# taz.de -- Hasskommentare in Online-Netzwerken: Das Internet zurückerobern | |
> Netzfeministinnen wie Anne Wizorek engagieren sich schon lange gegen | |
> Online-Hasskommentare. Das hat Wirkung, wie ein EU-Beschluss zeigt. | |
Bild: Gibt nicht auf: Anne Wizorek | |
BERLIN taz Wenn Anne Wizorek heute im Netz unterwegs ist, wird so etwas wie | |
ein interner Hassfilter bei ihr aktiv. „Ich weiß gar nicht mehr, wann ich | |
mich das letzte Mal über einen beleidigenden Kommentar in den sozialen | |
Netzwerken geärgert habe, obwohl ich so etwas ständig lese. Ich blende das | |
mittlerweile aus“, sagt die Netzfeministin und Initiatorin der | |
[1][Online-Kampagne #aufschrei.] | |
So wie ihr geht es vielen Frauen, die regelmäßig das Internet nutzen. Das | |
Phänomen hat unterschiedliche Namen – Hasskommentare, Hate Speech oder | |
Cybersexismus – und es ist ein großes Problem. Netzfeministinnen machen | |
seit Jahren darauf aufmerksam. Endlich scheint sich etwas zu tun: Diese | |
Woche einigten sich die EU und wichtige Online-Netzwerke auf ein | |
gemeinsames Vorgehen gegen Hasskommentare. | |
Die Firmen, unter ihnen Facebook, Twitter, YouTube und Microsoft, stimmten | |
Verhaltensrichtlinien zu, die sie verpflichten, schnell und wirksam gegen | |
illegale Hassäußerungen vorzugehen. Die Angestellten sollen so ausgebildet | |
werden, sodass sie verbotene Inhalte erkennen und binnen 24 Stunden | |
entfernen. Auch positive Gegenerzählungen sollen gezielt gefördert werden. | |
Leicht wird diese Aufgabe sicher nicht. Über Jahre hinweg hat sich die | |
Debattenkultur im Netz verpestet. „Das Internet war einmal eine humane | |
Chance. Diese Offenheit und Verfügbarkeit, dass sich jede_r dort frei | |
äußern kann“, sagt Wizorek. Doch Frauenhass und Gewaltandrohungen machten | |
sich in Foren, Kommentarspalten und Online-Netzwerken breit. | |
Neben Anne Wizorek im deutschsprachigen Raum hat vor allem die britische | |
Journalistin und Autorin Laurie Penny den Cybersexismus, wie sie das | |
Phänomen nennt, zu ihrem Thema gemacht. „Mit der Behauptung, diese | |
Hasstiraden seien normal, muss endlich Schluss sein. Das Internet ist ein | |
öffentlicher Raum, ein echter Raum“, schreibt sie in ihrem Buch „Unsagbare | |
Dinge“. Deshalb sind auch Hass und Gewalt im Netz real. | |
Das Internet ist nichts für Frauen | |
Wie real dieser Hass ist, zeigen nicht nur individuelle Erfahrungen, | |
sondern auch diverse Studien. Der britische Thinktank Demos filterte drei | |
Wochen lang Tweets nach den Worten „slut“ oder „whore“. Weltweit wurden… | |
diesem Zeitraum 80.000 Nutzer_innen mit 200.000 solcher Tweets beleidigt. | |
Auch der Guardian [2][beschäftigte sich mit Hate Speech], und zwar auf der | |
eigenen Webseite. Das Ergebnis: Obwohl die Mehrheit der Journalist_innen | |
männlich ist, befinden sich unter den zehn am häufigsten beleidigten | |
Autor_innen acht Frauen und zwei schwarze Männer. | |
Worauf die sexistischen Trolle mit ihren Hasskommentaren zielen, ist für | |
Wizorek klar: „Sie wollen, dass wir wieder aus dem Internet verschwinden. | |
Sie wollen nicht, dass wir sichtbar sind.“ Und sie scheinen damit | |
erfolgreich zu sein. | |
Während öffentliche Personen wie Wizorek oft abstumpfen, ziehen sich manche | |
Privatpersonen als Konsequenz lieber aus dem Netz zurück. „Wenn ich daran | |
denke, wie unbeschwert ich noch vor ein paar Jahren im Netz unterwegs war | |
und was ich dort gepostet habe, dann bin ich immer überrascht, wie | |
leichtfüßig ich unterwegs war. Das ist heute nicht mehr so“, sagt Wizorek | |
auch über sich selbst. „Es entsteht eine Schere im Kopf.“ | |
Angesichts dieser Entwicklungen herrschte lange Zeit eine Art Schockstarre. | |
Das Problem ist offensichtlich, doch was kann man dagegen tun? [3][Mit der | |
Plattform „Reclaim the Internet“], die von Yvette Cooper (Labour-Partei) | |
und anderen Politker_innen kürzlich ins Leben gerufen wurde, formt sich in | |
Großbritannien Widerstand. | |
So wie die Bewegung „Reclaim the Night“ in den 1970er Jahren mit | |
Straßenprotesten begann sich gegen sexuelle Gewalt zu wehren und den | |
öffentlichen Raum wieder für sich zu beanspruchen, so soll es heute mit dem | |
Netz passieren. Die nationale Kampagne im House of Commons soll eine | |
öffentliche Debatte anstoßen. „Das Internet ist für uns heute so wie damals | |
die Straßen und öffentlichen Plätze“, sagte Cooper dem Guardian. | |
Im Online-Forum „Reclaim the Internet“ werden Betroffene angehört und | |
beraten. Dabei bindet das Projekt verschiedene Ebenen ein: Die Polizei, die | |
Online-Netzwerke, die Arbeitgeber_innen und jeden Einzelnen. Sie alle | |
können etwas gegen Hasskommentare in Online-Netzwerken bewirken. | |
„Wir müssen Liebe organisieren“ | |
Auch Anne Wizorek sieht die Verantwortung auf verschiedenen Ebenen. So | |
müssten etwa die Gesetze angepasst, Personal sollte geschult werden. „Wenn | |
Frauen oder andere Gruppen in sozialen Netzwerken Drohungen erhalten und | |
dann zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten und sie dann erstmal | |
gefragt werden: Was ist denn Twitter? Und dann als Antwort kommt: Dann | |
hören sie eben auf, dort zu schreiben, dann ist das nicht zeitgemäß.“ | |
Dazu gehört auch, dass sich Facebook und Co. ihrer Verantwortung stellen. | |
Tatsächlich stehen sie immer häufiger in der Kritik, weil sie beleidigende | |
Kommentare nicht schnell genug löschen. | |
Daneben kann jede_r Einzelne etwas gegen Hasskommentare unternehmen. „Wir | |
müssen die Liebe organisieren“, forderte die Bloggerin Kübra Gümüşay | |
[4][kürzlich auf der Netzkonferenz Re:publica.] „Wir, die Gegenseite, | |
müssen stärker sein als diejenigen, die Hass verbreiten und Ressentiments | |
schüren, indem wir uns klarer positionieren, indem wir uns rechtzeitig | |
positionieren und empören.“ Dafür schlägt sie ein Drei-Punkte-Programm vor. | |
Erstens: Gegen Populismus braucht es Information. Zweitens: Die gesamte | |
Gesellschaft muss Aufklärung betreiben, nicht nur die Betroffenen. | |
Drittens: Empathie zeigen ist wichtig, denn auch online geht es um | |
Menschen. | |
„Wir müssen Liebe organisieren, weil Schweigen im Angesicht des Hasses ein | |
Zustimmen ist“, sagt Gümüşay. Wie das konkret aussehen soll? „Wenn du et… | |
gut findest, dann sag das doch. Dann feier das doch. Wir müssen einander | |
feiern.“ Es sei wichtig, auch mal positives Feedback zu geben, und es | |
Menschen, die man toll findet, auch zu sagen. | |
Die Bemühungen von Netzfeministinnen und einzelnen Politiker_innen scheinen | |
Wirkung zu zeigen. Bleibt zu hoffen, dass die Vereinbarung zwischen der EU | |
und den Online-Netzwerken konsequent umgesetzt wird. Bislang haben Facebook | |
und Co. nur zögerlich auf Hasskommentare reagiert – schließlich sind diese | |
in erster Linie an unseren Daten interessiert. Ein egalitäres Netz ist laut | |
Wizorek aber im Interesse aller: „Wenn sich Frauen aus dem Netz verdrängen | |
lassen, wird unsere gesellschaftliche Vielfalt nicht abgebildet. Und das | |
ist schade, weil das Internet ursprünglich so ein Emanzipationspotential | |
hatte.“ Wir verspielen damit eine Chance für eine gleichberechtigtere | |
Gesellschaft. | |
3 Jun 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://twitter.com/search?q=%23aufschrei&src=typd | |
[2] https://www.theguardian.com/technology/2016/apr/12/the-dark-side-of-guardia… | |
[3] https://ideas.reclaimtheinternet.com/ | |
[4] https://www.youtube.com/watch?v=BNLhT5hZaV8 | |
## AUTOREN | |
Jana Lapper | |
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