# taz.de -- Volksentscheid Fahrrad: Sabotage am Volk | |
> Der Senat missachte die Verfassung, sagt der „Volksentscheid Fahrrad“: Er | |
> lasse den Antrag auf ein Volksbegehren politisch motiviert verhungern | |
Bild: Für Rad-AktivistInnen geht es politisch gerade nicht voran | |
Die InitiatorInnen des „Volksentscheids Fahrrad“ sind wütend, und sie | |
machen keinen Hehl daraus: „Hinterlassen Sie Ihr Haus anständig!“, rufen | |
sie in einem offenen Brief dem scheidenden Stadtentwicklungssenator Andreas | |
Geisel (SPD) zu, „schließen Sie die Zulässigkeitsprüfung des Rad-Gesetzes | |
ab!“ Von „mutwilliger“ Verschleppung ist in dem Schreiben – auf das Gei… | |
bislang nicht reagiert hat – die Rede. Bei anderen Gelegenheiten sprechen | |
die AktivistInnen auch von „Sabotage“. | |
Zur Erinnerung: Die Initiative fordert den massiven Ausbau von Berlins | |
Radverkehrsinfrastruktur, hat das in einen Gesetzentwurf verpackt und will | |
diesen von den BürgerInnen per Volksbegehren legitimieren lassen. Der | |
Antrag auf das Volksbegehren fand in kürzester Zeit fast 100.000 | |
UnterstützerInnen: Rekord. Seit Anfang Juli, also seit bald einem halben | |
Jahr liegt der Antrag nun schon zur Zulässigkeitsprüfung bei der | |
Senats-Innenverwaltung. An eine Frist ist die laut Berliner | |
Abstimmungsgesetz (AbstG) nicht gebunden. | |
Für die InitiatorInnen heißt das: Ihren Zeitplan, nach dem ein eventueller | |
Volksentscheid am Tag der kommenden Bundestagswahl hätte stattfinden | |
können, können sie in die Tonne treten. Bei einer zeitgleichen Abstimmung | |
hätten sie die große Hürde einer ausreichenden Teilnehmerzahl – das Quorum | |
– locker genommen. Denkbar ist, dass die neue Radpolitik von Rot-Rot-Grün | |
das Volksbegehren überflüssig macht, aber das können und müssen die | |
AnmelderInnen selbst entscheiden. | |
## So lange wie noch nie | |
Sicher ist: Eine derart langwierige Prüfungsphase wie diese hat es in | |
Berlin noch nie gegeben. Aber Vertreter des „Volksentscheids Fahrrad“ | |
beteuern ohnehin zu wissen, dass die Prüfung – bei der es unter anderem | |
darum geht, ob der Gesetzestext mit Bundesrecht kollidiert – längst | |
abgeschlossen ist, trotz Hinzuziehung eines externen Gutachtens. Warum auch | |
nicht? „Uns haben spezialisierte Kanzleien gesagt: So eine Prüfung machen | |
wir sauber in zwei Wochen“, berichtet Initiator Peter Feldkamp. | |
Fragt man bei der Innenverwaltung nach, verweist diese auf das bekannte | |
Fehlen einer Frist und auf „komplexe Fragen zu Bestehen und Reichweite der | |
Gesetzgebungskompetenz des Landes Berlin“, deren Beantwortung Zeit | |
benötige, so ein Sprecher. Er gibt aber auch einen Hinweis darauf, wo es | |
wirklich hakt: Die Dauer der Prüfung hänge „maßgeblich von Zuarbeiten der | |
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt als zuständiger | |
Fachverwaltung ab“. Dass auch die sich in aller Ruhe des Themas annehmen | |
kann, ist im Abstimmungsgesetz nicht fixiert, aber eingeübte Praxis. | |
Ein Anruf bei der Stadtentwicklungsverwaltung bringt wenig Aufklärung. Die | |
politische Spitze – Senator Geisel und sein Verkehrsstaatssekretär | |
Christian Gaebler – äußert sich nicht. Geisels Sprecherin bestreitet, dass | |
ihr Haus für den stockenden Prozess verantwortlich sei, und verweist | |
stattdessen auf die langwierigen Koalitionsverhandlungen und den | |
bevorstehenden Personalwechsel: Es sei doch niemandem damit gedient, wenn | |
jetzt ein Beschluss getroffen werde, den die designierte Senatorin Regine | |
Günther dann womöglich wieder außer Kraft setze. | |
## Nicht die Finger verbrennen | |
Solche Erwägungen dürften im Rahmen der Volksgesetzgebung überhaupt keine | |
Rolle spielen: Geprüft wird laut Gesetz nur die juristische Zulässigkeit, | |
nicht die politische Opportunität. Deshalb findet auch Oliver Wiedmann, | |
Landessprecher des Vereins Mehr Demokratie, dass „das natürlich nicht | |
geht“. Dass der alte Senat sich womöglich bei diesem heiklen Thema nicht | |
mehr die Finger verbrennen wollte, sei irrelevant. Wiedmann begrüßt, dass | |
die rot-rot-grüne Koalition vereinbart hat, das gesamte | |
Volksgesetzgebungsverfahren mit verbindlichen Fristen auszustatten. | |
Genau dies ist eine Forderung der Initiative „Volksentscheid retten“. Deren | |
Antrag auf ein Volksbegehren, das diese und weitere Erleichterungen für | |
direkte Demokratie fordert, leistet derzeit jenem der Fahrradfreunde | |
Gesellschaft – im Prüfungs-Nirwana. Aus dem wird sie wohl irgendwann der | |
künftige Innensenator befreien: Andreas Geisel. | |
29 Nov 2016 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
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