# taz.de -- Analyse Rot-Rot-Grün in Berlin II: Die Wende kommt – wenn sie ko… | |
> Der Koalitionsvertrag steht. Doch was steht drin? Und wer wird davon | |
> profitieren? Die taz macht den Fakten-Check. Teil 2: Finanzen, Verkehr, | |
> Drogen. | |
Bild: Skeptische Blicke sind erlaubt: Lederer, Müller, Pop | |
## FINANZEN: Ein Griff in die Trickkiste | |
Das war ein bemerkenswerter Satz für einen Linken. „Wir werden jetzt keine | |
Steuern erhöhen – weil wir sie nicht brauchen“, sagte Linke-Chef Klaus | |
Lederer nach der rot-rot-grünen Einigung. Nun können Länder und Gemeinden – | |
Berlin ist beides – sowieso nicht an den großen Stellschrauben drehen, da | |
Einkommen-, Vermögen- oder Erbschaftsteuer Bundesangelegenheiten sind. Aber | |
über höhere Gewerbe-, Grund- und Grunderwerbsteuern käme was zusammen für | |
soziale Wohltaten. | |
Dass Rot-Rot-Grün trotzdem meint, genug zu haben, hat viel mit einem | |
Haushaltstrick zu tun. Ein zentrales Projekt nämlich, das auf ein Jahrzehnt | |
angelegte milliardenschwere Schulbau- und Sanierungsprogramm, will man | |
nicht aus dem Landeshaushalt bezahlen. Die nötigen Kredite soll nicht das | |
Land aufnehmen, sondern eine privatrechtlich organisierte | |
Tochtergesellschaft, quasi eine Schulbau GmbH – die wie auch sechs | |
Wohnungsbaugesellschaften und die BVG in Landesbesitz wäre. | |
Auf dem Papier sieht das gut aus, weil der Haushalt – jene jährlich rund 25 | |
Milliarden Euro schwere Übersicht über Einnahmen und Ausgaben – nicht die | |
Schulden und Zinsverpflichtungen der landeseigenen Firmen erfasst. Deswegen | |
kann Regierungschef Müller, ohne zu lügen, sagen, es sei „wichtig, dass wir | |
nicht in die Verschuldung einsteigen“. | |
Es soll sogar Raum für 80 Millionen Euro Tilgung geben, um von den fast 60 | |
Milliarden Euro Schulden runterzukommen. Das passiert aber langsamer als | |
unter Rot-Schwarz: SPD und CDU hatten insgesamt rund drei Milliarden | |
Schulden getilgt. | |
Das Ergebnis ist ein Kompromiss zwischen SPD einerseits und Linker und | |
Grünen andererseits. Die mutmaßliche Wirtschaftssenatorin Ramona Pop | |
(Grüne) argumentiert wie die Linke: Demnach sind die höheren Investitionen | |
in Schulen und sonstige Infrastruktur quasi vorweggenommener Schuldenabbau. | |
Denn wenn man etwa Gebäude weiter verrotten ließe, seien die späteren | |
Kosten umso höher. | |
Man kann das auch anders sehen: als Aushebeln der 2009 von Bundestag und | |
Bundesrat beschlossenen „Schuldenbremse“. Die verbietet den Ländern neue | |
Kredite ab 2020.Dieses Instrument hat die Linke schon immer abgelehnt. Der | |
nun gewählte Weg, Schulden in Tochterunternehmen zu verlagern, ist nicht | |
neu. Er funktioniert auch eine Weile – bis bei steigenden Zinssätzen wieder | |
zu spüren sein wird, dass Kredite ohne Tilgung viel Geld kosten. Stefan | |
Alberti | |
## VERKEHR: Die Fahrtrichtung stimmt | |
Beginnt endlich das Zeitalter des Fahrrads? Ein bisschen liest sich das | |
Verkehrskapitel des Koalitionsvertrags so – und das haben Berlins | |
RadlerInnen keineswegs nur dem fortschrittlicheren verkehrspolitischen | |
Profil von Grünen und Linken zu verdanken. Es war der gewaltige politische | |
Druck der Initiative „Volksentscheid Fahrrad“, der die versprochene massive | |
Aufstockung von Stellen und Mitteln (40 Millionen Euro 2018, dann 51 | |
Millionen jährlich) für den Ausbau der Infrastruktur ermöglicht hat. | |
Zwei Meter breite Radstreifen entlang des Hauptstraßennetzes, ein | |
Fahrradstraßennetz, 100 Kilometer Radschnellwege, sicherer Umbau | |
gefährlicher Kreuzungen, Fahrradparkhäuser und noch viel mehr: All das soll | |
in einem künftigen Radverkehrsgesetz konkretisiert werden. | |
Zwar hat der „Volksentscheid Fahrrad“ längst einen Entwurf vorgelegt, aber | |
die Politik möchte dann doch noch ein Wörtchen mitreden. Immerhin soll der | |
Gesetzgebungsprozess „im Dialog mit dem ‚Volksentscheid Fahrrad‘ und | |
anderen Mobilitätsinitiativen und Verbänden“ geschehen. | |
Beim „Volksentscheid Fahrrad“ ist man denn auch verhalten optimistisch. | |
„Wir sind noch nicht über den Berg“, sagt Mitinitiator Peter Feldkamp. „… | |
brauchen ein Gesetz mit vernünftigen Fristen und Verbindlichkeiten.“ | |
Bislang sei vor allem von „Zielgrößen“ oder der „Berücksichtigung der … | |
des Volksentscheids“ die Rede. Aber Feldkamp schließt nicht aus, dass ein | |
rot-rot-grünes Radverkehrsgesetz ein Volksbegehren überflüssig machen | |
könnte. | |
Festgelegt haben sich die Koalitionäre auf eine zentrale Projektsteuerung | |
in Form einer „Velo GmbH“, die vorläufig unter dem Dach der Grün Berlin | |
GmbH operieren soll. Es war die Lieblingsidee von Verkehrssenator Andreas | |
Geisel und Staatssekretär Christian Gaebler (beide SPD), die nun freilich | |
bei dem Thema gar nicht mehr mitmischen. Allerdings kann Geisel als | |
künftiger Innensenator das Seinige tun, um die in der | |
Koalitionsvereinbarung angekündigte klare Kante gegen Falschparker auf | |
Radstreifen und Busspuren zu zeigen. | |
Balsam auf die Seele frustrierter RadlerInnen sind einige weitere | |
Ankündigungen, auch wenn sie – wie so vieles – nur in Form von | |
Prüfaufträgen auftreten. Aber wer hätte gedacht, dass Berlin tatsächlich | |
ein Pilotprojekt „Grüner Pfeil für Radfahrer*innen“ bekommen soll? | |
Das ist noch nicht der „Idaho-Stop“, der rote Ampeln für Radler zu | |
Stoppschildern macht. Aber die Richtung stimmt. Genauso simpel und genial | |
wären die Erlaubnis der Fahrradmitnahme mit der VBB-Umweltkarte – das Ende | |
der Abzocke durch Fahrradtickets – und die Aufwertung dieser Karte, indem | |
sie bereits den Pauschaltarif des neuen Leihfahrradsystems enthielte. | |
Auch sonst hat der „motorisierte Individualverkehr“, sprich der private | |
Pkw, ganz schön ausgedient. Die Verlängerung der A100 nach Friedrichshain | |
wird auf Eis gelegt, Unter den Linden dürfen wohl nur noch ÖPNV und Taxis | |
rollen. Dafür verspricht Rot-Rot-Grün den Ausbau des Tramnetzes und die | |
Neuanschaffung von Fahrzeugen bei der BVG. Neue Busspuren sollen | |
eingerichtet, die zeitlichen Einschränkungen der bestehenden aufgehoben | |
werden. | |
All das klingt wirklich nach einer „Einleitung der Mobilitätswende“, wie es | |
die Vereinbarung gelobt. Dafür, dass wir das Jahr 2016 schreiben, kommt die | |
spät. Aber sie kommt. Wenn sie kommt. Claudius Prößer | |
## DROGEN: Ein Meilenstein | |
Bis zuletzt hat Rot-Rot-Grün um diesen Punkt gerungen. Die SPD wollte | |
nicht. Doch Grüne und Linke haben sich durchgesetzt – ohne Wenn und Aber: | |
Berlin startet ein Cannabis-Modellprojekt. Selbst der Deutsche Hanfverband, | |
die Lobby für eine Cannabisfreigabe, ist voller Lob. „Das ist ein | |
Meilenstein hin zu einer liberaleren Cannabispolitik“, sagt Sprecher Georg | |
Wurth. | |
Der Wortlaut: „Die Koalition wird ein Konzept für die Durchführung eines | |
wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts zur kontrollierten Abgabe von | |
Cannabis an Erwachsene erarbeiten und sich für dessen gesetzliche | |
Absicherung einsetzen.“ Ist das nicht reine Symbolpolitik? Immerhin hatte | |
Friedrichshain-Kreuzberg auch ein Modellprojekt zur Cannabisabgabe an | |
Erwachsene geplant; der Bezirk war damit 2015 kläglich am CDU geführten | |
Bundesgesundheitsministerium gescheitert. | |
Wenn die deutsche Hauptstadt einen solchen Antrag stelle, „erhöht das | |
massiv den Druck“, meint Wurth. Zudem sei Berlin nicht allein. Auch Bremen, | |
Münster und Düsseldorf wollen solche Projekte starten. Und dass | |
Rot-Rot-Grün verspricht, sich „für die gesetzliche Absicherung“ des | |
Vorhabens einzusetzen, sei ein wichtiger Zusatz, so Wurth. Denn: Das | |
Betäubungsmittelgesetz müsse so verändert werden, dass Modellversuche nicht | |
mehr an Bundesbehörden scheitern, weil die Länder sie selbst genehmigen | |
können. | |
Anders als Hamburg habe sich die künftige Berliner Regierungskoalition auch | |
kein Hintertürchen offen gelassen, freut sich Wurth. In der Hansestadt | |
hätten sich SPD und Grüne im Koalitionsvertrag auf die Formulierung | |
geeinigt: „Es wird geprüft, ob ein Modellprojekt durchgeführt werden kann.�… | |
Prüfen bedeutet: „Man macht eine Anhörung zu dem Vorhaben, holt einen | |
Experten, der dagegen ist und das Projekt ist tot.“ Plutonia Plarre | |
Der nächste Teil des taz-Checks morgen hier auf taz.de/berlin. Oder alle | |
Texte zu Rot-Rot-Grün in der Print-Wochenend-Ausgabe seit Samstag am Kiosk. | |
19 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
Plutonia Plarre | |
Claudius Prößer | |
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