| # taz.de -- Freihandelsabkommen EU-Ukraine: Zwei Jahre zu spät | |
| > Zum 1. Januar fallen die meisten Zollschranken zwischen der Ukraine und | |
| > der Europäischen Union. Aber wem nützt das heute noch? | |
| Bild: Maidan-Teilnehmer gedenken der Opfer. | |
| Kiew taz | Die jüngste Geschichte der Ukraine hätte anders ausgesehen, wenn | |
| es zwei Jahre früher zu diesem Ereignis gekommen wäre: Zum 1. Januar 2016 | |
| tritt das Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der EU in Kraft. Es | |
| öffnet dem krisengeschüttelten Land den zollfreien Zugang zu den Märkten | |
| von 28 Ländern. | |
| Damit ist eine der zentralen Forderungen der Maidan-Bewegung erfüllt. Diese | |
| war entstanden, nachdem sich die Regierung von Viktor Janukowitsch im | |
| November 2013 geweigert hatte, das bereits ausgehandelte | |
| Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, dessen wichtigster | |
| Bestandteil der Freihandelsvertrag ist. | |
| Damals gingen Tausende Ukrainer in Kiew auf die Straßen. Im eisigen Winter | |
| 2013/14 forderten sie eine stärkere Kooperation mit der EU, die mit 36,8 | |
| Prozent Außenhandelsanteil schon länger größter Handelspartner des Landes | |
| ist. Mehr als hundert Menschen verloren bei den Unruhen ihr Leben. | |
| Das von der neuen Regierung am 27. Juni 2014 unterzeichnete und am 16. | |
| September 2014 vom Parlament ratifizierte Abkommen ersetzt das bislang | |
| geltende „Generalized System of Preferences“, das die Handelsschranken | |
| zwischen der Ukraine und der EU seit 1993 schrittweise abgebaut hatte. Wenn | |
| es in Kraft ist, können sich ukrainische Firmen an Ausschreibungen | |
| staatlicher Aufträge in Ländern der EU beteiligen, die insgesamt einen | |
| Markt von rund 400 Milliarden Euro ausmachen. | |
| Allerdings öffnen sich die Tore nach Europa nur schrittweise. Für einige | |
| Produkte – wie etwa Milch und Fleisch – gelten Übergangsfristen von drei | |
| bis zehn Jahren. Der Handel mit Autos wird erst in 15 Jahren vollständig | |
| liberalisiert sein. | |
| Die ukrainische Regierung hält das Abkommen für einen wesentlichen Schritt, | |
| die Wirtschaft voranzubringen: Weil sich die Firmen an die EU-Standards | |
| anpassten, würden sie weltweit konkurrenzfähiger, sagte die | |
| stellvertretende Ministerin für Wirtschaft und Handel, Natalia Mikolskaja, | |
| der Evropejska Prawda. | |
| Sergej Kasakow, dem Besitzer der Milchpulverfabrik Richalskij im Gebiet | |
| Schitomir, ist das zu euphorisch. „Ich glaube nicht, dass sich viel ändern | |
| wird“, sagt der Unternehmer, der 150 Angestellte beschäftigt. Auch nach dem | |
| 1. Januar könne er seine Produkte noch lange nicht nach Europa verkaufen. | |
| „Es gibt so viele Vorschriften. Als mittleres Unternehmen schaffen wir das | |
| nicht.“ | |
| ## Das Vertrauen fehlt | |
| Auch die Zertifizierungsbüros in der Ukraine müssen sich das Vertrauen der | |
| Handelsketten in den EU-Ländern erst erwerben. Selbst der stellvertretende | |
| Minister für Wirtschaft und Handel, Maxim Nefodow, beklagt, in der Ukraine | |
| gebe es viele „gewissenlose Einrichtungen, die gegen Geld jedes Papier | |
| abstempeln“. Kein Wunder, dass viele europäische Händler fordern, dass die | |
| Marktzulassung für ukrainische Produkte in den EU-Ländern vorgenommen | |
| werden soll. | |
| Außerdem gebe es nun zwar freien Handel mit Europa, doch im gleichen | |
| Zeitraum habe die ukrainische Währung zwei Drittel an Wert verloren. Dieser | |
| Verfall treffe die Menschen mehr, als der Wegfall der Zölle ihnen helfen | |
| könne, so Unternehmer Kasakow. | |
| Ein weiteres Problem ist das gestörte Verhältnis zu Russland. Der Kreml | |
| hatte sich lange bemüht, das Freihandelsabkommen zu verhindern. Die | |
| Ukraine, so seine Position, könne nicht gleichzeitig freien Handel mit der | |
| EU und mit Russland treiben. Schließlich könne es dann passieren, dass | |
| billige europäische Produkte über die Ukraine zollfrei nach Russland | |
| gelangen. Präsident Wladimir Putin hat deshalb den Freihandel zwischen der | |
| Ukraine und Russland ab dem 1. Januar 2016 für beendet erklärt. | |
| Zusammen mit dem Lebensmittelembargo, das Russland als Reaktion auf die | |
| ukrainischen Sanktionen ab dem 1.1.2016 verhängt hat, könnte das die | |
| ukrainische Wirtschaft mit umgerechnet bis zu 820 Millionen Euro belasten. | |
| 1 Jan 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Bernhard Clasen | |
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