Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Arschgeile Scheiße!
> Die Antwort auf Hassreden im Internet: Jetzt kommen die neuen Lover und
> ihre Liebesbotschaften für Politiker und andere arme Schweine.
Bild: Schluss mit dem Hass: Jeden Tag gibt es eine neue Grinsefresse
„Angela, deine letzte Rede: wieder mal arschgeil! Sackstarke Sätze! Bombige
Botschaft! Weiter so, liebe Angela Merkel, du rattenscharfe Schnecke.“ Kaum
hat er den Text getippt, drückt Matthias Hartmann auf die „Eins“ und auf
die „Pfeil-nach-oben-Taste“: Ausrufezeichen schießen auf seinen
Computerbildschirm wie Patronen aus einer Kalaschnikow – bam, bam, bam,
bam, bam.
Hartmann wischt sich den Schweiß von der Stirn, nimmt einen Schluck
schwarzen Tee, atmet kurz durch. Es ist nicht so, dass er jedes von Angela
Merkels Worten wirklich unterschreiben würde. Genau genommen hat er die
jüngste Bundestagsrede der Kanzlerin gar nicht gesehen, aber es muss sein.
Matthias Hartmann ist „Lover“. Lover verbreiten emotional aufgeladene
Liebesbotschaften im Netz, an Politiker, Flüchtlingsbeauftragte und alle,
die es brauchen. Lover gegen Hater, Cyberpraising gegen Cybermobbing, das
ist der neue Kampf der Giganten im Netz.
„Man darf die expressiven Adjektive nicht den Falschen überlassen“, sagt
Hartmann kämpferisch, steht auf und gießt noch einmal neues Teewasser auf.
„Man muss jedem Hasskommentar einen Liebeskommentar entgegensetzen. Es muss
einfach mehr Love Speech als Hate Speech geben. Man muss losklotzen, alles
raushauen, Sprache mit derselben Wortwucht rausballern. Man muss
aufstacheln zur Liebe!“
## Cyberpraising statt Cybermobbing
Noch ist die Szene überschaubar, gibt es Deutschland nur wenige hundert
„Lover“: Menschenfreunde, Politaktivisten, frustrierte Expiraten, einsame
Männer und Frauen mit sozialem Bewusstsein, die vor Zärtlichkeit fast
platzen. Doch die Bewegung der „Lover“ wächst.
Hartmann war einer der ersten. Sein virtuelles Pseudonym heißt „Storm of
Love“. Seit drei Jahren ist der schüchterne Niedersachse schon der rasende
Sturm der Liebe, überzieht die Foren und Kommentarspalten mit Zärtlichkeit,
gnadenlos.
Erst war der Biochemiker nur ab und zu an den Wochenenden in der Szene
aktiv. Seit ihn vorigen Winter seine Frau mit den Kindern verlassen hat,
lobpreist und jubelt er jede Nacht, meist bis in die Morgenstunden. „Na,
ist ja jetzt genug Zärtlichkeit übrig“, sagt der 43-Jährige
schulterzuckend, in seinen Augen ein trauriges Glimmen. „Die muss ich ja
jetzt irgendwo abladen. Und wo, wenn nicht hier?“
Hartmanns nächster Günstling ist Heiko Maas. Der Justizminister hat mal
wieder irgendwas auf Facebook gepostet gegen Hate Speech und für
Grundrechte von Frauen. Klar, Maas braucht Rückenwind, Maas braucht
wärmende Worte, Maas braucht „Storm of Love“.
„Geile Scheiße, Maas! Fun-fucking-tastig! Hammer, Knaller, Bombensache!
Sozialismus forever!!!“ Hartmann hält kurz inne. „Sozialismus forever …?…
grübelt er, dann hämmert er einfach weiter in die Tasten. „Na, passt schon,
nicht lang nachdenken. Man muss schnell sein. Man muss raushauen,
aufdrehen, das ist Aktivismus – bam, bam, bam, bam, bam!“
Die Nacht ist noch lange nicht vorbei. Noch müssen ein paar Abgeordnete mit
Migrationshintergrund versorgt werden, homosexuelle Prominente und der
Fußballer Jérôme Boateng: „Boateng, lass uns eine Baugemeinschaft
gründen!“, jubiliert Hartmann, und befeuert die Fernsehjournalistin Dunja
Hayali: „Deine Worte munden mir – Dunja, ich will ein Kind mit dir!“
Hartmann reibt sich die müden Augen. „Dabei hätte ich noch lieber ein Kind
mit Linda Zervakis“, gesteht er schmunzelnd seine Zuneigung zur
„Tagesschau“-Sprecherin, „aber die hat nicht so viele Feinde.“
## Schwarztee gegen Schreibblockade
Nur manchmal, wenn es besonders spät ist, wenn die Wirkung des starken
Schwarztees nachlässt und der Morgen schon graut, kommt Hartmann doch
einmal ins Stocken. So wie jetzt. Schreibblockade. So ein Mist! „Ja, manche
Liebesschwüre kosten schon ein wenig Überwindung“, sagt Hartmann. „Zum
Beispiel bei Sigmar Gabriel. Wie soll man bloß ein positives Adjektiv für
den SPD-Chef finden? Hmmm …“ Hartmann legt die bleiche Stirn in tiefe
Grübelfalten.
Wenn er gar nicht weiter weiß, holt er sich Anregung von außen. Die stehen
auf dem Regalbrett über seinem Schreibtisch aufgereiht: Gedichtbände von
Erich Fried und der Deutschen Romantik, der zärtliche Briefwechsel zwischen
Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, ein paar Gangsta-Rap-CDs und
zahllose Schlagerplatten. Matthias Hartmann angelt eine Scheibe von Helene
Fischer aus dem Regal und blättert in dem beiliegenden Booklet. „Na, da ham
wir’s doch“, sagt er schließlich erfreut, dann senkt er seine Finger über
die Tasten.
„Sigmar! Du bist der Captain meiner Seele! Bist der Wind in meinen Segeln!
Und ich will nicht länger leben – ohne Dich!!!!!!!!!!!“, hämmert der
liebestolle Netzaktivist – bam, bam, bam – mit letzter Kraft in die stark
beanspruchte, speckige Tastatur, dann torkelt er kraftlos ins Bett.
14 Jun 2016
## AUTOREN
Ella Carina Werner
## TAGS
Hate Speech
Internet
Schwerpunkt Meta
Veronica Ferres
Extremismus
Zahnarzt
Hate Speech
Familie
Hate Speech
Rechter Populismus
Familie
Arbeitsmarkt
Dinner
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berufung von rechstradikalem Hetzer: Haftstrafe bestätigt
Er hetzte im Netz gegen Flüchtlinge, Ausländer und Juden. In Unterfranken
verurteilt ein Berufungsgericht einen Facebook-Nutzer zu einer
Freiheitsstrafe.
Die Wahrheit: Ablöse fürs Superweib
Turbulenzen auf dem Transfermarkt: Das Körperdouble von Veronica Ferres
wechselt für eine gigantische Ablösesumme den Fernsehstar.
Razzia gegen Internethetzer: Der große Gegenschlag
Mehr als 60 Hausdurchsuchungen bundesweit: Die Bundesregierung will die
Prävention gegen Extremismus ausbauen.
Die Wahrheit: Steile Stoßgebete
Im Bundesland Niedersachsen behandelt der Schulzahnarzt jetzt auch Lehrer,
bei denen das Heulen und Zähneklappern groß ist.
Monitoring-Bericht zu Hate-Speech: Die neue Dimension der Aluhüte
Die rechte Hetze in sozialen Medien wendet sich von Flüchtlingen ab. Das
System wird zur Zielscheibe. Das lockt auch junge Linke zu KenFM.
Die Wahrheit: Waten im Witwenblut
Wieder ist ein spannendes Buch über einen dramatischen Selbstversuch
erschienen: Eine Familie lebte von nur einem Euro am Tag.
Hasskommentare im Internet: Ein Netzwerk gegen Trolle
Die deutsche Ausgabe der Kampagne „No Hate Speech Movement“ ist gestartet.
Sie wendet sich gegen menschenfeindliche Postings im Internet.
Facebook sperrt Antira-Seiten: Der Aufmarsch der Melde-Nazis
Rechte User boykottieren Watchblogs mit Sperr-Attacken und Facebook lässt
sie gewähren. Das Problem: Es fehlt an menschlichem Hirn.
Die Wahrheit: Geh doch betteln!
Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst und wird inzwischen in jede
einzelne Familie hineingetragen.
Die Wahrheit: Notare am Arsch
Roboter ersetzen die altehrwürdigen Juristen. Denn die können ebenso gut
Dokumente abstempeln und unterschreiben – und schneller.
Die Wahrheit: Brinner forever!
Gastronomie: Ein neuer Essenstrend macht vor gar nichts Halt. Ein Brinner
verbindet Breakfast und Dinner und den Morgen mit dem Abend.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.