| # taz.de -- Debatte Netz-Hetze: Ein §130-Button, aber schnell! | |
| > Facebook ist zum Tummelplatz für Rassisten geworden. Das Unternehmen muss | |
| > gezwungen werden, Hasskommentare zu melden. | |
| Bild: Facebook sollte gezwungen werden, aktiv gegen Hasskommentare vorzugehen | |
| Was einige Facebook-Nutzer mit Meinungsfreiheit verwechseln, hat die | |
| Grenzen der geschmacklichen Verträglichkeit längst gesprengt. Es ist keine | |
| Seltenheit, dass Kommentatoren beispielsweise die Wiedereröffnung von | |
| Konzentrationslagern fordern – für Flüchtlinge und Ausländer, damit „wir… | |
| vor „Massenvergewaltigungen“ sicher seien. Als mich kürzlich wieder ein | |
| derartiger Text erreichte, versuchte ich, diese Attacke bei Facebook zu | |
| melden. | |
| Dies erwies sich allerdings als schier unmöglich. Ich klickte mich durch | |
| etliche Fenster, ohne am Ende genau zu wissen, ob ich überhaupt den | |
| richtigen Beschwerdegrund ausgewählt hatte. Denn das standardisierte | |
| Verfahren erlaubt es nicht, jeden Einzelfall spezifisch zu beschreiben und | |
| die Bedenken mit eigenen Worten zu flankieren. Etwas explizit als | |
| Volksverhetzung zu deklarieren, ist leider auch nicht vorgesehen. | |
| Während ich mich durchs Facebook-Labyrinth klickte, stieß ich immerhin | |
| parallel dazu auf eine Äußerung von Volker Kauder. In einem Interview hatte | |
| der Unions-Fraktionsvorsitzende gedroht, dass seine Geduld mit Facebook | |
| „jetzt zu Ende“ sei. Er schlug vor, dass man künftig die | |
| Social-Media-Dienste belangen sollte, wenn sie Volksverhetzung nicht vom | |
| Bildschirm tilgen. | |
| Dieser Wunsch ist rasant Wirklichkeit geworden: Wie der Spiegel am | |
| Wochenende meldete, geht die Münchener Staatsanwaltschaft gegen Facebook | |
| vor. Dem Unternehmen wird Beihilfe zur Volksverhetzung vorgeworfen. Eine | |
| Liste von Fällen würde dokumentieren, dass Facebook selbst nach | |
| wiederholter Aufforderung gegen seine Pflicht verstoße, rechtswidrige | |
| Inhalte zu löschen. Allerdings ist ein ähnlicher Versuch der Hamburger | |
| Staatsanwaltschaft, das Netzwerk zu belangen, bereits gescheitert – weil | |
| die Facebook-Manager im Ausland sitzen. | |
| Der Versuch, Facebook in die Verantwortung zu nehmen, ist zwar richtig, | |
| aber nicht ausreichend. Wenn man nur die Hass-Postings entfernt, dann | |
| werden die Hetzkommentatoren faktisch entmündigt. Es darf jedoch kein | |
| Lösungsansatz sein, dass ihre Verantwortlichkeit per schnellstmöglicher | |
| Löschung quasi weginfantilisiert wird. Dies wäre ein Schutzbrief für die | |
| Hetzer. | |
| ## Kein Freibrief für Hetzkommentare | |
| Gleiches gilt für den [1][Vorschlag des Hamburger Justizsenators Till | |
| Steffen,] der Facebook zwingen will, eine pauschale Entschädigung zu | |
| zahlen, wenn es Hass-Postings nicht binnen 24 Stunden löscht, nachdem eine | |
| Beschwerde eingegangen ist. Für die Hetzkommentatoren wäre das ein | |
| Freibrief, zumindest am ersten Tag äußern zu können, was sie wollen. | |
| Die vom Staat vermittelte Botschaft wäre dann, dass hetzerische Parolen in | |
| Ordnung sind, solange Facebook sie nur rechtzeitig aus der Welt befördert. | |
| Dies käme einer virtuellen Variante des deutschen Sprichworts „Aus den | |
| Augen, aus dem Sinn“ gleich. Überzeugte Volksverhetzer würde eine derartige | |
| Praxis wohl kaum beeindrucken. Sie könnten weiterhin in ihrem virtuellen | |
| Biotop wüten. | |
| Auf diese Weise suggeriert der Staat ihnen und ihren Gefolgsleuten, dass | |
| Hass-Postings letztlich harmlos sind. Der Aufruf zur Gewalt gegen | |
| Geflüchtete würde wie ein Kavaliersdelikt behandelt. Die Leugnung des | |
| Holocaust würde auf eine Stufe gestellt mit den Bildern von nackten | |
| Brüsten, die Facebook jetzt schon akribisch entfernt. | |
| Es wäre daher ein fatales und viel zu schwaches Signal, Facebook nur dazu | |
| zu verpflichten, volksverhetzende Kommentare zu löschen. Stattdessen müsste | |
| sicher gestellt werden, dass Hasskommentare angezeigt und strafrechtlich | |
| verfolgt werden können. Dies erfordert zwei Schritte. | |
| Erstens: Facebook sollte gezwungen werden, die Meldung von Hasskommentaren | |
| durch andere Nutzer zu erleichtern. Am besten wäre es, wenn man gleich | |
| neben dem „Gefällt mir“-Button auch einen Volksverhetzungsbutton aktivieren | |
| könnte. Statt eines Daumens böte es sich aus naheliegenden Gründen an, ein | |
| „§130“-Icon zu verwenden, das auch die Möglichkeit bieten müsste, knapp … | |
| beschreiben, was einen bedenklich stimmt. Bei Facebook hätten dann | |
| Rechtsexperten zu prüfen, ob die Vorwürfe zutreffen. Für einen | |
| Milliardenkonzern dürfte es bezahlbar sein, diese wenigen Stellen zu | |
| schaffen. | |
| Zweitens: Bestätigen die Facebook-Justiziare, dass die Bedenken berechtigt | |
| sind, so sollte der gemeldete Text zwar von der Oberfläche verschwinden, | |
| aber anders als Kauder oder Steffen empfehlen, nicht komplett gelöscht | |
| werden. Stattdessen sollte Facebook diese Statements archivieren – und eine | |
| Meldepflicht sollte sicherstellen, dass das Netzwerk solche Postings an die | |
| Behörden übermittelt. | |
| ## Pflicht zum Klarnamen | |
| Dies wäre schließlich kein großer Aufwand: Einige Screenshots plus | |
| Klarnamen – und schon könnte die Justiz ihre Arbeit tun. So simpel diese | |
| Vorgehensweise klingt, sie würde allerdings eine der Metafragen um das | |
| Internet tangieren, die hoch umstritten sind: Soll es für alle | |
| Internetnutzer eine Pflicht zur Angabe des Klarnamen geben? Ich bin dafür: | |
| Wenn Bürger als mündige Subjekte auftreten wollen, müssen sie sich auch als | |
| konkrete Personen ihrer Verantwortung stellen können. | |
| Die Meldepflicht an die Behörden sollte nur bei Postings mit | |
| volksverhetzendem Charakter gelten. Werden Privatpersonen angegriffen oder | |
| beleidigt, würden die Texte zwar auch von der Oberfläche getilgt und im | |
| Hintergrund archiviert, wenn Nutzer sich beschwert haben. Aber eine etwaige | |
| Anzeige müsste dann nicht von Facebook, sondern vom Beleidigten selbst | |
| ausgehen. | |
| Facebook sollte den Opfern von Hasskommentaren jedoch hilfreich zur Seite | |
| stehen müssen. Das Unternehmen müsste also sein bereits installiertes | |
| Meldeverfahren überarbeiten – es müsste zu diesem Zweck auch besser | |
| sichtbar und einfacher zu nutzen sein. | |
| Nacktbilder kann Facebook ja weiterhin unwiederbringlich löschen, wenn das | |
| Netzwerk dies als so wichtig empfindet. Aber für persönliche Angriffe und | |
| Menschenverachtung sollte dies nicht gelten. Es wäre ein fatales Zeichen, | |
| wenn niemand für seine Hass-Postings belangt werden könnte. Das Internet | |
| bliebe dann weiterhin ein Tummelplatz von Rassisten, die sich gegenseitig | |
| aufstacheln. | |
| Wenn das aufhören soll, gibt es nur eine vernünftige Lösung: Ein | |
| §130-Button muss her. | |
| 7 Nov 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Roberto De Lapuente | |
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