# taz.de -- Razzia gegen Internethetzer: Der große Gegenschlag | |
> Mehr als 60 Hausdurchsuchungen bundesweit: Die Bundesregierung will die | |
> Prävention gegen Extremismus ausbauen. | |
Bild: Thomas de Maizière und Manuela Schwesig stellen das Präventionsprogramm… | |
BERLIN taz | Die Polizisten kamen um 6 Uhr morgens. In 14 Bundesländern | |
standen sie vor den Türen von rund 60 Beschuldigten. Die Vorwürfe: | |
Androhung von Gewalttaten, Verunglimpfung, Bedrohung, Nötigung. Allesamt | |
Straftaten, welche die Verdächtigen im Internet verübt haben sollen – mit | |
Hasspostings. | |
Die Razzien am Mittwoch waren ein Novum. Erstmalig hatte das | |
Bundeskriminalamt (BKA) einen bundesweiten „Einsatztag“ gegen Hasspostings | |
ausgerufen. Smartphones, Laptops und PCs beschlagnahmten die Beamten. „Wir | |
müssen einer Verrohung der Sprache Einhalt gebieten und strafbare Inhalte | |
konsequent verfolgen“, sagte BKA-Präsident Holger Münch. | |
Im Visier der Ermittler stand vor allem eine Facebookgruppe namens | |
„Großdeutschland“. Mitschreiben durfte nur, wer von einem Mitglied | |
aufgenommen wurde. Moderatoren waren zwei Bayern, 42 und 37 Jahre alt. | |
Gleich 36 der Beschuldigten tummelten sich in der Gruppe, die inzwischen | |
gelöscht ist. Die meisten waren den Ermittlern politisch nicht bekannt. | |
„Umso größer der Jude, desto wärmer die Bude“, schrieb ein Nutzer. | |
Gewaltfantasien gegen Flüchtlinge wurden gepostet, Politiker wüst | |
beschimpft, Hakenkreuzbilder veröffentlicht. | |
## Zahllose Straftaten | |
Die Staatsanwaltschaft Kempten ermittelt nun wegen Volksverhetzung. Das sei | |
auch in einer geschlossenen Gruppe möglich. Die Gruppe habe mehrere hundert | |
Teilnehmer gehabt, eine Öffentlichkeit sei damit gegeben, sagte ein | |
Sprecher. | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) begrüßte den | |
Ermittlungsschlag. „Es gibt keine rechtsfreien Räume in unserem Land. Das | |
Strafrecht gilt auch im Internet.“ Justizminister Heiko Maas (SPD) | |
sekundierte: „Das entschlossene Vorgehen der Ermittlungsbehörden sollte | |
jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut.“ | |
Die Zahlen von Hasspostings im Internet waren zuletzt stark gestiegen. | |
3.084 Straftaten notierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr – | |
fast dreimal so viele wie im Jahr zuvor. Die Zahl ungeahndeter Hetze liegt | |
noch weit höher. | |
Maas rief Ende des vergangenen Jahres eigens eine „Taskforce gegen | |
Hassbotschaften“ ins Leben, an der sich auch Facebook und Google beteiligen | |
und zur schnellen Löschung von Hetzbeiträgen verpflichten. | |
Zivilgesellschaftliche Initiativen wie die Amadeu Antonio Stiftung beraten | |
die Unternehmen. [1][Gerichte verhängten zuletzt empfindliche Strafen]. | |
## Gemeinsame Präventionsstrategie | |
Die Gewalt war zuletzt auch außerhalb des Internets gestiegen. Mehr als | |
jeder zweite Rechtsextreme gilt den Behörden inzwischen als gewaltbereit. | |
Anschläge auf Asylunterkünfte stiegen im vergangenen Jahr rapide an. Auch | |
die linke Gewalt wuchs: Um fast zwei Drittel auf 1.600 Taten, viele davon | |
verübt auf Protestaktionen. Und die Zahl radikaler Muslime, der Salafisten, | |
stieg auf ein Hoch von 8.350. | |
Auch deshalb folgte am Mittwochnachmittag ein zweiter Schlag, diesmal ein | |
präventiver: Thomas de Maizière und Familienministerin Manuela Schwesig | |
(SPD) präsentierten erstmals eine gemeinsame „Strategie der Bundesregierung | |
zur Extremismusprävention und Demokratieförderung“. Bereits tätige | |
Initiativen sollen enger vernetzt, Beratungslücken geschlossen werden. | |
„Vieles lief nebeneinander“, sagte de Maizière. „Das wollen wir ändern.… | |
Vor allem aber gibt es mehr Geld. Schon in diesem Jahr wurde das | |
maßgebliche Programm, „Demokratie leben“, um 10 Millionen auf 50,5 | |
Millionen Euro aufgestockt. Für den kommenden Haushalt ist gar eine | |
Verdoppelung auf 104,5 Millionen Euro vorgesehen. | |
Bundesweit 700 Träger widmen sich derzeit in Deutschland der | |
Extremismusprävention – laut Schwesig eine europäisch einmalige Zahl. So | |
gehören 218 Städte zum Netzwerk „Partnerschaften für Demokratie“, 750 | |
DemokratietrainerInnen wurden ausgebildet, 104 Modellprojekte initiiert. | |
Sie sollen Jugendliche sensibilisieren, Vereine aufklären oder | |
Szeneausstiege ermöglichen. | |
## Opferberatung soll gestärkt werden | |
„Die Lage hat sich verschärft“, sagte Schwesig. Vor allem Beratungsstellen | |
von Opfern rechter Gewalt hatten zuletzt geklagt, ihre Arbeit sei nicht | |
mehr zu schaffen. Vor allem viele Flüchtlinge kämen neu in die Beratungen, | |
möglich sei „nur noch eine Minimalversorgung“. | |
Hier will die Bundesregierung nun Abhilfe schaffen. Die Opferberatungen | |
sollen „gestärkt und erweitert“ werden, heißt es im Regierungskonzept. | |
Gegen Diskriminierung von Flüchtlingen soll „verstärkt“ vorgegangen werde… | |
Zudem sollen ab August Toleranzprojekte bereits für Vorschulkinder starten. | |
Und noch ein Novum kündigte Schwesig an: Noch in dieser Legislaturperiode | |
will sie ein Gesetz verabschieden, das die Förderung von Engagement gegen | |
Extremismus erstmals auch rechtlich langfristig absichert. „Wir wollen den | |
Initiativen Planungssicherheit bieten, statt sie von Projektitis abhängig | |
zu machen“, so die Ministerin. Ein Gutachten habe bereits grünes Licht | |
gegeben. Schon der erste NSU-Ausschuss im Bundestag hatte ein solches | |
Gesetz gefordert, um Demokratiestrukturen dauerhaft fördern zu können. | |
## Deradikalisierung in Gefängnissen | |
Im Kampf gegen Islamismus will die Bundesregierung ein flächendeckenderes | |
Netzwerk von Beratungsstellen aufbauen, wie es bereits bei der | |
Antirechtsextremismusarbeit existiert. Verstärkt soll mit Moscheen | |
zusammengearbeitet werden. Neu sollen Deradikalisierungsprojekte in | |
Gefängnissen an den Start gehen – bisher eine Leerstelle. Die Länder | |
bereiten dafür bereits Konzepte vor. | |
Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung sagte, die Strategie der | |
Bundesregierung sei „außerordentlich zu begrüßen“. Auffällig sei | |
allerdings, „wie wenig sich andere Ministerien engagieren“, etwa das | |
Justiz- oder Landwirtschaftsministerium. Hier herrsche „hoher | |
Weiterentwicklungsbedarf“. | |
„Viel Neues bietet das Konzept nicht“, sagte Sabine Seyb vom Verband der | |
Opferberatungsstellen. „Neu wäre es etwa gewesen, wenn die Regierung | |
endlich institutionellen Rassismus in den Behörden angehen würde.“ | |
13 Jul 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://www.facebook.com/stiftungwarentest/photos/a.10150147181713332.34661… | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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