# taz.de -- Interview mit Bremens Finanzsenatorin: „Die stehen uns zu“ | |
> Die grüne Finanzsenatorin Karoline Linnert geht davon aus, dass Bremen | |
> 2016 seine erlaubte Kreditobergrenze um 280 Millionen Euro überschreiten | |
> wird – und muss. | |
Bild: Hat einen undankbaren Job: Bremens Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grü… | |
taz: Frau Linnert, wieviel muss ich für das Interview zahlen…? | |
Karoline Linnert: Gute Idee! Werde ich bei Herrn Schäuble einreichen. Aber | |
ohne Rechtsgrundlage kein Staatshandeln, insofern ist es diesmal leider | |
noch kostenlos. | |
Glück gehabt! Bremen auch: Der Stabilitätsrat hat die 300 Millionen Euro | |
Konsolidierungsbeihilfe bewilligt | |
Für 2015, ja: Wir haben die Sanierungsvereinbarung eingehalten – Bremen ist | |
unter der zulässigen Kreditobergrenze geblieben. Dafür bekommen wir jetzt | |
im Gegenzug die 300 Millionen. Die stehen uns zu. Das hat mit Glück aber | |
nichts zu tun. | |
Aber es gab trotzdem viel Aufregung, oder? | |
Die betrifft den Haushalt für 2016. Da hatte ich schon im Herbst dem | |
Stabilitätsrat mitgeteilt, dass wir es wegen der Flüchtlingskosten, wenn | |
nicht ein Wunder passiert oder der Bund einen gerechten Anteil übernimmt, | |
nicht in dem von der Sanierungsvereinbarung vorgegebenen Rahmen schaffen | |
können. Deshalb haben wir angekündigt, dass wir von der vom Grundgesetz und | |
der Sanierungsvereinbarung vorgesehenen Ausnahmeregelung Gebrauch machen | |
werden. Ein Sanierungsland wie Bremen kann so hohe Summen nicht so schnell | |
im Haushalt kompensieren. Ich gehe deshalb davon aus, dass wir in 2016 die | |
erlaubte Kreditobergrenze um rund 280 Millionen Euro überschreiten. | |
Und der Stabilitätsrat bewertet das als Vertragsbruch? | |
Nein. Der Stabilitätsrat hat sich sehr formal verhalten. | |
Was heißt das? | |
Der Stabilitätsrat hat nur festgestellt, dass wir die Grenze nicht | |
einhalten. | |
Aber das war doch klar? | |
Ja, das ist Fakt. Das ist auch nicht verheimlicht worden. | |
Also hält er sich nur offen, den Antrag kommendes Jahr abzulehnen? | |
Oder ihm zuzustimmen: Er hat sich in keiner Richtung festgelegt. Er hat uns | |
nur aufgefordert, bis Juli weitere Maßnahmen zu ergreifen: Es steht noch | |
nicht fest, was wir dort melden werden, es gibt einige Vorhaben der | |
Verwaltungsmodernisierung, und es ist fest vereinbart, das Gebührenwesen zu | |
bearbeiten. | |
Aber kommt man damit auf 300 Millionen…? | |
Nein. Das ist auch nicht die Forderung: Die Vorgaben des Rates sind nicht | |
quantifiziert und ich habe in Berlin klar gemacht, dass es | |
menschenunmöglich ist, einen Betrag von 280 Millionen Euro aus dem Haushalt | |
rauszuschneiden. Und das hat auch niemand verlangt. | |
Obwohl hier politische Kräfte wie die FDP rumturnen, die behaupten, sie | |
könnten 200 Millionen Euro sparen? | |
Nein, so etwas würde dort niemand ernst nehmen. Im Stabilitästrat sitzen | |
Finanzpolitiker. Das sind Menschen, die etwas von der Materie verstehen. | |
Der Rat hat am Ende sogar in den Text zu Bremen die Begründung aufgenommen, | |
dass nach Ansicht des Landes flüchtlingsbedingte Mehraufwendungen für das | |
Überschreiten der Grenze ursächlich sind. | |
Wobei scharf kritisiert wird, dass Bremen dreieinhalb Mal so viel pro | |
Flüchtling ausgebe, wie andere Bundesländer. Wie kann denn das sein? | |
Wenn man über Politiker etwas Schlechtes erzählt, glaubt das jeder sofort, | |
das Gleiche gilt für Banker. Und wenn es um Bremer Ausgaben geht, | |
funktioniert das leider auch. Und dann ist es schwer, da wieder | |
herauszukommen. | |
Und was hat das mit Bremens überhöhten Flüchtlingskosten zu tun? | |
Die gibt es nicht. Diese vermeintlichen Mehrkosten gehen aus der ersten | |
Aufstellung der Flüchtlingskosten durch die Länder hervor. Nun entstehen | |
die größten Flüchtlingskosten auf kommunaler Ebene – und damals hatten die | |
großen Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern noch gar keine | |
kommunalen Daten. Wir sind dagegen ein Stadtstaat und haben sehr direkt | |
Zugriff auf konkrete und realistische Zahlen gehabt, auch aus der | |
Notwendigkeit heraus, dass wir unsere Kosten rechtfertigen können. Bloß: | |
Als Grundlage für die Behauptung, wir hätten hier überhöhte | |
Flüchtlingskosten, müssen immer diese unseriösen Werte herhalten. | |
Und die Behauptung ist falsch? | |
Sie ist nicht haltbar: Da werden Äpfel mit Birnen verglichen. Zum Beispiel | |
haben wir hier eine hohe Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge: Die | |
Kosten für die liegen bis zu dreieinhalb mal so hoch wie für einen | |
erwachsenen Asylbewerber. Und hier erfüllt Bremen die Versorgungsquote zu | |
362 Prozent. Wir haben hier dreieinhalb mal so viele UMF wie nach | |
Länderproporz hier hergehören würden. Kein Land kommt auch nur in die Nähe | |
eines solchen Wertes, auch Bayern nicht oder Hamburg. Und das sind reale | |
Kosten. | |
Aber wieso hat sich der Rat dann so bedeckt gegeben? | |
Was eine Rolle gespielt hat, ist, dass auf Bundesebene über die | |
Flüchtlingskosten verhandelt wird. Ein Zugeständnis an Bremen hätte | |
Signalwirkung gehabt. Daran hat insbesondere Herr Schäuble kein Interesse. | |
Wir stehen da quer im Gelände: Das passt nicht in die Bundeslandschaft. | |
Aber wieso sollte es im kommenden Jahr besser passen? | |
Ich bin vorsichtig zuversichtlich. Aber der Stabilitätsrat wird sich jede | |
einzelne Zahl anschauen. Wir dürfen keine Fehler machen. | |
Gleichzeitig sagen viele: Der Sanierungspfad führt Bremen ins Abseits. | |
Bremen muss investieren, zumal in Bildung, um die Lücken aufzuholen: Solche | |
Forderungen stehen diametral zu den Vorgaben des Stabilitätsrates. | |
Ja, das stimmt. Und sie stehen auch gegen das, was wir zugesagt haben: Wir | |
haben einen Vertrag unterschrieben, und ich gehe davon aus, dass wenn | |
geschäftsfähige, erwachsene Menschen im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte | |
ein Versprechen abgeben, sie sich die Folgen überlegt haben – und nicht | |
erst damit anfangen, wenn der Druck in der Öffentlichkeit steigt. | |
Auch Erwachsene können irren und sich bei Einsicht korrigieren! | |
Noch einmal: Wir haben einen Vertrag unterschrieben – unter Bedingungen, | |
die deutlich schlechter waren, als sie jetzt sind: Die Projektionen zu | |
Anfang waren viel härter. Da sah es so aus, als ob wir die Ausgaben über | |
neun Jahre hätten weitgehend stabil halten müssen. Jetzt ist es gelungen, | |
durch – halten zu Gnaden – vielleicht auch eine kluge Finanzpolitik, aber | |
sicher auch Faktoren, die ich nicht beeinflussen kann, wie eine gute | |
Zinsentwicklung und wachsende Steuereinnahmen, dass wir eine ordentliche | |
Steigerung von im Schnitt fast drei Prozent in die Haushalte haben einbauen | |
können. Davon geht der Löwenanteil in die Bildung, in den Ganztagsschul- | |
und den Kita-Ausbau. | |
Die Kritik am Paradigma der Austeritätspolitik hat das nicht beruhigt. | |
Wir betreiben hier keine Austeritätspolitik. Austeritätspolitik bedeutet, | |
dass man in einer Krise spart. Wir geben von Jahr zu Jahr mehr Geld aus! | |
Man kann sich darüber unterhalten, ob wir es richtig verteilen. Das ist der | |
normale Streit. Aber das Jammern: Weg mit der blöden Schuldenbremse, und | |
das macht alles keinen Spaß mehr – das… | |
…es geht nicht um Spaß. Es geht um soziale Kosten, die entstehen, es geht | |
auch um ganz klassische Investitionen: Je stärker die Bausubstanz verfällt, | |
desto teurer die Sanierung, sagt die Erfahrung. Eine scharfe | |
Ausgabendisziplin kann Schaden verursachen. | |
Das Ausliefern des Staates an Kapitalmärkte wird doch die armen Menschen am | |
meisten treffen. Schulden zu machen bedeutet genau das. Es ist eine | |
Verantwortung gerade gegenüber armen Menschen, das nicht zu tun. | |
Die Kapitalmärkte sind das eine, aber wenn ich die Kosten der nötigen | |
Investitionen steigen lasse, bis der Staat unter Bedingungen eines | |
Neuverschuldungsverbots sie nicht mehr bewältigen kann, liefere ich ihn ja | |
auch nur privaten Investoren aus? | |
Nein. Wenn man meint, dass der Staat unterfinanziert ist, und in Bremen ist | |
das der Fall, dann muss man die Steuern erhöhen. Aber die Flucht in die | |
Kreditaufnahme ist ein Fehler: Momentan sind die Zinsen niedrig. Aber das | |
wird nicht so bleiben. Es soll sich doch niemand einreden, dass diejenigen, | |
die dem Staat Geld leihen, das dauerhaft nur für Zinsen tun. Die | |
Schuldenbremse wird von vielen Menschen mit guten Argumenten infrage | |
gestellt, die sich sehr engagiert für den sozialen Zusammenhalt einsetzen. | |
Aber sie sollten dabei nicht übersehen: Unter einer unbegrenzten | |
Verschuldung und deren Folgen leiden die Schwächsten am meisten. | |
12 Jun 2016 | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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