| # taz.de -- Jura-Prof Andreas Fisahn über Rekommunalisierung: „Aufgeschoben … | |
| > Zehn Jahre auf die Rekommunalisierung der Müllabfuhr hinzuarbeiten, hält | |
| > Fisahn angesichts der TTIP Verhandlungen für eine schlechte Idee. | |
| Bild: Ceta-Experte und Jura-Prof. Andreas Fisahn wohnt in Bremen | |
| taz: Die Bremer SPD hat beschlossen, dass sie im Jahre 2018 die vor zwanzig | |
| Jahren privatisierte Müllabfuhr wieder rekommunalisieren will. Ist das eine | |
| gute Idee, Herr Fisahn? | |
| Andreas Fisahn: Nein, das ist keine gute Idee. | |
| Warum nicht? | |
| Niemand weiß, ob die, die in zehn Jahren noch für die SPD etwas zu sagen | |
| haben, das dann auch noch wollen. Das sieht aus wie aufgeschoben, ist aber | |
| aufgehoben. | |
| Werden die internationalen Abkommen, die gerade verhandelt werden, | |
| Rekommunalisierung dann noch erlauben? | |
| TTIP, Ceta und auch Tisa sollen auch im Bereich der öffentlichen Dienste | |
| unter dem Stichwort „Liberalisierung“ mehr Privatisierung und Marktöffnung | |
| schaffen. Insbesondere ein Rückgängig-Machen soll deutlich erschwert | |
| werden. Während es bei Ceta um ein Übereinkommen zwischen EU und Kanada | |
| geht und bei TTIP um eines zwischen den USA und der EU, soll Tisa ein | |
| internationales Abkommen sein, wo die EU mit 23 Partnern verhandelt. Die | |
| Ergebnisse da sind vollkommen offen. | |
| Warum werden die Verhandlungspositionen bei TTIP und Ceta nicht öffentlich | |
| gemacht? | |
| Die Regierungen sagen: Wenn wir die Verhandlungspositionen öffentlich | |
| machen, können wir nicht mehr verhandeln. Das Ceta-Abkommen ist | |
| ausverhandelt und veröffentlicht worden. Da wird deutlich: Das hätte man | |
| auch einfacher gestalten können. Es sieht für mich so aus, als sei es | |
| gewollt, dass dieses Konvolut selbst für Juristen manchmal kaum | |
| nachvollziehbar ist. | |
| Wenn ein nationales Parlament einem Abkommen zustimmen soll, muss das doch | |
| vorgelegt werden. | |
| Klar. Für Ceta steht die EU-Kommission aber auf dem Standpunkt, dass die | |
| einzelnen Parlamente in der EU nicht zustimmen müssen. Bei internationalen | |
| Abkommen haben nationale Parlamente zudem keine Chance, noch etwas zu | |
| verändern. Wenn einer etwas ändern will, müssen alle zustimmen, d.h. die | |
| gesamten Verhandlungen müssten neu beginnen. Das wäre natürlich ein Joker | |
| für Griechenland: Wenn die EU die Zustimmung der griechischen | |
| Parlamentsmehrheit braucht, müsste sie sich das wohl etwas kosten lassen. | |
| Selbst für den Europäischen Rat ist offen, ob er einstimmig oder nur | |
| mehrheitlich zustimmen muss. | |
| In der Diskussion wird auf das Beispiel einer kanadischen Provinzregierung | |
| verwiesen, die eine öffentliche Kfz-Versicherung mit günstigen Tarifen für | |
| bedürftige Menschen einrichten wollte und das wegen des vergleichbaren | |
| Liberalisierungsabkommens Nafta mit den USA nicht durfte. | |
| Subventionierung gilt dann als Wettbewerbsverzerrung. Ceta normiert zum | |
| Beispiel, dass bestimmte öffentliche Dienstleistungen international | |
| ausgeschrieben werden müssen. Welche das sind, wird in langen Listen | |
| aufgeführt. Die Müllabfuhr, das war ja unser Ausgangspunkt, ist nicht | |
| dabei, also muss diese Dienstleistung nicht ausgeschrieben werden. Aber es | |
| gibt eine besondere Klausel: Sobald sich die europäische Rechtsetzung | |
| ändert, also die Konzessionsrichtlinie, sollen diese Bereiche auch nach | |
| Ceta ausschreibungspflichtig werden. | |
| Marktöffnung auch für die Daseinsvorsorge? | |
| Grundsätzlich sollen alle Dienstleistungen, eben auch die öffentlichen, im | |
| Wettbewerb erbracht werden. Das heißt europäische Liberalisierungspflicht. | |
| Es bedeutet, dass staatliche Privilegien untersagt sind, staatliche | |
| Betriebe mit privaten Anbietern auf dem Markt grundsätzlich konkurrieren | |
| müssen. Allerdings gibt es für diesen Wettbewerb im Bereich der | |
| öffentlichen Dienstleistungen Listen mit Ausnahmen. Ausnahmen von der | |
| Politik der Marktöffnung macht Deutschland bei der Kunst, den Medien im | |
| Interesse des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Was in den Ausnahmen nicht | |
| erwähnt wird, muss dem Markt geöffnet werden. Der Anhang I nennt die | |
| Marktöffnung für Wassernetze, für die Stromnetze, aber nicht für die | |
| Stromversorgung. Müllabfuhr kommt nicht vor. | |
| Wo ist also das Problem? | |
| Das Problem dieser Regelungstechnik ist, dass vergessene Bereiche oder neue | |
| Tätigkeitsfelder der öffentlichen Hand nicht geschützt werden dürfen, also | |
| keine Sonderregelungen für sie geschaffen werden dürfen. Das gilt dann etwa | |
| für das Beispiel der öffentlichen Kfz-Versicherung in Kanada, wenn die | |
| subventioniert wird, weil das gegen die gleichen Marktchancen verstoßen | |
| würde. Schließlich gilt für diese Ausnahmen: Man darf die Marktöffnung | |
| weiter treiben, aber nicht zurücknehmen. | |
| Das ist die ratchet-Klausel. | |
| Ja. Schritte zur weiteren Liberalisierung sind zulässig, Korrekturen zur | |
| Bändigung des Marktes eben nicht. Es gibt einen Anhang II des | |
| Ceta-Abkommens, der dafür wieder Ausnahmen festlegt und sagt, in welchen | |
| Bereichen Marktöffnungen zurückgenommen werden können. Deutschland hat da | |
| nicht nur den Wasserbereich aufgenommen, sondern offenbar auch die | |
| Abfallentsorgung. | |
| Wer steckt hinter den Verhandlungen? Wer will diese Abkommen? | |
| Es gibt die Überzeugungstäter, die sagen, Freihandel ist immer gut. Das | |
| sind die Freihandelsideologen, die mit ihrer – eigentlich gescheiterten | |
| Philosophie – leider immer noch hegemonial sind, also die öffentliche | |
| Diskussion beherrschen. Der frühere Finanzminister Peer Steinbrück und | |
| andere sagen: Wir müssen uns vor allem gegen China wehren, wenn wir in | |
| Europa und Amerika mit TTIP und Ceta gemeinsame Standards setzen, dann kann | |
| das aus China nicht so einfach unterlaufen werden. Anders gesagt: Die | |
| Wettbewerbssituation europäischer Unternehmen soll gestärkt werden. | |
| Insbesondere fürchten einige, dass die USA mit asiatisch-pazifischen | |
| Staaten kooperiert und europäische Konzerne ins Hintertreffen geraten. Und | |
| schließlich gibt es natürlich handfeste Interessen bei einigen Unternehmen | |
| oder die Politiker unterstellen solche. Dabei sind die Zölle nicht wirklich | |
| relevant – wir haben im Durchschnitt nur vier Prozent Zölle bei den | |
| Industrieprodukten. Es geht um sogenannte nichttarifäre | |
| Handelsbeschränkungen. | |
| Das müssen Sie erklären. | |
| Es geht abstrakt um Standards, Regeln im Bereich Umweltschutz- | |
| Verbraucherschutz oder Produktsicherheit. Erläutern kann man das an einem | |
| zunächst „neutralen“ Bereich wie der Autoindustrie. Europäische Autos sind | |
| in Sachen Sicherheit nicht schlechter oder besser als us-amerikanische. | |
| Aber es gibt Normierungen für die Technik, die eingehalten werden müssen. | |
| Es gibt zum Beispiel in der Autoindustrie das Problem, dass die USA für | |
| Blinker andere Standards haben als europäische Staaten. Das kostet Geld, | |
| weil man die Produktion für den Export jeweils umstellen muss. Man könnte | |
| natürlich fragen, ob es sinnvoll ist, Autos von ost nach west und von west | |
| nach ost über den Atlantik zu schippern – aber dann zweifelt man wieder an | |
| der Logik des Marktes. | |
| Das Problem tritt da auf, wo man unterschiedliche Vorstellungen von | |
| sicherheit hat. Wenn die EU einfach prinzipiell sagen würde: Wir erkennen | |
| an, was in den USA zugelassen wird, dann bekäme man Probleme im Umwelt- und | |
| Verbraucherschutz– das Chlorhühnchen ist dafür sinnfälliges Symbol | |
| geworden. | |
| In den USA ist erlaubt, was nicht verboten ist … | |
| … aber mit hohen Haftungsrisiken. Da stoßen zwei unterschiedlichen | |
| Philosophien aufeinander: In Deutschland gibt es das Vorsorgeprinzip. Das | |
| bedeutet, ein Produkt, eine Verfahren kann verboten werden, wenn man | |
| annimmt, dass es Risiken enthält ohne diese exakt wissenschaftlich | |
| nachweisen zu können. Deshalb sind in Europa einige Gen-Mais Sorten nicht | |
| erlaubt, die in den USA vermarktet werden.– IIn den USA braucht es einen | |
| exakten wissenschaftlichen Nachweis, dass etwas umweltschädlich ist – | |
| solange Zweifel bestehen, kann das Produkt nicht verboten werden. Beide | |
| Systeme haben Vor- und Nachteile. Schwierig wird es, wenn man beide Systeme | |
| kombinieren will. In Europa gibt es keine ausreichenden | |
| Haftungs-Regelungen, insbesondere nicht für Umweltschäden. | |
| Wenn jetzt der Handel umfassend liberalisiert werden soll, müsste Europa | |
| wissenschaftlich exakt nachweisen, dass ein bestimmtes Produkt | |
| umweltschädlich ist, um die Einfuhr zu untersagen? | |
| Nach dem amerikanischen System ja. Beim Thema Klimawandel etwa erkennen die | |
| USA die wissenschaftlichen Studien, die in Europa zu Vorsorge-Maßnahmen | |
| führen - etwa CO2-Reduktion -, nicht als letzte Beweise an. Die USA sagen, | |
| „kann man nicht beweisen – wir müssen nichts tun“; die EU sagt, „es gi… | |
| genug Anhaltspunkte, wir müssen etwas tun.“ In CETA ist nun festgehalten, | |
| dass etwa ein Importverbot von Waren zulässig ist zum Schutz der Umwelt | |
| oder der Gesundheit der Menschen. Aber – darauf kommt es an – es muss | |
| wissenschaftlich bewiesen sein, dass Gefahren von diesem Produkt ausgehen. | |
| CETA hebelt also das Vorsorgeprinzip aus und von TTIP ist ähnliches zu | |
| erwarten. | |
| Umstritten ist auch der Gesundheitssektor. | |
| Das fällt ins den Bereich TISA, dazu kann man noch nicht viel sagen. Klar, | |
| es sollenDienstleistungen liberalisiert werden. Dass dann ein Unternehmen | |
| aus Paraguay mit den dortigen Maßstäben in Deutschland eine Filiale | |
| eröffnen und seine Produkte anbieten kann, muss man aber nicht befürchten. | |
| Wann wird das alles beschlossen? | |
| Für TTIP und Tisa ist es vollkommen offen. Ursprünglich sollte TTIP vor den | |
| Wahlen in den USA unter Dach und Fach sein. Das wird nicht gelingen. Für | |
| Ceta gab es einen Zeitplan, der in diesem Jahr eine Unterzeichnung vorsah. | |
| Auch das scheint nicht zu klappen, weil vor allem die „privaten“ | |
| Schiedsgerichte, der Investitionsschutz für Unternehmen, über den wir nicht | |
| gesprochen haben, heftig diskutiert wird, auch innerhalb der | |
| Sozialdemokratie. Im EU-Parlament muss es in jedem Fall eine Mehrheit | |
| geben, dafür sind auch die sozialdemokratischen Stimmen entscheidend. | |
| Sicher scheint diese Mehrheit gegenwärtig nicht zu sein. | |
| 29 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Wolschner | |
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