik an der Strategie daran, auf | |
Abschreckung statt auf Vorbeugung zu setzen, auf den Forschungsansatz der | |
„Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“. | |
Das kam nicht gut an: „Einen Gesinnungs-TÜV wollen wir eben nicht“, sagte | |
der CSU-Landtagsabgeordnete Hans Reichhart der taz. Das Konzept der | |
Regierung setze darauf, Taten zu verfolgen und nicht Meinungen. „Es ist | |
nicht die Aufgabe des Staates, Leuten ein bestimmtes Denken anzuerziehen.“ | |
## CSU spricht von „fragwürdigen Theorien“ | |
Nach der Anhörung verschickte die CSU-Fraktion eine Pressemitteilung, die | |
von den Sachverständigen als Ohrfeige empfunden wurde. Darin bezeichneten | |
die Abgeordneten die Forschungsmethode als eine „fragwürdige Theorie“, die | |
Teile der Bevölkerung unter rechten Generalverdacht stelle. | |
„Statt Eliten-Bashing täte mehr Vorbeugung not“, nimmt Miriam Heigl, | |
Leiterin der Fachstelle für Demokratie der Stadt München, die | |
Wissenschaftler in Schutz. Sie hatte die Studie mit anderen, darunter auch | |
kirchlichen, Institutionen bei der LMU in Auftrag gegeben. „Anstatt | |
Verfassungsschützer an Schulen zu schicken, was eher bedrohlich wirkt, | |
brauchen wir so etwas wie Argumentationstrainings gegen Rechtsextremismus | |
und Rassismus, und wir brauchen mehr nichtstaatliche Aussteigerhilfen“, | |
fordert Heigl. Man müsse die Debattenkultur in Familien fördern. | |
Zudem fehle es an Schulungen in den Kommunen. „Nicht jeder Bürgermeister | |
weiß, wie er die Stimmung bei einer Bürgerversammlung wieder einfangen | |
kann, wenn Extremisten oder Populisten versuchen, die Veranstaltung | |
inhaltlich zu kidnappen.“ | |
Bürgerinitiativen und nichtstaatliche Beratungsstellen, die sich gegen | |
Rechtsextreme engagieren, klagen unisono: Statt wie Konkurrenten behandelt | |
zu werden, wünschen sie sich Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen. | |
Viele Mitarbeiter_innen vermuten, die CSU wolle gar nicht wissen, was ihre | |
Klientel denkt – eine falsche Strategie schon deshalb, weil die Partei die | |
Stimmung unter den Bürgern kennen sollte und verhindern müsse, dass Wähler | |
zur AfD wechseln. | |
## Intransparente Mittelverteilung | |
Was sie zudem kritisieren: Sicherheitsbehörden wie Verfassungsschutz und | |
Justiz bekämen den Löwenanteil bei den aufgewendeten Summen im Kampf gegen | |
rechts. Beim Sozialministerium angesiedelte Initiativen hingegen würden zu | |
kurz gehalten. In der Tat zeigt eine taz-Recherche ein großes | |
Ungleichgewicht. So hat in diesem Jahr die Organisationseinheit | |
Radikalisierungsprävention im Sozialministerium für ihre Arbeit gegen | |
Rechtsextremismus 1,2 Millionen Euro zur Verfügung – wobei nur 200.000 Euro | |
aus bayerischen Landesmitteln stammen. | |
Hingegen wurden 2016/2017 dem Verfassungsschutz fast40 Millionen Euro | |
zugesprochen. Wie viel davon in eine dort angesiedelte Prävention gegen | |
Rechtsextremismus fließt und was darunter genau verstanden wird, bleibt | |
intransparent. | |
Und noch ein Vergleich: Die bayernweite Opferberatungsstelle B.U.D. erhält | |
in diesem Jahr 120.000 Euro aus Bundesmitteln, bayerische Gelder gibt es | |
keine für sie. Hingegen die von der Stadt München ausdrücklich gewünschte | |
Beratungsstelle BEFORE bekommt für ihre Arbeit lediglich 240.000 Euro von | |
der Stadt. | |
Um rechtsextremistisch motivierte Straftaten zu verhindern, hat | |
Justizminister Winfried Bausback jüngst eine „Zentralstelle zur Bekämpfung | |
von Extremismus und Terrorismus“ mit 96 neuen Planstellen, davon 23 für | |
Richter und Staatsanwälte, eingerichtet, die seit Anfang Januar bei der | |
Generalstaatsanwaltschaft in München arbeitet. Sie soll vor allem das | |
Internet nach rechtsextremen Inhalten durchforsten. „Hier brauchen wir eine | |
Brandmauer“, sagte Generalstaatsanwalt Manfred Nötzel. „Denn wir wissen aus | |
Erfahrung, dass auf Worte Taten folgen.“ | |
Immerhin: Nachdem ein sogenannter [1][Reichsbürger in Georgensgmünd im | |
Oktober 2016 einen Polizisten] erschoss, scheint die Betonhaltung der | |
Sicherheitsbehörden zu bröckeln. „Wir müssen unsere demokratischen Werte | |
vorher positiv vermitteln und nicht erst am Ende der Radikalisierungskette | |
eingreifen“, sagte der Chef des bayerischen Verfassungsschutzes, Burkhard | |
Körner. In der Vergangenheit habe es „bei der Zusammenarbeit mit | |
zivilgesellschaftlichen Gruppen gehakt“. | |
25 Jan 2017 | |
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## AUTOREN | |
margarete moulin | |
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