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# taz.de -- Antifeministische Online-Community: Todeszone Mann
> Der Attentäter von Toronto war offenbar Teil einer Bewegung von
> militanten Frauenhassern. Sie organisieren sich im Internet.
Bild: Auf Plakaten am Tatort in Toronto wird Liebe statt Hass gefordert
Der Feminismus steht kurz davor, alle Männer des Planeten zu unterwerfen.
Ein paar letzte Krieger kämpfen einen verlorenen Kampf, statt Festungen
haben sie Onlineforen, statt Armeen Attentäter.
Soweit bisher bekannt, hat diese [1][misogyne Weltsicht] den Attentäter in
Toronto zu [2][seiner Tat] motiviert. Der 25-jährige Alek Minassian fuhr am
23. April mit einem Lieferwagen in eine Gruppe Fußgänger – acht Frauen und
zwei Männer überlebten die Amokfahrt nicht. Minassian wird nun des
zehnfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes beschuldigt.
Ein Facebook-Posting kurz vor der Tat legt nahe, dass Minassian der
„Incel“-Bewegung angehört. Incel ist die Abkürzung für „involuntary
celibacy“ („unfreiwillige Enthaltsamkeit“) – eine der Splittergruppen, …
in den Ecken der sogenannten „Manosphere“ wohnt.
Patriarchale Unterdrückung ist eine Lüge. Wir leben in einer Diktatur, die
von „political correctness“ bestimmt wird, in der „cultural marxism“
Hollywood und die Hochschulen leitet, Demokraten gezielt an der Auslöschung
der weißen race arbeiten und vor allem: der Mann auf allen Ebenen
unterdrückt und ausgebeutet wird. Diese Weltsicht vertreten Nutzer in
Onlineboards, die Namen wie incel.me, The Red Pill oder auch Return of
Kings haben.
Entstanden aus einer profeministischen Bewegung
Die Manosphere ist also eine lose zusammenhängende Onlinesphäre, deren
verbindendes Element der Maskulinismus ist. Zu ihr zählt man „klassische“
Männerrechtler, Pick-up-Artists, verschwörungstheoretische Red Piller, die
das angebliche herrschende Patriarchat als Lüge durchschaut haben wollen,
wie auch Incels. Überschneidungen oder Doppelzugehörigkeiten sind dabei
eher die Regel als die Ausnahme.
Der Ursprung der Manosphere liegt bei der Männer- und Väterbewegung, die
sich am Feminismus der 68er orientierte. Doch was als notwendige Kritik
toxischer Männlichkeit und patriarchaler Zurichtung am Mann begann, erlebte
in den Jahrzehnten danach einen antifeministischen Backlash. Eine
„ursprüngliche“ Männlichkeit wollte gleichermaßen wieder entdeckt werden
wie man den Feminismus als die Büchse der Pandora ausmachte. Aus der
feministischen Selbsterfahrung wurde der frauenhassende Männerbund. Man
fokussierte sich auf Diskriminierung gegen Väter und Gewalt gegen Männer,
für die man den Feminismus verantwortlich machte.
Im Internet fanden die lokal überschaubaren Bewegungen reichhaltigen
Nährboden. In den Imageboards und Foren, die in den 2000ern populär wurden,
fanden diese Männer ein Zuhause. Schon wenige Jahre später gründete sich
eine Community unter dem Namen „Men Going Their Own Way“ (Männer gehen
ihren eigenen Weg).
In ihren Grundannahmen wenig von klassischem Männerrechtsaktivismus
verschieden, wählten die MGTOW nicht den aktivistischen Kampf um die
Öffentlichkeit, sondern den im safe space des entfeminisierten Raums. Ein
Kodex unterrichtet vier Stufen dieses Weges. Fordern die ersten beiden
einen Rückzug ins Zölibat, zielen die letzten beiden politisch aufgepeppt
auf Unabhängigkeit von einer tyrannisch empfunden Regierung – den ganz
eigenen Weg findet der Mann autark in einer Hütte im Wald.
Schuld sind die Frauen
Für die MGTOW war klar, dass die Unterdrückung des männlichen Geschlechts
der Hauptwiderspruch unserer Zeit ist. In diesem Umfeld verorten sich auch
die Pick-up-Artists. Diese schaffen ein Angebot, das zumindest für
unentschiedene MGTOW eine Alternative zum Exil bietet. Mit
„Verführungstipps“, die auf wenig mehr hinauslaufen als psychologische
Manipulation und Date-Rape-Tipps, lehren sie, die Frau zu unterwerfen. Und
dann wären da noch die, die ihr Exil als Strafe sehen: Incels.
Ursprünglich wurde der Begriff Incel von einer Kanadierin in die Welt
gesetzt, um ihre sexuelle Einsamkeit zu thematisieren. Inzwischen haben ihn
Männer okkupiert, deren Obsession es ist, noch nie Sex gehabt zu haben.
Schuld daran sind aus ihrer Sicht Frauen.
Für Incels gibt es keine größere Kränkung, als keinen Sex zu haben, und in
ihrer Vorstellung wird ihnen der Sex aktiv von Frauen (im Incel-Vokabular
als „Stacys“ bezeichnet) verweigert. Diese schlafen ausschließlich mit
attraktiven, großen Supertypen („Chads“). Wenn sie Mitte 30 und
„verbraucht“ sind, angeln sie sich einen „betamale“, der sie aushält. …
minimale Abweichungen vom herrschenden Schönheitsideal sind Gründe, wegen
derer Incels sich von der oberflächlichen Damenwelt disqualifiziert fühlen.
Ihr Frauenideal? „Sie soll mich mit ‚Meister‘ ansprechen, alle meine
Befehle befolgen und alle ihre Lust für mich aufsparen, Jungfrau sein vor
unserer Ehe, und mich immer um Erlaubnis fragen“, so beschreibt ein User
der Plattform „Reddit“ seine Traumfrau. Selbstbestimmte weibliche
Sexualität flößt Angst ein. Frauen müssen in Incel-Logik dafür bestraft
werden. So tauscht man online Vergewaltigungstipps aus und prahlt mit Taten
sexueller Belästigung.
Der Abgrund starrt zurück
Incels radikalisieren die Abkehr von der „weiblichen Welt“ – den Weg, den
MGTOW einschlug. Sie streichen den pathetischen Optimismus, der in der Idee
der männlichen Selbstbestimmung lag und sehen ihre eigene Abkehr von der
Welt nur noch als Folge völlig determinierter gesellschaftlicher
Verhältnisse. Sie sind der Endzeitkult der Manosphere und bezeichnen sich
als „black piller“. Diese ultimative Pille würde nur noch die
unveränderliche Tragödie, die das moderne Leben ist, zeigen.
Diese Möchtegern-Nietzsches wagen nicht nur den Blick in den Abgrund,
sondern genießen, wenn sie dessen Starren spüren. Dieser tiefsitzende
Nihilismus ist es, der Angriffe wie den von Minassian in Toronto antreibt.
Man erlebt sich als Krieger eines verlorenen Kampfes, der einen
verzweifelten Angriff startet. Der bekannteste dieser Krieger dürfte Elliot
Rodger sein, der von Incels auch „Heiliger“ genannt wird. In einem
Facebook-Post direkt vor seiner Tat grüßt Alek Minassian ihn als „obersten
Gentleman“ und verkündet, die Incel-Revolution habe begonnen.
Rodger ermordete 2014 nahe des Campus der Santa Barbara University in
Kalifornien sechs Menschen und verletzte 14 weitere. Er hinterließ ein
Manifest, in dem er die von einer Zukunft träumt, in der die Menschheit vom
Sex befreit ist. Dafür, so er, müssten nur alle Frauen in
Konzentrationslagern hingerichtet werden.
Oder George Sodini, der 2009 drei Frauen in einem Fitnessstudio erschoss
und ein Onlinetagebuch hinterließ, in dem er ausführlich sein hasserfülltes
Verhältnis zum Weiblichen reflektiert. Minassian, Rodger und Sodini erleben
sich als Märtyrer der politischen Ideologie eines wahnhaften
Antifeminismus.
Antifeministischer Terrorismus
Es ist schwer, einer Onlinebewegung, die aus Nicknames und anonymen
Beiträgen besteht, eine reale Entsprechung, Gesichter oder Namen zu
verleihen. Die meisten User bleiben gesichtslos. Aus der Manosphere sind es
nur die Pick-up-Artists, die öffentlich auftreten, weil ihr Berufsmodell es
verlangt. Braincel, eines der Unterforen, die die Lücke des gebannten
r/incel-Subreddits füllten, zählt heute 17.500 User, MGTOW sogar fast
55.000. Sie sind Teil der größer werdenden Masse, die hinter dem abstrakten
Begriff des „Rechtsrucks“ steht.
Incels sind eine aktive Bewegung, die auf Anerkennung dringt und vor
Terrorismus nicht zurückschreckt. Denn die Terrorattentate von Minassian,
Rodger und Sodini sind nur in ihrer Radikalität Einzelfälle: ein aktueller
Post auf r/Braincels propagiert beispielsweise Säureangriffe auf Frauen.
Eine Angriffsform, die selten zur Ermittlungen oder gar zu Festnahmen
führt: In Berlin griff ein Unbekannter letztes Jahr sechs Frauen von einem
Fahrrad aus mit Säure an ohne ermittelt zu werden, ein Trittbrettfahrer
zwei Monate später wurde auch nicht gefasst.
Neu ist solche Gewalt nicht, aber Vernetzung und Gruppenbildung sind es. In
Alek Minassian haben sie eine weitere Heiligenfigur erhalten, die zum
Vorbild des Nächsten werden könnte, der sein Leben dem großen,
antifeministischen Terror widmen will.
1 May 2018
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## AUTOREN
Arved Clute-Simon
Veronika Kracher
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