# taz.de -- Streit um neue Pipeline: Noch abhängiger von Putins Gas | |
> Die Ostseepipeline von Russland nach Greifswald soll ausgebaut werden. | |
> Das empört osteuropäische Staaten. Der EU-Gipfel berät über das Projekt. | |
Bild: Gaspipeline in der Ukraine: Mit der neuen Leitung Nord Stream II durch di… | |
Stockholm taz | Schon die ersten beiden Rohrleitungen durch die Ostsee | |
hatten für Krach gesorgt. Um die Widerstände gegen „Nord Stream 1“ zu | |
brechen, hatte Wladimir Putin eigens seinen Duzfreund Exbundeskanzler | |
Gerhard Schröder zum Aufsichtsratsvorsitzenden ernannt. | |
Nun soll die 2011 in Betrieb genommene Pipeline durch „Nord Stream 2“ | |
ergänzt werden: Zwei neue, 1.250 Kilometer lange Gasleitungen auf dem Boden | |
der Ostsee zwischen dem russischen Vyborg und dem deutschen Greifswald. Mit | |
ihnen würde sich die Transportkapazität von bisher 55 Milliarden auf | |
jährlich 110 Milliarden Kubikmeter verdoppeln. | |
Hinter dem Projekt stehen der russische Staatskonzern Gazprom, die | |
deutschen Unternehmen Eon und Wintershall, der österreichische | |
Energieversorger OMV und der Ölkonzern Shell. Im Juni hatten sie in Sankt | |
Petersburg eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet, ein | |
endgültiges Abkommen über das 10 Milliarden Euro teure Projekt soll folgen. | |
Nach bisherigen Planungen soll die erste der beiden neuen Rohrleitungen | |
2019 in Betrieb gehen. Ab 2020 will Moskau offenbar den Gas-Transit durch | |
die Ukraine und weiter durch die Slowakei und Polen nach Mitteleuropa | |
überflüssig machen. Bislang nimmt ein Drittel der russischen Gasexporte in | |
die EU diesen Weg. | |
## Politisch motivierter Pipelinebau | |
„Dieses Projekt wird unser Land 2 Milliarden Dollar jährlich an entgangenen | |
Transiteinnahmen kosten“, klagt der ukrainische Ministerpräsident Arseni | |
Jazenjuk: „Die Slowakische Republik wird 0,8 und Polen 0,3 Milliarden | |
Dollar verlieren. Und der EU wird es einen Großteil ihrer | |
Energieunabhängigkeit kosten.“ Jazenjuk sieht keine wirtschaftlichen, | |
sondern allein politische Gründe hinter dem neuen Pipelinebau: | |
„Antiukrainisch und antieuropäisch“ sei das Projekt. Zustimmung erhielt er | |
von der für Energiefragen zuständigen Staatssekretärin im | |
US-Außenministerium, Mary Warlick. Für sie bedeuten die Pläne „Risiko und | |
Bedrohung der Ukraine“. Es gebe keine wirtschaftliche Rechtfertigung. | |
Die Regierungen in Warschau und Bratislava fordern in einem Ende November | |
an die EU-Kommission geschickten Brief einen Stopp von Nord Stream 2. | |
Unterstützt werden sie dabei von Estland, Lettland, Litauen, Ungarn und | |
Rumänien. Zur Begründung verweisen sie auf eine „Verminderung der | |
Versorgungssicherheit“: Mit den neuen Leitungen würde „praktisch das | |
gesamte Volumen des russischen Gasimports über Nordostdeutschland in die EU | |
kommen“. | |
Zudem werde die Pipeline von der EU politisch befürwortet, während | |
gleichzeitig Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager Gazprom, dem | |
Mehrheitseigentümer von Nord Stream, Missbrauch seiner marktbeherrschenden | |
Stellung in acht osteuropäischen Ländern, darunter den baltischen Staaten, | |
vorwerfe. | |
## Gabriel befürwortet das Projekt | |
Mit ihrem Protest zielen diese Länder vor allem auf Deutschland. Formal | |
steht die Bundesregierung bislang auf dem Standpunkt, dass es sich bei Nord | |
Stream 2 ausschließlich um ein kommerzielles Projekt handle. Bei einem | |
Treffen mit Präsident Putin in Moskau erklärte Vizekanzler Sigmar Gabriel | |
Ende Oktober ausdrücklich, dass er die Erweiterung der Pipeline befürworte | |
– unter der Bedingung, dass sie nicht das Aus für die Ukraine als | |
Transitland bedeute. | |
„Unverantwortlich naiv“ findet das die schwedische Tageszeitung Dagens | |
Nyheter: Die Erweiterung einer Pipeline, deren Kapazität schon heute nur | |
zur Hälfte ausgenutzt werde, könne kaum andere als politische Gründe haben. | |
Trotz Wirtschaftssanktionen gegen Russland verstärke Berlin seine Bande mit | |
Moskau, wolle damit „ungerechtfertigte Vorteile für sich herausschlagen“ | |
und konterkariere das offizielle Bemühen Brüssels, sich unabhängiger von | |
russischer Energie zu machen. Die lettische Wirtschaftsministerin Dana | |
Reizniece-Ozola klagte: Bei der Verteilung von Flüchtlingen werde | |
Solidarität gefordert, bei Nord Stream und der Ukrainekrise vergessen. | |
Auf dem am Donnerstag beginnenden EU-Gipfel steht die Pipeline jedenfalls | |
mit auf der Tagesordnung. Baltische Medien sehen nach dem Flüchtlingsthema | |
in der Nord-Stream-Kontroverse bereits einen weiteren „Spaltpilz“ innerhalb | |
der EU. | |
Nord Stream 1 und 2 berühren aber auch ökologische und klimapolitische | |
Fragen. Greenpeace und zwei russische Umweltschutzorganisationen werfen | |
Gazprom rücksichtslose Naturzerstörung auf der Jamal-Halbinsel vor, wo | |
bereits die Gasfelder für die neue Pipelinekapazität ausgebaut werden. Dass | |
Moskau sein Geschäftsmodell als Exporteur fossiler Energieträger so lange | |
wie möglich aufrechterhalten und deshalb Europa mit Erdgas fluten möchte, | |
ist verständlich. Doch es fragt sich, wie Minister Gabriel und die anderen | |
Pipelinebefürworter in der Bundesregierung den Klimavertrag von Paris mit | |
langfristig fortgesetztem oder sogar steigendem Import von Erdgas | |
vereinbaren wollen. „Ein anderer fossiler Brennstoff ist keine Lösung“, | |
sagt Jesse Bragg von der NGO Corporate Accountability International: „Gas, | |
Öl und Kohle müssen verschwinden.“ | |
17 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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