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# taz.de -- Debatte um Müll-Rekommunalisierung in Bremen: Gegen die Empfehlung
> Weil der Staat die Müll-Abholung nicht organisieren kann, soll das laut
> Bremer Senats-Beschluss weiterhin eine Privatfirma machen. Gutachter
> sahen das anders.
Bild: Für solchen Dreck fehlt Bremen die kommunale Kompetenz, meint der Senat
BREMEN taz | In der Politik ist es wie in einem guten Chor: Am Ende müssen
alle gemeinsam singen. Der Kompromiss, den Grüne und SPD im Juli für die
Zukunft der Müllabfuhr gefunden haben, sei eine „sehr gute und in die
Zukunft weisende Weichenstellung“, meinte der SPD-Abgeordnete Arno
Gottschalk. Der Kompromiss sorge für eine „zuverlässige Müllabfuhr mit
stabilen Gebühren“, erklärte die Grünen-Sprecherin Maike Schaefer.
Es ging um die Frage, ob die Müllabfuhr wieder kommunal werden soll oder
weiterhin privat organisiert bleibt. Sie bleibt größtenteils privat: Mit
51,1 Prozent der Anteile soll die unternehmerische Führung bei dem privaten
Partner liegen, so der Kompromiss, mit 49,9 Prozent der Anteile soll die
Kommune mehr Einfluss bekommen als bisher.
## Keine Kompetenz
Der Senat bezieht sich in seiner Entscheidung auf ein vertrauliches
Gutachten, das der taz vorliegt und das eine Reihe grundlegender Probleme
des kommunalen staatlichen Handelns aufzeigt. Das größte Problem: Nach den
Tarifen im öffentlichen Dienst kostet der Fahrer eines Stadtreinigungs-
oder Müllfahrzeugs im Jahr rund 58.000 Euro.
Bei der privaten Firma Nehlsen, die derzeit die Müllabfuhr organisiert und
sogar unter den Tarifen der privaten Entsorger liegt, kostet er 34.000
Euro. Wenn das ein Argument ist, dann stellt sich diese Frage auch
anderswo: Wäre eine private Organisation bei Kindergärten, Schulen,
Universitäten, bei der Bauverwaltung oder der Steuerbehörde auch so viel
billiger?
Das zweite Argument für den Kompromiss wurde öffentlich deutlicher benannt:
Mit der Privatisierung der Müllabfuhr 1998 hat die Kommune ihre Kompetenz
in diesem Bereich völlig aufgegeben. Aus diesem Grund wurden auch die
Fachleute der Beraterfirma Econum engagiert, die seit Monaten den Prozess
der Kompromissfindung mit ihren teuren Gutachten begleiten.
## Auffällig schlechte Verträge
Sie haben der Kommune schwarz auf weiß ein denkbar schlechtes Zeugnis
ausgestellt: Die Verträge, mit denen die Müllabfuhr 1998 privatisiert
wurde, seien auffällig schlecht, heißt es da. Denn die Dienstleistung war
für 20 Jahre an Private vergeben, aber was dann mit den Müllfahrzeugen, den
Betriebshöfen, den Mülltonnen und zum Beispiel auch den öffentlichen
Papierkörben in der Stadt am Ende der Laufzeit passieren sollte, ist dort
nicht geregelt.
„Weg für immer“ sei der Geist gewesen, mit dem damals diese Verträge
formuliert wurden, beklagt der SPD-Politiker Gottschalk. Die Folge: Die
Firma Nehlsen kann nun pokern, wenn Bremen diese Infrastruktur zurückhaben
will.
Für den Fall, dass der neue Partner nicht wieder Nehlsen heißt, könnte das
teuer werden. Die Müllfirma Remondes, die auch in Bremerhaven die
Müllabfuhr betreibt, hat schon angeklopft. Auch sie würde, wenn sie die
Ausschreibung gewinnen sollte, auf Fachleute von außen zurückgreifen.
## Keine „Call“-Option
Die Experten von Econum beraten andere Städte, die eine kommunale
Müllabfuhr haben, und wissen, dass das geht und dass es Fachleute gibt, die
Bremen „einkaufen“ könnte. Aber Econum kennt auch die Stimmung im
rot-grünen Senat. Das vertrauliche Gutachten vollführt daher einen
klassischen Eiertanz und verweist auf „steuerliche Nachteile“ und die
„Gewinnerzielungsabsicht“. Der Vorteil der Privaten dagegen sei ihre
„größere tarifliche Flexibilität“, geringerer Krankenstand, effizientere
innere Steuerung.
Entscheidend sei, das zeigten gute Beispiele der kommunalen Müllabfuhr in
anderen Städten, die Kompetenz der Betriebsführung. Und, so fassen die
Gutachter in ihrer streng vertraulichen Expertise zusammen: „Bei gleich
gewichteten Kriterien ergäbe sich eine Vorteilhaftigkeit für eine
Beteiligung (der Stadt) als Mehrheitsgesellschafterin.“
Am Ende müssen die Gutachter dann natürlich, weil sie ihre Beraterarbeit
fortsetzen wollen, das empfehlen, was der Senat will. Für den Bereich der
Stadtreinigung hatten die Gutachter dennoch eine „Call“-Option
vorgeschlagen, nach der „nach einer Lernphase von 3-5 Jahren“ die Stadt
wenigstens in diesem Bereich Mehrheitsgesellschafter werden könnte. Eine
solche Option findet sich im Senatsbeschluss allerdings nicht.
## Drei Millionen pro Jahr
Die Grünen, die 1998 als Opposition gegen die Privatisierung waren und
heute gegen die Rekommunalisierung sind, waren davon ausgegangen, dass 25,1
Prozent staatlicher Einfluss ausreichen würde. Das, so die Gutachter, würde
aber „nicht den Zielen der Stadtgemeinde“ entsprechen, weil es am Ende
nicht mehr als eine „Kapitalanlage“ sei.
Für die 49,9 Prozent sprach am Ende zudem, dass die Kommune die Hälfte der
Gewinne bekommen würde – der Senat geht von drei Millionen Euro pro Jahr
aus. Auch die müssen, wie die Gewerbe- und die Mehrwertsteuer, die in das
Staatssäckel fließen, aus den Müllgebühren bezahlt werden.
7 Aug 2016
## AUTOREN
Klaus Wolschner
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