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# taz.de -- Sigmar Gabriel ist neuer Außenminister: Der erste Tag als Diplomat
> Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier vertreten im Grunde dieselbe
> Außenpolitik. Die Frage ist: Kann der neue auch leise Töne?
Bild: Siggi und Sisi: Den ägyptischen Militärmachthaber nannte er „einen be…
Berlin taz | Ehrlich ist er ja. „Mir ist bewusst, dass Sie wahrscheinlich
alles erwartet haben, nur nicht mich als neuen Außenminister“, sagt Sigmar
Gabriel, als er sich seinen neuen Mitarbeitern vorstellt. „Aber ich kann
Ihnen aus eigener Erfahrung sagen: An diesen Gedanken kann man sich
schneller gewöhnen, als man denkt.“ Der Spruch sitzt. Lachen im Saal, halb
nervös, halb erleichtert. Der Neue hat Humor, immerhin etwas.
Freitagnachmittag im Auswärtigen Amt, Übergabezeremonie für Sigmar Gabriel.
Der Saal ist überfüllt, die Belegschaft steht bis auf die Gänge. Und das,
obwohl diesen Termin noch vor ein paar Tagen keiner auf dem Schirm hatte.
Selbst Frank-Walter Steinmeier hatte den Freitagnachmittag eigentlich
anderweitig verplant. Dass er am Ende dieser Woche im hell vertäfelten
Weltsaal sitzt, um aus erster Reihe zu hören, wie Außenminister Gabriel
seine Antrittsrede hält, sah sein Terminkalender vor fünf Tagen noch nicht
vor. Stattdessen sollte Außenminister Steinmeier in diesem Moment selbst
sprechen. Nicht hier in Berlin, sondern in Leipzig, vor Mitgliedern der
Bundesversammlung, die ihn in zwei Wochen zum Präsidenten wählen sollen.
Nun, diesen Termin mussten Steinmeiers Leute am Montag absagen.
Und auch sonst lief in dieser Woche einiges ganz anders als gedacht. Martin
Schulz wird Kanzlerkandidat. Die Entscheidung wird schon Dienstag publik.
Der Ämtertausch in der Regierung findet deshalb bereits Freitag statt. Und:
Der neue Außenminister heißt nicht Schulz, wie es in der SPD und im
Ministerium fast alle erwartet hatten. Er heißt auch nicht Oppermann, wie
es sich manche zumindest vorstellen konnten. Sondern er heißt eben Gabriel,
womit kaum jemand ernsthaft gerechnet hatte.
Ihn selbst stört das nicht, Gabriel legt direkt los. „Dieses Jahr geht es
ums Ganze, mit der Wahl in Frankreich steht die Zukunft des europäischen
Einigungswerks auf dem Spiel“, ruft er seinen neuen Mitarbeitern entgegen.
Und kündigt an: Gleich morgen geht es los, erste Auslandsreise nach Paris.
## Ungewiss wie seit Jahrzehnten nicht mehr
Sigmar Gabriel darf diesen Job vielleicht nur bis zur Bundestagswahl
machen. Doch ob er sein neues Büro schon nach neun Monaten wieder ausräumt
oder nicht: Ein historischer Außenminister wird er so oder so.
Umständehalber.
Zu seinem Amtsantritt ist Europas Außenpolitik so ungewiss wie seit
Jahrzehnten nicht. Die USA stellen die transatlantischen Beziehungen
infrage. Die Briten reichen demnächst ihren Antrag auf Brexit ein, die
Franzosen könnten sich nach der Präsidentschaftswahl im Mai ebenfalls
abwenden. Noch dazu steht Deutschland gerade der G 20 vor, schon in drei
Wochen muss Gabriel beim Außenministertreffen in Bonn seine neuen Kollegen
empfangen, darunter wahrscheinlich auch den Amerikaner Rex Tillerson. Es
wird alles nicht ganz einfach.
Gabriel schreckt das nicht. Während die meisten in der SPD noch über seinen
Umzug an den Werderschen Markt staunen, ist er überzeugt, für das Amt der
Richtige zu sein. „Diese Lösung hat sich angeboten“, sagte er, als er am
Dienstag seinen Arbeitsplatzwechsel verkündete. Und tatsächlich ergibt
seine Entscheidung in manchen Aspekten Sinn.
Abgesehen von Schulz haben nur wenige Sozialdemokraten unterhalb des
Rentenalters so viel internationale Erfahrung wie Gabriel. „Als
Parteivorsitzender und Vizekanzler war er permanent mit auswärtigen
Beziehungen beschäftigt. Für sein neues Amt ist er also weit besser
vorbereitet, als einige Kritiker behaupten“, sagt der SPD-Außenpolitiker
Niels Annen. Als Wirtschaftsminister flog Gabriel seit drei Jahren
regelmäßig ins Ausland. Und er traf dort nicht einfach nur seine
Fachkollegen. In Russland sprach er mit Wladimir Putin, in Ägypten mit
Abdel Fattah al-Sisi, im Iran mit Hassan Rohani.
## Russland-Sanktionen am liebsten abbauen
Inhaltlich wird Gabriel nicht mit der bisherigen Linie der Großen Koalition
brechen. „Er steht für Kontinuität in der Außenpolitik und wird die
bisherigen Ansätze fortführen. Er hat sie ja gemeinsam mit Frank-Walter
Steinmeier im Kabinett erarbeitet“, sagt Annen. Tatsächlich stimmen der
alte und der neue Außenminister in den wichtigen Fragen überein.
Beispiel Russland: Gabriel wie Steinmeier deuteten dem Kreml immer wieder
an, die Sanktionen aus der Ukraine-Krise am liebsten abbauen zu wollen.
Stand auf EU-Ebene eine Verlängerung der Handelsbeschränkungen an, stellten
sich die beiden aber nicht quer.
Beispiel Iran: Das Abkommen zur Eindämmung des iranischen Atomprogramms ist
einer der wenigen greifbaren Erfolge der zweiten Amtszeit. Steinmeier
verhandelte nächtelang mit an dem Vertrag. Auch Wirtschaftsminister Gabriel
bemühte sich um den Erfolg: Zwei Mal flog er seit der Unterschrift mit
Unternehmerdelegationen in den Iran.
Beispiel Rüstungsexporte: Als der Bundessicherheitsrat 2015 über die
Ausfuhr von Kampfpanzern nach Katar entschied, soll Gabriel dagegen,
Steinmeier dafür gestimmt haben. Grundsätzliche Probleme mit Ausfuhren an
arabische Autokratien aber hat keiner von beiden. Gabriel wie Steinmeier
rechtfertigen die Geschäfte damit, dass die Käufer die Rüstungsgüter für
den Grenzschutz bräuchten.
## Unbehagen in der SPD-Fraktion
Und so bleibt für die Überraschung über den neuen Außenminister am Ende ein
einziger Grund: Gabriels Charakter. „Auf dem internationalen Parkett gibt
es zwei habituell verschiedene Typen“, sagt der Linken-Außenpolitiker
Stefan Liebich. „Frank-Walter Steinmeier war ein sehr, sehr diplomatischer
Außenminister. Sigmar Gabriel ist als Typ ganz anders. Das ist zumindest
eine Umstellung.“
Vielen in der SPD-Fraktion bereitet diese Umstellung Unbehagen. Gabriel
müsse künftig zumindest diplomatischer auftreten denn als Parteichef, sagt
ein Abgeordneter. Ein anderer malt sich mit Sorgen aus, wie Gabriel mit
störrischen Gesprächspartnern umgehen wird – zum Beispiel während Reisen in
die Türkei.
Dort geriet sein Vorgänger zuletzt im November in eine denkwürdige
Situation. Auf einer Pressekonferenz mit Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu
legte der Türke sofort los: Terroristen der PKK und der Gülen-Bewegung
dürften sich in Deutschland frei bewegen. Die Bundesregierung unternehme
nichts dagegen. Es war eine Tirade. Aber Steinmeier: Presste kurz die
Stirnfalten zusammen, sprach knapp von einer „Irritation“ und bedankte sich
schließlich höflich für das „ehrliche“ Gespräch. Ob Gabriel das auch
geschafft hätte?
„Es ist nicht so, dass ich im Iran, in China oder in Saudi-Arabien in Haft
war, als ich diese Länder besucht habe“, sagt der neue Außenminister. Er
glaubt, wenn es darauf ankäme, könne er sich schon zusammenreißen. Da
könnte etwas dran sein.
## Kopf des Deutschen im Fadenkreuz
Ein Dienstag im Oktober 2016: Gabriel sitzt in der Ministerkabine, ganz
vorn im Airbus der Luftwaffe. Er hat sich bereits umgezogen, raus aus dem
Anzug, rein in das schwarze Polo-Shirt, das er auf Reisen gerne trägt.
Gerade hat die Maschine den iranischen Luftraum verlassen, jetzt erzählt er
den Journalisten vom Affront am Vormittag.
Bei den Iranern war ein Interview schlecht angekommen, das Gabriel vor
seiner Reise gegeben hatte. Darin sagte er, ein normales Verhältnis zur
Bundesrepublik bekämen die Iraner erst, wenn sie das Existenzrecht Israels
anerkennen. Eine iranische Zeitung druckte daraufhin ein Foto mit dem Kopf
des Deutschen im Fadenkreuz ab; der mächtige Parlamentspräsident Ali
Laridschani sagte ein Treffen am letzten Tag der Reise kurzfristig ab.
Auch das war ein diplomatischer Affront. Gabriel weiß das. Er könnte jetzt
den Choleriker geben, er könnte die Provokation erwidern und würde damit
kaum jemanden überraschen. Stattdessen reißt er sich zusammen. Am Ende des
Gesprächs gibt er den Journalisten genau zwei Sätze, mit denen er sich
zitieren lassen möchte: „Das ist Teil des inneriranischen Wahlkampfes. Ich
fühlte mich angemessen aufgenommen, insbesondere durch das Gespräch mit dem
Vizepräsidenten am Montagabend.“
Diplomatischer hätte es Steinmeier auch nicht hinbekommen.
27 Jan 2017
## AUTOREN
Tobias Schulze
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