# taz.de -- Koalitionsverhandlungen in Berlin: Arme sollen auf SPD abfahren | |
> Geht es nach Verkehrssenator Geisel (SPD), wird das Sozialticket | |
> billiger. Grüne signalisieren Zustimmung, mosern aber über fehlende | |
> Absprachen. | |
Bild: Immer ein Streitpunkt: die Kosten für den ÖPNV | |
Er ist weder sonderlich dick noch prall gefüllt, der Aktenordner mit der | |
Aufschrift „KOA-Verhandlungen“, der vor Stadtentwicklungssenator Andreas | |
Geisel (SPD) liegt. Geisel hat am Montagmorgen Journalisten eingeladen, um | |
über den Verlauf der Koalitionsverhandlungen zu plaudern. | |
Darüber haben eigentlich alle Parteien Stillschweigen vereinbart. Aber der | |
überschaubare Umfang des Ordners ist so etwas wie ein Zeichen dafür, dass | |
es ganz gut läuft zwischen den Unterhändlern von SPD, Linkspartei und | |
Grünen – zumindest in den Themenbereichen, für die der Senator derzeit | |
zuständig ist: Stadtentwicklung, Umwelt, Verkehr. | |
Und am Ende verkündet Geisel dann doch noch eine Forderung der SPD, die | |
veröffentlicht werden darf: Künftig soll das Sozialticket für BVG und | |
S-Bahn statt wie bisher 36 Euro nur noch 25 Euro kosten. Genau so viel | |
zahlt auch das Jobcenter den Empfängern von Sozialleistungen als Zuschuss | |
für Fahrkarten. Weil das Ticket derzeit 11 Euro teurer sei, so Geisel, | |
würden viele Transferleistungsempfänger darauf notgedrungen verzichten. | |
Aber: „Mobilität darf nicht am Geld scheitern“, betont der Senator. Rund | |
170.000 Sozialtickets werden pro Monat im Schnitt verkauft. | |
## Ein politisches Zeichen | |
Statt wie bisher 13 Millionen Euro pro Jahr würde das Land das Ticket laut | |
Geisels Berechnungen künftig mit 23 Millionen Euro bezuschussen. Das sei | |
„machbar“ und gleichzeitig für die SPD ein „Mindestschritt“. Denn die | |
Partei, die bei der Wahl mit 21,6 Prozent der Stimmen ihr schlechtestes | |
Ergebnis seit 60 Jahren bekam, müsse ein „Zeichen der sozialen | |
Gerechtigkeit“ und eine „politische Botschaft“ setzen. Offenbar ist dies | |
auch eine Erkenntnis aus der Sitzung des SPD-Landesvorstands von | |
vergangener Woche, in der das schlechte Abschneiden bei der Wahl recht | |
schonungslos diskutiert worden war. | |
Stimmen auch Linke und Grüne Geisels Vorschlag zu, könnte das neue Angebot | |
bereits ab kommendem Frühjahr gelten. Die Grünen unterstützen den Vorstoß, | |
wie Parteichef Daniel Wesener auf taz-Nachfrage sagt: „Solange Senator | |
Geisel Forderungen aus dem grünen Wahlprogramm übernimmt, kann er mit | |
unserer Zustimmung rechnen.“ Dann fügt er leicht säuerlich hinzu: „Das | |
nächste Mal würden wir aber lieber vorher und mit allen drei | |
Koalitionsparteien darüber sprechen.“ | |
Auch die Linke hat mit dem Vorstoß inhaltlich keine Probleme: „25 Euro für | |
das Sozialticket ist seit langem eine Forderung der Linken“, erklärte | |
Harald Wolf auf taz-Anfrage. Wohl aber mit dem Vorpressen des Senators: | |
Wolf nannte das Vorgehen von Geisel „unprofessionell“. Es stehe im | |
Widerspruch zur Verabredung in der großen Verhandlungskommission, keine | |
vermeintlichen oder wirklichen Zwischenergebnisse zu kommunizieren, solange | |
sie nicht beschlossen sind. Und, so Wolf: „Nahverkehrstarife sind bislang | |
noch nicht verhandelt worden.“ | |
Für die Grünen ist ein günstigeres Sozialticket nur der erste Schritt zu | |
mehr umweltfreundliche Mobilität, die sich „alle in der Stadt leisten | |
können“. In dieser Hinsicht gibt sich Geisel allerdings zurückhaltend. | |
Ideen, ein Jahresticket der BVG dank Subventionen des Landes deutlich | |
billiger zu machen wie etwa in Wien, wo es lediglich 365 Euro koste, hält | |
der Senator zwar für spannend, ist aber angesichts des aktuellen | |
finanziellen Spielraums „ziemlich skeptisch“, was die Umsetzung angeht. | |
Erst recht gilt das für ein Bürgerticket, das für alle Berliner | |
verpflichtend wäre. Dadurch würde die Zahl der Nutzer der ohnehin vollen S- | |
und U-Bahnen sehr viel stärker steigen, als der Nahverkehr ausgebaut werden | |
könne. Geisel wörtlich: „Wir wären erledigt.“ | |
17 Oct 2016 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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