# taz.de -- Parlamentswahl in Litauen: Neu ist immer besser | |
> Die „Partei der Bauern und Grünen“ (LGPU) wird überraschend stärkste | |
> Kraft. Die bislang regierende Linkskoalition wurde abgestraft. | |
Bild: Der Wahlsieger: Saulius Skvernelis von der Partei der Bauern und Grünen | |
Vilnius taz | Mit einer handfesten Überraschung endeten die | |
Parlamentswahlen in Litauen. Weder die bislang regierenden | |
Sozialdemokraten, noch die größte Oppositionspartei, die konservative | |
„Vaterlandsunion“ siegten. Vielmehr stand nach der zweiten Wahlrunde am | |
Sonntag – Vergabe von 68 Direktmandaten in Wahlkreisen ohne absolute | |
Mehrheit – fest, was sich schon bei der ersten Wahlrunde am 9. Oktober | |
abgezeichnet hatte: Der agrar-zentristische „Bund der Bauern und Grünen“ | |
(LGPU) ist stärkste politische Kraft im Baltensstaat. | |
Mit einem Sitz war diese Partei in der bisherigen Seimas vertreten. Nun | |
eroberte sie 54 der 141 Mandate. Ihr Spitzenkandidat, der 46-jährige | |
Saulius Skvernelis dürfte mit der Regierungsbildung beauftragt werden. | |
Vor der Wahl zeigte er sich nach allen Seiten offen. Für eine absolute | |
Mehrheit im Parlament wäre sowohl eine Koalition mit den Konservativen, die | |
mit 31 Sitzen zweitstärkste Partei wurden, wie mit den Sozialdemokraten | |
möglich, die nur noch enttäuschende 17 Mandate bekamen. | |
„Die Regierungsparteien erhalten bei uns nie neues Vertrauen“, klagte der | |
scheidende Ministerpräsident Algirdas Butkevicius, der das Land bislang an | |
der Spitze einer Mitte-links-Koalition geführt hatte. Er spielte darauf an, | |
dass die LitauerInnen auch diesmal wieder ihrer Tradition treu blieben: Mit | |
jeder neuen Legislaturperiode wird die bisherige Regierung abgewählt. | |
## Versprechen blieben auf der Strecke | |
Die deutliche Niederlage hatte sich seine Regierung jedoch selbst | |
eingebrockt. Die Butkevicius-Koalition war vor vier Jahren mit dem | |
Versprechen auf ein Ende der Austeritätspolitik angetreten. Löhne und | |
Renten sollten erhöht und ein neues progressives Steuersystem eingeführt | |
werden. Doch bis auf eine Erhöhung des Mindestlohns blieben die meisten | |
Versprechen auf der Strecke. | |
Einen Grossteil der eigenen Basis hatte sich Mitte-Links dann mit einem | |
neuen Arbeitsgesetz im Interesse der Unternehmer verscherzt: mit längerer | |
Arbeitszeit, weniger Urlaubstagen und kürzeren Kündigungsfristen. Ein | |
Gesetz, das sogar die konservative Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite mit | |
einem Veto zu stoppen versuchte. | |
Der Erfolg der LGPU dürfte vor allem darauf beruhen, dass die Partei mit | |
ihrem Vorsitzenden Ramunas Karbauskis, einem erfolgreichen und populären | |
landwirtschaftlichem Unternehmer, nicht nur bei der Landbevölkerung punkten | |
konnte, sondern sich die Wahl ihres Spitzenkandidaten als gelungener | |
Schachzug entpuppte. | |
Der mutmaßliche künftige Ministerpräsident Skvernelis ist parteilos, | |
arbeitete seit 1998 erst als Polizeibeamter und wurde 2011 zum Polizeichef | |
ernannt. Er machte sich vor allem mit der Bekämpfung der Korruption einen | |
Namen. Vor zwei Jahren hatte ihn Butkevicius als Innenminister in sein | |
Kabinett berufen. Seine Botschaft, das Land brauche einen Richtungswechsel | |
und einen Neuanfang, kam offensichtlich an. | |
Wie so ein Neuanfang konkret aussehen soll, blieb unklar. Als Litauens | |
brennendste Probleme hat die EU-Kommission [1][in ihrem aktuellen | |
Litauen-Länderbericht] die ungebremste Arbeitskraftabwanderung und ein | |
dünnes soziales Netz ausgemacht, das ein hohes Armutsrisiko mit sich | |
bringt. | |
Seit 1990 ist die Bevölkerung um mehr als ein Drittel auf 2,89 Millionen | |
geschrumpft, Litauen ist das EU-Land mit der am schnellsten alternden | |
Gesellschaft. „Die Bevölkerungszahlen sind der beste Gradmesser für die | |
Unzufriedenheit im Lande“, meint Kstutis K. Girnius, Politikwissenschaftler | |
an der Universität Vilnius. Sie demonstrierten, dass vor allem junge Leute | |
dort keine Zukunft sähen. Im Wahlkampf hätten Wirtschafts- und | |
Sozialpolitik und die demographische Entwicklung durchaus eine zentrale | |
Rolle gespielt. Alle Parteien versprachen mehr Wachstum und neue Jobs. | |
„Aber zu hören waren nur Allgemeinplätze“, konstatiert Girnius. „Es feh… | |
an konkreten Lösungsvorschlägen.“ | |
24 Oct 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/csr2015/cr2015_lithuania_en.pdf | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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