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# taz.de -- Konflikt- und Gewaltforscher Andreas Zick: „Wir stecken in der Po…
> Nach Köln verspricht die Politik schnelle Lösungen, die schwer umzusetzen
> sind, sagt Andreas Zick. Deren absehbares Scheitern stärke die
> Rechtspopulisten.
Bild: Wut gegen Asylsuchende
taz: Herr Zick, wie beurteilen Sie die Debatte über die sexuellen
Übergriffe in der Kölner Silvesternacht?
Andreas Zick: Das war alles absolut erwartbar. Als ich gehört habe, was
passiert ist und dass bei den Tätern ein Migrationshintergrund eine Rolle
spielt, war klar, dass es in rechten Netzwerken sofort Verabredungen
darüber gibt, was nun zu tun ist. Diese Gruppen arbeiten nicht mehr so sehr
ideologisch, sondern sehr handlungsorientiert.
Und jenseits der rechten Netzwerke? Die Debatte ist nicht nur dort
unsachlich und interessengeleitet geführt worden.
Das stimmt. Schon 2014 haben in unseren Studien 58 Prozent der Befragten
gesagt, man könne nichts Schlechtes über Ausländer und Juden sagen, ohne
gleich als Rassist beschimpft zu werden. Diese Meinung repräsentiert also
eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung. Das zeigt, wie sehr die
Gesellschaft in einer Populismus-Falle steckt. Köln hat nun deutlich
gemacht, wie tief wir bereits in diese populistischen Kämpfe um
Deutungshoheiten hineingeraten sind – das gilt auch für die Medien und die
Politik. Und diese Polarisierungen erzeugen nun einen Kampf um die
angemessene Sprache, die man vorher schon verloren hat.
Woher kommt das?
Das ist ein längerer Prozess. Ein Beispiel ist die monatelange Diskussion
um die Frage, wie die „Sorgenbürger“ anzusprechen sind. Das Bemühen von
Medien und Politik um Verständnis für Pegida mag nachvollziehbar sein. Es
wurde aber ausgeblendet, dass hinter den Sorgen Ansprüche standen. Auch
wurde lange der Versuch unternommen, Mythen wie die Islamisierung zu
widerlegen. Doch Ideologien betrachten Versuche, sie zu widerlegen, als
Bestätigung. Die Politik hat versäumt, hier klare Gegenpositionen zu
vertreten.
Kippt da was in der Politik?
Definitiv. Wir haben in der Spitzenpolitik jetzt den einheitlichen Reflex,
dass man im Bereich der Migration sehr harte Zeichen setzen muss und das in
ungeheurer Geschwindigkeit. Es geht nur noch um Sicherheit. Schon wenige
Tage nach Köln wurden harte Maßnahmen beschlossen: schärfere Strafen,
schnellere Abschiebungen, bald wird Frau Merkel auf die Begrenzung der
Migration einschwenken. Erfolgt dies dann nicht so schnell, weil es
bürokratisch wie rechtlich nicht so einfach geht, werden viele es sofort
als Staatsversagen und Kontrollverlust deuten. Das Ausmaß an
Demokratiemisstrauen wird weiter wachsen, die Polarisierungen werden
zunehmen. Das ist dann wieder Wasser auf den Mühlen der Rechtspopulisten.
Die Rhetorik von Spitzenpolitikern in diesen Tagen ist bemerkenswert:
Justizminister Maas spricht von einem Zivilisationsbruch in Köln,
Ex-Innenminister Friedrich vom „Schweigekartell“ in den Medien und alle von
Sahra Wagenknecht bis zur Kanzlerin vom verwirkten „Gastrecht“, wo es doch
eigentlich um das Asylrecht geht.
Ja, wo unterscheidet sich mancher Reflex von Politikern auf Köln von dem,
was Rechtspopulisten vor einem halben Jahr gesagt haben? Das ist
bedenklich. Politik wurde in diese populistischen Kämpfe hineingezogen und
ist Teil des Problems geworden.
Herr Zick, in Ihren Studien sprechen Sie von der „fragilen Mitte“. Was
passiert derzeit mit dieser?
Dieser Begriff der politischen Mitte ist sehr unbestimmt, in unseren
Umfragen zählen sich etwa 60 Prozent der Befragten selbst dazu. Sie ist
fragil, wenn sie in lauter Parallelgesellschaften zerfällt und die
Konflikte zwischen den Gruppen nicht mehr vermittelbar sind.
Wird die Mitte anfälliger für rechtspopulistische Parolen?
Das ist nach unseren Studien deutlich der Fall. Darin definieren wir
Rechtspopulismus über die Elemente Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile
gegenüber Muslimen, Roma und Asylsuchenden, einen straforientierten
Autoritarismus und Demokratiemisstrauen. Wir haben zuletzt 2.000 Personen
im Jahr 2014 dazu eine Reihe von Sätzen vorgelegt, jeder Fünfte stimmt
eindeutig zu. Setzt man das Kriterium leichter, fallen sogar 42 Prozent
darunter. Dabei gehen Zustimmungen deutlich einher mit einer Wut gegen
Asylsuchende und Ausländer.
Welche Rolle spielt die AfD?
Sie war und ist ein Sammelbecken. Sie lebt von dieser rechtspopulistischen
Mentalität in der Mitte und ist gerade in ihrer Schlicht- und
Unbestimmtheit erfolgreich.
Die AfD arbeitet an einem Grundsatzprogramm. Das wird der Partei aus Ihrer
Sicht also eher schaden?
Ja, wenn die AfD Begriffe wie „das Volk“ oder „nationale Identität“ ge…
definieren muss, dann wird es innere Kämpfe geben, bei Integrationsfragen
werden manche feststellen, dass die Einwanderungsgesellschaft längst weiter
ist. Wir unterschätzen auch, dass viele Bürger in modernen Gesellschaften
viele Fragen haben: Ist Migration ein Problem oder ein Segen? Klappt das
mit den vielen Flüchtlingen? Soll Deutschland sich am Krieg in Syrien
beteiligen? Was tun wir gegen die Terrorgefahr? Auf diese komplexen Fragen
bekommen sie keine eindeutigen Antworten. Der Populismus aber gibt sie –
meist auf Basis von Vorurteilen, also einer Ideologie der
Ungleichwertigkeit von Gruppen.
Wie sieht es mit der Gewaltbereitschaft aus? Bei den Angriffen auf
Flüchtlingsheime gibt es zunehmend Täter, die der Polizei vorher nicht
bekannt waren und die nicht aus der rechtsextremen Szene stammen: „besorgte
Bürger“, die meinen, das Geschehen selbst in die Hand nehmen zu müssen. Ist
zu befürchten, dass diese Gewalt weiter zunimmt?
Ja, das ist zu befürchten. Der Reflex von vielen Bürgern, individuell ein
Zeichen zu setzen, weil alle anderen versagen, ist stark. Die Gefährdung
von Menschen, die migrantisch aussehen, ist hoch.
Bietet Köln auch eine Chance? Dass über Sexismus geredet wird?
Ja. Wir beobachten seit vielen Jahren, wie weit verbreitet sexistische
Einstellungen in der Gesellschaft sind. Aber diese Einstellungen werden
nicht bearbeitet. Man versucht, Sexismus an die Migrationsdebatte zu hängen
und damit den eigenen Sexismus als Problem loszuwerden. Vielleicht ist das
Staunen über die Kölner Übergriffe umso dramatischer, je weniger wir eigene
sexistische Bilder bearbeitet haben. Wir müssen uns endlich mit Sexismus
beschäftigen, weil sich nur so Zivilcourage erhöhen lässt.
14 Jan 2016
## AUTOREN
Sabine am Orde
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