# taz.de -- Müll-Rekommunalisierung: Abfall nur im Frühstückskreis | |
> Vertraulich ist der „Zwischenbericht“ des Senats zur Rekommunalisierung | |
> der Entsorgung – vermutlich, weil er sich nur als Dokument der | |
> Ratlosigkeit liest. | |
Bild: In Sachen Müll sind in Bremen alle merkwürdig schweigsam, das musste im… | |
Wie jeden Dienstag hat der Senat gestern getagt. Es gab eine Reihe minder | |
bedeutender Punkte auf der Tagesordnung, die „Senatspressekonferenz“, | |
vorgesehen eigentlich immer für 12 Uhr nach der Sitzung, wurde abgesagt. | |
Nichts mitzuteilen. | |
Wirklich nichts? Regelmäßig werden Themen, über die nichts mitgeteilt | |
werden soll, in der „Frühstücksrunde“ vor der eigentlichen Senatssitzung | |
abgehandelt – im kleinen Kreis, ohne Erwähnung im offiziellen Protokoll. | |
Schon zum zweiten Mal ging es da ums Thema „Rekommunalisierung der | |
Müllentsorgung ab 2018“. Dazu will der Senat nichts sagen: Wichtige | |
Gutachten über wirtschaftliche Fragen würden fehlen, heißt es offiziell. | |
„Wir wollen prüfen, ob nach Auslaufen der Privatisierungsverträge 2018 eine | |
Rekommunalisierung der Abfallsammlung sinnvoll ist“, hatte die rot-grüne | |
Koalition in ihre Koalitionsvereinbarung 2011 geschrieben. Die ersten Jahre | |
hat niemand diesen Auftrag ernst genommen. Nun gibt es Zeitdruck, nachdem | |
die Gewerkschaft Ver.di Unterschriften sammelt zu einem Bürgerbegehren und | |
einem Volksentscheid in dieser Frage. | |
Wie die Prüfung seitens der Koalitionspartner stattfindet, welche Probleme | |
der Senat sieht – das alles wird in der „Frühstücksrunde“ erörtert, h�… | |
vertraulich: Die Bevölkerung soll das offenbar nichts angehen. Schon Ende | |
Juni hatte die Frühstücksrunde ein „Eckpunktepapier“ zur Kenntnis genomme… | |
das zu dem „Fazit“ kommt, dass bei der Organisation der Müllabfuhr die | |
„Vorteile privatwirtschaftlichen Know-hows“ weiter genutzt werden sollten, | |
allerdings sollte es eine „stärkere kommunale Position“ geben. Konkret: Man | |
favorisiert ein „Public Private Partnership“-Modell der Zusammenarbeit von | |
privatem Müllentsorger und öffentlicher Hand. In einem gestern vorgelegten | |
„ersten Zwischenbericht“ hat nun der Senat die Probleme im Detail | |
dargestellt. | |
Problem eins: „Abgesehen von Düsseldorf hat keine der deutschen Großstädte | |
über 500.000 Einwohner eine so weitreichende Privatisierung durchgeführt | |
wie Bremen.“ | |
Es gibt auch CDU-Kommunen, die ihren Müll kommunal entsorgen und über | |
Privatisierung nicht nachdenken, darauf verwies der stellvertretende | |
CDU-Fraktionsvorsitzende Heiko Strohmann bei einer Diskussion vor den | |
Mitarbeitern der ehemals kommunalen Entsorgungsfirma ENO. Als Modell einer | |
erfolgreichen Rekommunalisierung gilt die Stadt Bergkamen. Das Ergebnis: | |
kein Lohndumping mehr, gleichzeitig Gebührensenkungen. | |
Der Bremer Senat ist aber nicht nach Bergkamen gefahren, um zu gucken, wie | |
es geht. Stattdessen wendet er in dem ersten Zwischenbericht die Argumente | |
für seine vorher gefasste Position, dass es nicht geht, weil die Kommune | |
Bremen überfordert wäre, die Müllabfuhr zu organisieren. Etwas umständlich | |
heißt es in dem vertraulichen Papier: „Das fachliche Know-how des | |
vorhandenen Personals in Bezug auf die Durchführung der operativen Aufgaben | |
ist in der Abfallentsorgung wenig bis schwach ausgeprägt.“ Und: „Die | |
Wirtschaftlichkeit kann evtl. nicht dauerhaft und nachhaltig gehalten | |
werden.“ | |
Warum das so ist? Ganz einfach: „Kommunale Betriebe werden bisweilen durch | |
politisch motivierte Einflussnahme zu einem Tun oder Unterlassen | |
veranlasst“, und: „Öffentlich-rechtliche Organisationsformen haben häufig | |
komplizierte Entscheidungswege zu beachten. Die Kompetenzen der | |
Betriebsleitung sind unklar, Konflikte zwischen den beteiligten Gremien | |
behindern Entscheidungen“. Und so weiter. | |
Allerdings gäbe es bei einem „weiter so wie bisher“, also bei erneuter | |
europaweiter Ausschreibung für die nächsten 20 Jahre, einen Haken: 1998 war | |
die „Entsorgung Nord“ eine kommunale Firma. Bremen konnte in der | |
Ausschreibung zur Bedingung machen, dass Bieter diese Firma übernehmen. | |
Nehlsen übernahm sie – mit damals 706 Mitarbeitern und | |
öffentlich-rechtlicher Tarifbindung (TVöD). Davon sind noch rund 300 da. | |
Neueinstellungen nahm Nehlsen nur in anderen Tochterfirmen vor, in denen | |
bis 20 Prozent weniger Lohnkosten anfallen: Dort bezahl die Nehlsen AG | |
nicht einmal den privaten Entsorger-Tarif. | |
Im Rahmen einer neuen Ausschreibung kann Bremen von den Bietern aber nicht | |
verlangen, dass sie von Nehlsen deren Tochterfirma ENO mit Tarifbindung | |
kaufen. Durch die TvöD-Tarife entstehen rund 500.000 Euro an zusätzlichen | |
Lohnkosten jährlich: Wer „ohne ENO“ bieten kann, hat einen Preisvorteil | |
gegen Nehlsen. Verlöre Nehlsen bei einer Neuausschreibung, stünde ihre | |
Tochter ENO ohne Auftrag da: Sie ginge insolvent. | |
Die alten Müllwerker haben für diesen Fall ein Rückkehrrecht in den | |
Öffentlichen Dienst. Bremen hätte also die Entsorgung an private vergeben, | |
aber 300 Müllwerker bis zu deren Ruhestand zu bezahlen: Ein Risiko, das der | |
Senat mit bis zu 120 Millionen Euro bewertet. | |
Bei einem „PPP“-Beteiligungsmodell sind die rechtlichen Probleme ähnlich | |
komplex – der Senat sucht aber zusammen mit Nehlsen nun nach einer Lösung, | |
um eine Ausschreibung zu vermeiden oder aber, ist die unvermeidlich, | |
Nehlsens Sieg-Chancen zu erhöhen. | |
15 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus Wolschner | |
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