# taz.de -- Koalitionsverhandlungen: Kompromiss oder Kulturkampf | |
> Wenn Rot-Rot-Grün keine Einigung mit dem Fahrradvolksentscheid erzielt, | |
> könnte sich die Stimmung zwischen Auto- und Radfahrern verschlechtern. | |
Bild: Auto und Rad. Eng beieinander oder doch besser getrennt? | |
Neulich beim Nachhauseradeln: Eine Autofahrerin und ein Radfahrer liefern | |
sich am U-Bahnhof Vinetastraße eine verbale Auseinandersetzung. Keine | |
Schreierei, aber auch kein versöhnliches „Beim nächsten Mal aber aufpassen, | |
bitte“. Es ist nicht zu erkennen, was der Auslöser der Auseinandersetzung | |
war, aber deutlich ist, dass keiner von beiden nachgeben will. Jeder fühlt | |
sich offenbar im Recht. Was würden beide einander wohl sagen, wenn ein paar | |
Tage später der Volksentscheid Fahrrad anstünde? Wenn es zum Schwur kommen | |
würde: Auto oder Fahrrad? | |
Das Volksbegehren Fahrrad, das Ende vergangenen Jahres gestartet wurde, ist | |
eine Kampfansage. Adressiert ist sie an die Politik, die dem rasant | |
steigenden Radverkehr in Berlin tatenlos zugeschaut hat. Während andere | |
Großstädte längst neue Wege gehen, herrscht in Berlin der übliche | |
Schlendrian. Mehrere Jahre dauert es in der Regel, bis neue Radstreifen | |
angelegt werden, obwohl das Geld da ist. Bezirke und Senat schieben sich | |
gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Erst als das Volksbegehren gestartet | |
wurde, kündigte Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD) an, eine Landesbehörde | |
gründen zu wollen, die für Radinfrastruktur zuständig ist. | |
Die Kampfansage war also überfällig. In nicht einmal vier Wochen haben | |
100.000 Berlinerinnen und Berliner das Volksbegehren unterstützt, obwohl | |
nur 20.000 Unterschriften notwendig gewesen wären. An der Schönhauser | |
Allee, Ecke Danziger Straße bildeten sich vor den Aktivisten, die | |
Unterschriften sammelten, sogar Schlangen. Radfahrer, die es sonst kaum | |
erwarten können, die Kreuzung hinter sich zu lassen, stehen an, um ihre | |
Unterschrift abzugeben. Als hätten sie nur darauf gewartet. | |
Verkehrsstaatssekretär Christian Gaebler kommentierte den Erfolg der | |
Initiative in einem taz-Streitgespräch mit Heinrich Strößenreuther, dem | |
Sprecher der Initiative, mit den Worten: „Unter der Überschrift ‚Wir wollen | |
was für Radler tun‘ kriegt man 20.000 und auch 170.000 Unterschriften | |
zusammen. Ob in der stadtweiten Abstimmung eine Mehrheit dafür steht, kann | |
ich nicht sagen. Da wird es wohl zugespitzt auf ‚Autofahrer gegen | |
Radfahrer‘“. | |
Man kann Gaeblers Zuspitzung als Warnung an die Initiative verstehen, sich | |
eines Sieges bloß nicht zu sicher zu sein. Man kann sie aber auch lesen als | |
einen Vorgeschmack auf das, was auf den Berliner Straßen los sein wird, | |
wenn zwischen dem designierten rot-rot-grünen Senat und den Initiatoren des | |
Volksbegehrens kein Kompromiss gefunden wird. Schon jetzt spricht Heinrich | |
Strößenreuther von einem „Krieg auf den Berliner Straßen“, der die Folge | |
der Untätigkeit im Senat sei. „Das ist wie in einem Rattenkäfig, in das man | |
immer wieder Backsteine legt. Wenn man ständig Platz wegnimmt, werden die | |
sich gegenseitig zerfleischen.“ | |
Für den Fall, dass es keinen Kompromiss zwischen Rot-Rot-Grün und der | |
Initiative gibt, sieht Strößenreuther schwarz: „Wenn die neue Koalition | |
keine Signale sendet, wird sich die Stimmung weiter anheizen.“ Damit legt | |
der Sprecher des Volksbegehrens auch schon mal fest, wer den möglichen | |
Kulturkampf „Autofahrer gegen Radfahrer“, von dem Gaebler spricht, zu | |
verantworten hat: Nicht die Autofahrer und nicht die Radfahrer, sondern die | |
Politik. | |
Nicht ganz so dramatisch sehen es die Grünen. Dort will man den Teufel | |
nicht an die Wand malen. „Wenn es einen Kulturkampf gibt, dann fechten den | |
viele in sich selbst aus“, sagt ein Grüner, der wegen der laufenden | |
Koalitionsverhandlungen nicht zitiert werden will. Er verweist auf eine | |
Umfrage von Infratest dimap, derzufolge jeder zweite Autrofahrer den Ausbau | |
der Fahrradinfrastruktur unterstützt. Der grüne Verhandlungsführer der | |
Arbeitsgruppe Verkehr, Stefan Gelbhaar, sagte vor kurzem der Morgenpost: | |
„Es ist klar, dass wir uns im Koalitionsvertrag darauf verständigen müssen, | |
wie wir mit dem Volksentscheid umgehen.“ Schließlich hätten sich alles drei | |
Parteien zum ziel bekannt, die Bedingungen für den Radverkehr zu | |
verbessern. | |
Kompromissbereit ist auch Heinrich Strößenreuther: „Wir wollen uns mit dem | |
neuen Verkehrssenator oder der neuen Verkehrssenatorin an einen Tisch | |
setzen“, kündigte er gegenüber der taz an. Das Ziel der Initiative sei es, | |
bis März ein neues Radverkehrgesetz zu verabschieden. Strößenreuther | |
fordert zudem „schnelle Verbesserungen“ wie die Trennung von Bus- und | |
Radspuren. Man sei im Gespräch mit den drei Koalitionspartnern. | |
Was aber, wenn es bis März keinen Kompromiss gibt? „Dann wird das Thema | |
Radverkehr auch den Bundestagswahlkampf bestimmen“, ist sich Strößenreuther | |
sicher. Einen Volksentscheid zur Bundestagswahl aber hält er für | |
unrealistisch. „Wir haben bis heute keine rechtliche Prüfung der | |
Innenverwaltung“, so der Sprecher. Wenn das Abgeordnetenhaus danach keinen | |
Kompromiss beschließt, sondern die vier Monate dauernde Frist in Anspruch | |
nimmt, um den Gesetzesentwurf der Initiative abzulehnen, starte zwar die | |
zweite Stufe des Volksbegehrens. „Aber den Herbst 2017 werden wir dann | |
nicht mehr schaffen“, so Strößenreuther. | |
Ob damit dem rot-rot-grünen Senat in spe, womöglich noch mit einer grünen | |
Verkehrssenatorin, gedient ist, steht auf einem anderen Blatt. Kommt es | |
tatsächlich zum Schwur, könnte nicht nur die Stimmung zwischen Autofahrern | |
und Radlern leiden. Es käme auch zu einer Entscheidung zwischen den | |
radelnden Berlinerinnen und Berlinern auf der einen Seite und einem | |
rot-rot-grünen Bündnis und der Autofahrerlobby auf der anderen. | |
17 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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