| # taz.de -- Debatte Rechtspopulismus: Sie müssen gar nicht regieren | |
| > Von Frankreich bis Polen, von Österreich bis Schweden: Längst haben die | |
| > großen Volksparteien rechtsextreme Themen übernommen. | |
| Bild: Na, wer regiert denn da für mich? Marine Le Pen. | |
| Ein Schreckgespenst geistert durch Europa. Von Frankreich bis Ungarn, von | |
| Schweden bis Polen ist der Alarmruf zu hören, es drohe eine Machtübernahme | |
| der politischen Rechten – wenn sie nicht schon stattgefunden habe. | |
| Die Befürchtung lautet: Rechtsparteien wie der Front National, die | |
| Alternative für Deutschland, die Schweizerische Volkspartei, Freiheitliche | |
| Partei Österreichs, Dänische Volkspartei oder Schwedendemokraten stehen an | |
| der Schwelle zur Regierungsübernahme, die in Ungarn durch Fidesz | |
| (“Ungarischer Bürgerbund“) und in Polen durch PiS (“Recht und | |
| Gerechtigkeit“) bereits überschritten worden sei. | |
| Diese Prognose ist nur plausibel, wenn man Wolken mit dem Gewitter | |
| verwechselt. Es geht nicht darum, die Gefahr, die von rechten Parteien | |
| ausgeht, zu leugnen. Aber sie sind nicht die Vorboten eines „noch“ | |
| führerlosen „kleinen Reiches“ und sie bilden auch nicht die Hauptgefahr f�… | |
| Demokratie und Rechtsstaat. | |
| Rechte Parteien können die parlamentarische Mehrheits- und | |
| Koalitionsbildung zwischen linken, halbwegs liberalen, konformistischen | |
| grünen und konservativen Parteien erschweren. Aber die Angst vor einer | |
| Machtübernahme von rechts ist reine Panikmache. | |
| ## Positives Medienecho | |
| Der politische Kampf um Mehrheiten und die ominöse politische Mitte spielt | |
| sich in jedem Land anders ab, aber ein Muster ist erkennbar. Gefährlicher | |
| für Demokratie und Rechtsstaat als dumpf-nationale Parolen ist der Umstand, | |
| dass Teile der politischen Forderungen, Ziele und Rezepte der Rechten | |
| teilweise ein positives Medienecho finden. Und von politischen Parteien und | |
| Regierungen in gar nicht mehr homöopathischen Dosen übernommen werden. | |
| Besonders deutlich findet diese Übernahme populistischer und | |
| fremdenfeindlicher Forderungen in Frankreich, in Bayern, Schweden und in | |
| der Schweiz statt. | |
| Der französische Konservative Nicolas Sarkozy beerbte den Front National | |
| (FN) mit dessen Dauerthemen Einwanderung, Sicherheit und Antiislamismus. | |
| Und er spitzte sie sogar zu: massenhafte Rückführung von Sinti und Roma, | |
| Verschärfung von Sicherheitsgesetzen, intensivere Abhörung und Überwachung | |
| von Verdächtigen. Sarkozy hatte zunächst Erfolg mit den beim FN | |
| ausgeliehenen Forderungen. | |
| Aber trotz seines dezidiert nationalen Kurses verlor er 2012 die Wahlen | |
| gegen den Sozialisten François Hollande. Dieser rückte soziale Fragen, | |
| insbesondere die Arbeitslosigkeit und die Bildungsmisere, in den | |
| Mittelpunkt seines Wahlkampfs und ließ Sarkozy mit seiner | |
| national-chauvinistischen Kampagne ins Leere laufen. | |
| ## Hollandes Kurswechsel | |
| Aber nach den Attentaten auf Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt | |
| im Januar und der Anschlagserie im November 2015 wechselte Hollande den | |
| Kurs und setzte nun seinerseits auf die FN-Themen Einwanderung, Sicherheit | |
| und den „Krieg gegen den Terror“, was ihm auch Anerkennung von Marine Le | |
| Pen eintrug: „Der FN hat ein realistisches und seriöses Programm, das sogar | |
| François Hollande als Inspirationsquelle dient“, ließ Le Pen verlauten. Das | |
| war keine Übertreibung – Hollande kündigte immerhin eine | |
| Verfassungsänderung an, die vorsieht, den per präsidialer Vollmacht | |
| verhängten „Notstand“ in der Verfassung zu verankern und Franzosen mit | |
| doppelter Staatsbürgerschaft die französische Staatsbürgerschaft zu | |
| entziehen, sofern sie „wegen eines Angriffs auf die grundsätzlichen | |
| Interessen der Nation oder für einen terroristischen Akt verurteilt | |
| wurden“. | |
| Genau das hatte der FN schon vor Jahren ohne Erfolg gefordert. Mittlerweile | |
| aber ist seine Forderung über die Konservativen bis zu den regierenden | |
| Sozialisten gewandert und soll nun sogar Staatsdoktrin werden. Das ist der | |
| mit Abstand größte politische Erfolg des FN: Beide großen Parteien der | |
| Mitte kopieren das Programm der Rechten. Nicht nur in Frankreich sickern | |
| rechtsextreme Positionen in das Programm von Volksparteien ein. In der CSU, | |
| in Schweden und in der Schweiz gelangte der Ruf nach einem Damm gegen | |
| „Einwanderung in den Sozialstaat“ und für mehr Abschiebungen straffällig | |
| gewordener Flüchtlinge von Pegida/AfD und den Stammtischen direkt in die | |
| Regierungsprogramme. | |
| Aus Angst vor den „Schwedendemokraten“ rückte die schwedische Regierung von | |
| ihrer traditionell humanitären Flüchtlings- und Asylpolitik ab und kehrte | |
| zu rigiden Grenzkontrollen zurück. In der Schweiz wird demnächst über eine | |
| SVP-Initiative abgestimmt, die Ausländer selbst für Bagatelldelikte mit der | |
| Ausweisung bestrafen möchte. | |
| ## Unterwegs ins Regime | |
| Und in Berlin? Dort setzt die mitregierende bayerische CSU die große | |
| Koalition von CDU/CSU und SPD seit Monaten unter Dauerdruck: Mit fast | |
| täglich neuen Forderungen und Ideen, wie die Grenzen dichter gemacht, | |
| Asylsuchende schneller abgeschoben und Sozialleistungen für Flüchtlinge | |
| effektiver gekürzt werden könnten. Der sparsame Vizekanzler Sigmar Gabriel | |
| (SPD) hechelt mit und fordert, Haftkosten einzusparen, indem man | |
| Verurteilte in ihre Herkunftsländer zurückschickt – in die Hölle | |
| afrikanischer Gefängnisse. | |
| Willige Medien pfeifen die Melodie vor, nach der kein Orwell’scher oder | |
| kryptofaschistischer „Angststaat“ (FAZ vom 6. 1. 2016), droht, sondern | |
| „nur“ – wie in Frankreich – ein aus der politischen Mitte heraus | |
| installiertes, auf Autorität und Sicherheit fixiertes Notstandsregime. | |
| Unter diesem Regime wird die Debatte über Grund- und Bürgerrechte ins | |
| akademische Seminar verbannt. Politik und Medien diskutieren derweil nach | |
| jedem Verbrechen, an dem Einwanderer oder Flüchtlinge beteiligt waren, über | |
| „neue Ausreisenotwendigkeiten“ (Angela Merkel), neue Formen „organisierter | |
| Kriminalität“ (Heiko Maas) und Abschiebungen. Reinhard Müller, der | |
| Rechtsexperte der FAZ, unkt, dass Deutschland „zur Kölner Domplatte“ werden | |
| könnte und stellt auch gleich schon mal die Frage: „Warum sollen nur | |
| Verbrecher gehen müssen?“ Sein Kollege Jasper von Altenbockum ordnet die | |
| öde Polemik gegen die „Willkommenskultur“ bereits nach der Epochenrechnung | |
| à la mode ein: 12 Tage „nach Köln“. Eine neue Zeitrechnung mit guten | |
| Aussichten für Pegida und AfD. Und bösen für Demokratie und Rechtsstaat. | |
| 16 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Rudolf Walther | |
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