# taz.de -- „Mitte“-Studie der Ebert-Stiftung: Der Riss | |
> Die deutsche Gesellschaft erscheint gespalten: Eine Mehrheit verteidigt | |
> Demokratie und Flüchtlingspolitik. Doch der Rest radikalisiert sich. | |
Bild: „Keine Islamschweinerei in Altdorf“ fordern die Menschen rechts. Die … | |
BERLIN taz | Als Angela Merkel ihre erneute Kanzlerkandidatur ankündigte, | |
skizzierte sie auch ihre künftige Agenda. Für den Zusammenhalt im Land | |
wolle sie arbeiten, für eine demokratische Streitkultur. „Dafür, dass wir | |
gesprächsfähig miteinander sind.“ | |
Es dürfte ein schwieriges Unterfangen werden. Wie [1][aus der neuen | |
„Mitte“-Studie] der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung und der Universität | |
Bielefeld hervorgeht, ist die deutsche Gesellschaft gespalten wie seit | |
Jahren nicht – in eine demokratiebejahende, offene Mehrheit und eine | |
ressentimentvolle, gewaltgeneigte Minderheit. | |
Die Befragung zählt zu den renommiertesten Sozialstudien Deutschlands. Seit | |
2002 wird sie unter dem Schlagwort „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ | |
alle zwei Jahre erhoben, anfangs vom Bielefelder Sozialforscher Wilhelm | |
Heitmeyer. Diesmal wurden 2.000 Personen telefonisch befragt, von Juni bis | |
August 2016. | |
Und 84 Prozent von ihnen lieferten ein Bekenntnis: Die hiesige Demokratie | |
funktioniere „im Großen und Ganzen ganz gut“. Eine Mehrheit, 56 Prozent, | |
begrüßte auch die Aufnahme von Flüchtlingen. 41 Prozent gaben an, sie | |
selbst oder Bekannte engagierten sich auch direkt für Asylsuchende. Und die | |
Fremdenfeindlichkeit lag zwar immer noch bei 19 Prozent unter allen | |
Befragten – vor zehn Jahren aber war sie doppelt so hoch. „Die Bevölkerung | |
wird in ihrer grundsätzlich positiven Grundhaltung, ihrer Gelassenheit und | |
ihrer Bereitschaft zum Engagement für Geflüchtete unterschätzt“, | |
konstatieren die Studienautoren. | |
## 13 Prozent glauben an White Supremacy | |
Das Problem nur: Parallel radikalisiert sich eine Minderheit – mit genau | |
entgegengesetzter Stoßrichtung und einiger Lautstärke. So gab gut jeder | |
dritte Befragte an, in Deutschland lebten zu viele Ausländer. 40 Prozent | |
erklärten, es brauche „endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl�… | |
Ein Viertel befand, die regierenden Parteien betrögen „das Volk“. Und 13 | |
Prozent waren überzeugt, die Weißen seien zu recht führend in der Welt. | |
Vorurteile bekommen vor allem zwei Gruppen zu spüren: Muslime und | |
Flüchtlinge. Knapp jeder fünfte Befragte äußerte Ressentiments gegen | |
Anhänger des Islams. Und – trotz aller grundsätzlichen Zustimmung der | |
meisten zur Flüchtlingspolitik – stiegen auch die Vorurteile über | |
Asylsuchende: von zuletzt 44 auf nun 50 Prozent. Im Detail erklärte etwa | |
jeder Vierte, der Lebensstandard der Deutschen werde durch die Flüchtlinge | |
sinken. Gerade bei dieser Kategorie gebe es auch kaum noch Unterschiede | |
zwischen der Bildung und dem Einkommen der Befragten, bemerken die | |
Wissenschaftler. Es herrsche ein „giftiger Konsens“ über alle Milieus | |
hinweg. | |
## Vorurteile als Meinung getarnt | |
Die Forscher sehen für die Ressentiments bereits einen jahrelangen Vorlauf. | |
Mitverantwortlich sei aber auch die seit Monaten andauernde | |
Flüchtlingsdebatte, die von den „Asylchaos-Kampagnen“ der AfD und anderer | |
rechter Gruppen dominiert sei. Und das mit Folgen: Vorurteile würden | |
inzwischen nicht mehr subtil kommuniziert, sondern „ganz offen als ‚eben | |
eine Meinung‘ verteidigt“, warnt die Studie. Die Position, dass einige | |
Menschen minderwertig seien, sei kein Tabu mehr – sondern werde zur | |
Normalität. | |
Und: Die Gewaltbereitschaft steigt. Immerhin 14 Prozent der Befragten | |
erklärten, bereit zu sein, sich „mit körperlicher Gewalt gegen Fremde | |
durchzusetzen“. Unter Anhängern einer rechtspopulistischen Einstellung – 21 | |
Prozent der Befragten – stimmte dem gar jeder Dritte zu. Zahlen des BKA | |
zeigen, dass es längst nicht mehr bei Ankündigungen bleibt: Auch in diesem | |
Jahr wurden dort bereits wieder 843 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte | |
gezählt, 64 davon waren Brandstiftungen. | |
Von einem „tiefen Spalt, der derzeit kaum überbrückbar zu sein scheint“, | |
schreiben die Studienautoren. Auf der einen Seite stehe „Wut, Hass und | |
Aggression“, auf der anderen „eine gewisse Ratlosigkeit“. | |
Zu ganz ähnlichen Befunden war bereits im Sommer eine „Mitte“-Studie der | |
Universität Leipzig gekommen. Und wie dort, kommt auch bei dem Bielefelder | |
Pendant eine Gruppe besonders schlecht weg: die der AfD-Anhänger. Diese | |
Gruppe ist nicht nur gewachsen – auf 26 Prozent der Befragten –, sie hat | |
sich auch radikalisiert. | |
46 Prozent der AfD-Sympathisanten äußerten sich laut Studie | |
fremdenfeindlich – vor zwei Jahren war es noch 33 Prozent. 43 Prozent | |
zeigten sich zudem islamfeindlich, 74 Prozent lehnten Flüchtlinge ab – auch | |
dies deutlich mehr als im Bevölkerungsschnitt. Die Studienautoren sehen | |
diese Entwicklung im Einklang mit dem jüngsten Rechtsruck der AfD, bei dem | |
auch Parteivordere über „völkische“ Politik räsonierten oder gegen | |
„links-grün Versiffte“ wetterten. | |
## Neurechte als Anheizer | |
Als Anheizer identifizieren die Wissenschaftler auch eine mit der AfD eng | |
verbandelte Gruppe: die Neurechten. Diese wähnte Deutschland vom Islam | |
unterwandert, von einem „Meinungsdiktat“ unterdrückt und forderte einen | |
ethnisch homogenen Staat. Gemeint sind Leute wie der neurechte Vordenker | |
Götz Kubitschek, der wiederholt auf Pegida-Aufzügen sprach. | |
Die Kategorie wurde erstmals abgefragt und umfasste immerhin 28 Prozent der | |
Befragten. Einzelne neurechte Positionen finden auch Zustimmung darüber | |
hinaus: So erklärten 40 Prozent, Deutschland werde durch den Islam | |
unterwandert. Den Neurechten sei es gelungen, ihre Vorstellungen „bis weit | |
in die Gesellschaft hineinzutragen“, halten die Autoren fest. Die Ideologie | |
würde damit den klassischen Rechtsextremismus ablösen, der nur noch bei | |
drei Prozent der Befragten festzustellen war. Die Forscher aber warnen: | |
Auch die subtiler argumentierenden Neurechten werteten Gesellschaftsgruppen | |
ab und stünden Gewalt nahe. Dies mache sie „nicht minder bedrohlich für die | |
Demokratie“. | |
Was also tun? Die Wissenschaftler haben auch dazu einen klaren Vorschlag. | |
Die Politik sollte sich mehr auf die demokratiezugewandte Mehrheit stützen. | |
Die von AfD und Pegida propagierten Ängste dürften „nicht mit Fakten | |
verwechselt und erst recht nicht weiter angestachelt“ werden. Stattdessen | |
müssten die Aufgeschlossenen unterstützt werden. Die Zivilgesellschaft habe | |
im Zuge der Flüchtlingshilfe ein „enormes Revival erfahren“ und einen | |
„Schatz“ an Erfahrungen gesammelt. „Daran lässt sich anknüpfen.“ | |
21 Nov 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.fes.de/de/gespaltene-mitte-rechtsextreme-einstellungen-2016/ | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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