# taz.de -- Müll: Volksentscheid rückt näher | |
> Gewerkschaft Ver.di feiert im Kampf um die Rekommunalisierung der | |
> Abfallwirtschaft einen Etappensieg. Derweil hat ein ENO-Betriebsrat | |
> Hausverbot. | |
Bild: Die Gewerkschaft will, dass sich Bremen wieder selbst um den Müll kümme… | |
BREMEN taz | In der Debatte um eine mögliche Rekommunalisierung der | |
Abfallwirtschaft gerät die rot-grüne Regierung weiter unter Druck. Binnen | |
sechs Wochen sammelte die Gewerkschaft Ver.di über 5.000 Unterschriften für | |
ihr Volksbegehren „Müllabfuhr in Bürgerhand“. Das erklärte Ziel: Nächst… | |
Jahr, wenn der neue Landtag gewählt wird, soll das Wahlvolk selbst | |
entscheiden. | |
Die erste Hürde ist genommen. Erkennt der Landeswahlleiter die | |
Unterschriften an, haben die Initiatoren drei Monate Zeit, um fünf Prozent | |
der Wahlberechtigten in Bremen zu mobilisieren, also etwa 25.000 | |
Unterschriften zu sammeln. Gelingt das, muss der Senat über das | |
Volksbegehren entscheiden. Er kann es übernehmen – und muss sich im Falle | |
einer Ablehnung dem Volksentscheid stellen. | |
Hintergrund der Debatte: 2018 laufen die Verträge mit der heute vollständig | |
zur Nehlsen AG gehörenden Entsorgung Nord (ENO) aus. Die Große Koalition | |
verkaufte sie 1998 für 176,9 Millionen Mark. 2018 wäre die Gelegenheit, sie | |
wieder zu verstaatlichen. Dass mit dem Müll dauerhaft Profite zu erzielen | |
sind, sei „unstrittig“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Ernst Mönnich: | |
„Das war immer so.“ Er spricht von einem „Huhn, das goldene Eier legt“. | |
Doch die rot-grüne Koalition ist zögerlich. Die Landesregierung hat zwar | |
noch nicht abschließend entschieden, was sie wollen soll, auch in den | |
beiden Parteien ist man noch etwas unentschieden. Bislang favorisiert der | |
Senat aber eher eine Public Private Partnership, also eine Zusammenarbeit | |
mit einem privatem Müllentsorger. So will man von den „Vorteilen | |
privatwirtschaftlichen Know-hows“ profitieren, der Kommune aber eine | |
„stärkere Position“ sichern. | |
Das klingt nach einem Kompromiss, der das Beste aus beiden Welten vereint. | |
Doch aus Sicht der Gewerkschaftler wäre es Symbolpolitik ohne Wert: „Von so | |
einem Modell halte ich gar nichts“, sagt Karl Abeler, | |
Betriebsratsvorsitzender der ENO und Konzernbetriebsrat bei Nehlsen. Eine | |
solche Firma, sagt er, wäre am Ende nicht viel transparenter als heute | |
Nehlsen – die Firma verheimlicht erfolgreich, wie lukrativ ihr Geschäft mit | |
dem Müll wirklich ist. Außerdem, so Abeler, wäre umweltpolitisch nicht viel | |
gewonnen, finanziell gingen aber Steuervorteile in Millionenhöhe verloren, | |
die nur ein rein kommunaler Müllentsorger hätte. Zwar müsste Bremen seine | |
Müllwerker besser bezahlen als heute Nehlsen viele seiner Leute, doch die | |
Gewerkschaft geht davon aus, dass der jährliche Gewinn – Ver.di geht von | |
mindestens sechs Millionen Euro aus – die Mehrkosten von etwa 1,5 Millionen | |
Euro trägt. | |
Den Einwand von Rot-Grün, die Stadtgemeinde Bremen verfüge heute über | |
keinen müllpolitischen Sachverstand mehr, lässt Gewerkschaftssekretär | |
Stefan Schubert ebenso wenig gelten wie die das Argument, dass bislang vor | |
allem kleinere Kommunen ihre Abfallwirtschaft wieder verstaatlicht haben, | |
Bergkamen etwa. Schließlich werde der Müll in Berlin, München und Hamburg | |
ja auch kommunal entsorgt – „und da funktioniert es“, so Schubert. „Es | |
spricht wenig gegen eine Rekommunalisierung“, sagt er, „es fehlt nur der | |
Mut.“ Ver.di hofft, dass der Senat am Ende noch einlenkt, ehe am | |
Wahlsonntag der Volksentscheid droht. Die Gewerkschaft ist guter Dinge: | |
Viele Leute seien gut informiert und hätten teilweise Schlange gestanden, | |
um für das Volksbegehren zu unterschreiben, sagt Bezirksgeschäftsführer | |
Rainer Kuhn. | |
Die Gewerkschafter versprechen sich von der Rekommunalisierung vor allem | |
bessere Arbeitsbedingungen für die Müllwerker. 2018 wird es Schätzungen | |
zufolge noch etwa 300 Beschäftigte geben, die im Falle einer | |
Rekommunalisierung wohl ein Rückkehrrecht in den öffentlichen Dienst | |
hätten. Der Altersdurchschnitt bei der ENO liegt jenseits der 50, neu | |
eingestellten Leuten zahle Nehlsen gut 20 Prozent und mehr unter Tarif, | |
sagt Ver.di. Auch die LeiharbeiterInnen – ihre Quote liegt nach | |
Firmenangaben bei 7,7 Prozent – bekämen den Mindestlohn der | |
Entsorgungsbranche, sagt der Senat. | |
Doch es geht um mehr als nur die Bezahlung: ENO-Betriebsratschef Abeler | |
etwa hat in der betriebseigenen Werkstatt von der Geschäftsführung | |
Hausverbot bekommen. Jetzt darf er nicht mehr gucken, ob dort bei der | |
Arbeitssicherheit alles okay ist. „Dabei gab es da vor Kurzem einen | |
schweren Unfall“, sagt Abeler. Die Werkstatt wurde 2002 ausgegliedert, seit | |
2010 gilt dort ein Haustarifvertrag mit schlechteren Konditionen. Zwar gebe | |
es schon vier Arbeitsgerichtsurteile, laut denen er Zutritt zur Werkstatt | |
hätte, sagt Abeler, doch die Firmenleitung legte stets Beschwerde ein – nun | |
entscheidet das Bundesarbeitsgericht. Vor 2008, solange der Energiekonzern | |
SWB noch an der Firma beteiligt war, habe es das „so nicht gegeben“. „Und… | |
sagt Abeler, „im öffentlichen Dienst passieren solche Dinge nicht.“ | |
8 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan Zier | |
Jan Zier | |
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