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# taz.de -- Der arme Staat: Optimistisch in der Falle
> Nach der Ministerpräsidentenkonferenz hoffen manche auf neuen
> finanziellen Spielraum. Für Ökonom Rudolf Hickel kein Grund, auf Sparkurs
> zu bleiben.
Bild: Wer spart, hat deshalb auch nicht unbedingt mehr davon: Zaster.
BREMEN taz | Die regierungsoffiziellen Meldungen über die künftige
Finanzierbarkeit des Stadtstaats Bremen sind nach den Beschlüssen der
Ministerpräsidentenkonferenz von vergangener Woche widersprüchlich. Die
Hoffnung auf einen Befreiungsschlag nicht erst ab 2020 macht die Runde.
Selbst für den laufenden Sanierungspfad zum jährlichen Abbau der
Neuverschuldung wird mit einem größeren finanziellen Spielraum gerechnet.
Getrieben vom fiskalischen Optimismus ist der Bremer Senat allerdings
dabei, die Öffentlichkeit und vor allem die Interessengruppen auf die
Fortsetzung des Austeritätsregimes auch über 2020 hinaus einzuschwören. Die
widersprüchlichen Bewertungen durch die Politik, die diffusen Illusionen,
die mit Ausgaben- und Einnahmeposten verbundenen Risiken sowie die
technokratische Finanzrhetorik verlangen nach Aufklärung über die Finanzen
des Stadtstaats.
Fragen nach der Zukunft des Sanierungskurses mit dem Ziel, die
Neuverschuldung bis 2019 auf null zu drücken sowie die ernsthaft zu
erwartenden Wirkungen des reformierten Finanzsystems in Deutschland
abzuschätzen, verlangen nach ehrlichen Antworten. Dabei sollten drei Phasen
der Bremer Finanzpolitik unterschieden werden:
## Deutliche Risse schon jetzt
Bereits in der aktuellen Sanierungsphase bis 2019 zeigen sich deutliche
Risse. Die eigene Planung, mit jährlichen Sanierungshilfen von 300
Millionen Euro bis 2019 die Neuverschuldung verschwinden zu lassen, ist
gescheitert. Kronzeugin ist die Finanzsenatorin, die unmissverständlich im
September in ihrem Bericht über die „Aufstellung der Haushalte 2016 und
2017 sowie der Planung 2018 bis 2020“ mitteilt, der Sicherheitsabstand
zwischen dem durch den Stabilitätsrat zugelassenen und dem tatsächlichen
strukturellen Defizit schmelze.
Erstmals wird der Sicherheitsabstand in 2018 mit steigender Tendenz in den
Folgejahren unterschritten. Klar ist, das Scheitern dieser Politik unter
dem alles erschlagenden Ziel Schuldenbremse ist nicht durch
verschwenderische Ausgabenpolitik entstanden. Es sind die objektiven
Risiken, die sich jetzt zur Planung querstellen. Wann wird das endlich
zugegeben?
Wann wird erklärt, dass die Fixierung der Finanzpolitik auf ein
Schuldennull nicht nur in Bremen zur Bremse für die soziale,
infrastrukturelle und ökonomische Stärkung geworden ist? Im vorauseilenden
Gehorsam gegenüber den kritikfeindlichen Einsparfetischisten sei angemerkt:
Es geht nicht darum, die Ausgabenschleusen zu öffnen, sondern um eine
ausreichende Finanzierung notwendiger öffentlicher Aufgaben in den
wichtigen Bereichen der öffentlichen Daseins- und Zukunftsvorsorge,
allerdings bei permanenter Aufgabenkontrolle.
## Flüchtlingshilfe oben drauf
In der seit 2015 neuen Phase wird durch die Finanzierung der Mega-Aufgabe
Unterbringung und Integration der Flüchtlinge die Schuldenbremse zusätzlich
ad absurdum geführt. Übrigens erkennen das auch große Flächenländer wie
Bayern und allmählich auch der Bund. Bremen hat mit der Aufnahme
zusätzlicher Kredite in Höhe von knapp 30 Millionen Euro im Rahmen des
Nachtragshaushalt für 2015 richtig gehandelt.
Im Kern geht es um die Finanzierung der Unterbringung und Integration von
Flüchtlingen. Das Grundgesetz deckt diese Beanspruchung der Finanzmärkte.
Schließlich steht in Artikel 115 des Grundgesetzes: „Im Falle (…)
außergewöhnlicher Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates
entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen“, dürfen
die Obergrenzen bei der Kreditaufnahme überschritten werden.
Diese Kreditfinanzierung widerlegt beispielhaft das Geschwätz von den
künftigen Generationen als Verlierer durch vererbte Schuldenberge. Sie
werden zu Gewinnern dieser Investitionen in die Flüchtlingsintegration
durch soziale, ökonomische und gesellschaftliche Stabilisierung. Solange
die Politik zu feige ist, diese Aufgaben durch die Umwidmung des gerecht
wirkenden Solidaritätszuschlags langfristig zu finanzieren, bleibt nur die
Möglichkeit, über die Kreditaufnahme die überschüssigen Geldvermögen
abzuschöpfen. Jedenfalls verbietet dieser unvermeidbare Nachtragshaushalt
den Grünen in der Bürgerschaft, künftig kreditfinanzierte Ausgaben generell
als Sünde an künftigen Generationen zu verdammen.
## Am Ende des Solidarpakts
Eine neue Phase in der Finanzierung des Stadtstaats wird nach dem Ende des
derzeitigen Solidarpakts 2020 starten. Die anfangs völlig überbewerteten
Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz tragen durchaus zur
Stabilisierung der Bremer Finanzen bei. Die Klagen gegen die
Einwohnerwertung für Bremen mit einem drohenden Verlust von über 660
Millionen Euro durch Bayern und Hessen sind vom Tisch. Wie der Vergleich
der Eckwerte 2019 gegenüber 2020 zeigt, finanziert der Bund weiterhin
Sonderbedarfe: Kosten der politischen Führung, Ausgleich für Hafenlasten,
Hilfen zur Gemeindeverkehrsfinanzierung sowie den Fehlbetragsausgleich aus
der Finanzkraftumverteilung(siehe Kasten).
## Jetzt die Flucht nach vorn
Die schwere Last der Altschulden von über 20 Milliarden Euro und Zinslasten
bleiben jedoch Bremen erhalten. Die Forderung nach einem Fonds zur Tilgung
von Altlasten war nach dem Kompromiss von Hamburgs Bürgermeister Olaf
Scholz (SPD) mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) endgültig
nicht mehr durchzusetzen. Als Ersatz wurde die bisherige Sanierungshilfe
zur Realisierung der Schuldenbremse mit 300 Millionen Euro erst einmal
dauerhaft ab 2020 auf 400 Millionen erhöht.
Bei der Frage, ob das gesamte Geld in die Haushaltskasse fließen soll,
verbreitet Rot-Grün Optimismus. Wenn aber, wie der Name bereits suggeriert,
der Bund Hilfen zur Sanierung verfügbar macht, wird wohl ein Teil für die
Sanierung der Schuldenlage genutzt werden müssen. Wäre es nicht vernünftig,
die Flucht nach vorne zu ergreifen? Bremen erklärt, mit 100 Millionen Euro
ein Viertel zum Abbau des Schuldenbergs zu nutzen. Dann stünden noch 300
Millionen zur freien Verfügung. Der aktuell vielfach diskutierte
Alternativvorschlag, Schulden durch Inflation abzubauen, ist fiskalisch
naiv und politisch durchschaubar. Zinsen werden nominal und nicht ohne
Abzug der Geldentwertung bezahlt. Der reale, um die Inflation bereinigte
Schuldenstand ist auch für bremischen Haushalt und Finanzmärkte eine
Fiktion.
14 Dec 2015
## AUTOREN
Rudolf Hickel
## TAGS
Haushalt
Sanierung
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Ulrich Nußbaum
Länderfinanzausgleich
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