| # taz.de -- Debatte Joachim Gauck: Der Polterpräsident | |
| > Joachim Gauck ging an die Schmerzgrenze und rettete damit die Würde | |
| > seines Amts: Denn gute Präsidenten sind schlechte Schleimer. | |
| Bild: Reparierte das beschädigte am Amt schnell: Noch-Bundespräsident Joachim… | |
| Wenn man sich das Amt des Bundespräsidenten als ein Auto vorstellt, dann | |
| muss man schon sagen: 2012 war es ziemlich ramponiert. Horst Köhler | |
| [1][fuhr den Kotflügel ab]. Christian Wulff setzte das Fahrzeug [2][an die | |
| Garagenwand]. Dann übernahm Joachim Gauck – und reparierte den Schaden | |
| schnell. | |
| Aber er hat noch mehr erreicht. Er ist an Schmerzgrenzen gegangen, auch an | |
| meine. Gauck hat das Amt nicht so definiert, dass er keinem weh tun darf. | |
| Sondern so, dass er vielen verschiedenen weh tun muss. Und genau das tat | |
| dem Amt gut. | |
| Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland füllt eine Leerstelle. Andere | |
| Demokratien haben machtlose Königshäuser, und viele Menschen brauchen diese | |
| Monarchen als Identifikationspunkt. Anderswo steht ein machtvoller | |
| Präsident oder eine machtvolle Präsidentin an der Spitze. Doch die Väter | |
| und Mütter des Grundgesetzes wollten beide Varianten nicht, sie meinten | |
| gleichwohl, dass auch die parlamentarische Demokratie ein Oberhaupt | |
| braucht, einen Kopf. So entstand eine Mischung aus Notar und Kurator: Der | |
| Bundespräsident, der vor allem mit Worten wirken kann. Er oder sie soll | |
| sich jedoch nicht ins Getümmel stürzen, sondern über dem parteipolitischen | |
| Wettbewerb stehen. | |
| Daraus leiten manche das Ideal vom braven, bedächtigen, beinahe neutralen | |
| Präsidenten ab. Das ist Blödsinn. Besser ein Bundespräsident, der einem weh | |
| tut, als einer, der nichts tut. Zumal, wenn er in verschiedene Richtungen | |
| austeilt. | |
| ## Überparteilich, aber nicht unparteiisch | |
| Denn nur wenn der Präsident mit Worten und Gesten Debatten anstößt, füllt | |
| er das Amt mit Leben. Nur dann bleibt was. Vom CDU-Mann Karl Carstens weiß | |
| man nur mehr, dass er gern wandern ging. Der Sozialdemokrat Johannes Rau | |
| wollte so sehr Präsident sein, dass er endlich im Amt dann auch allseits | |
| gefallen wollte. | |
| Ganz anders Gustav Heinemann, der das Tor zu einem liberalen Deutschland | |
| aufstieß. Das Politikum lag 1969 darin, dass der Sozialdemokrat mit Stimmen | |
| von SPD und FDP gewählt wurde. Im Amt vergrätzte er die Altvorderen mit dem | |
| Konzept des Bürgerpräsidenten, der sogar Bier aus der Flasche trank. Oder | |
| Richard von Weizsäcker: Der Christdemokrat war zutiefst bürgerlich, | |
| verärgerte aber 1985 das CDU-Establishment durch seine Gedenkrede zum | |
| Kriegsende am 8. Mai 1945, den er den Tag der Befreiung vom | |
| Nationalsozialismus nannte. | |
| Heinemann, Weizsäcker, Gauck. Als der Pastor aus Rostock 2012 übernahm, | |
| verstand er schnell, dass er über den Parteien stehen muss, aber nicht | |
| unparteiisch sein darf. Erst hat er sich vorsichtig umgeschaut im Schloss | |
| Bellevue. Er stand bloß da mit seinem kantigen Kinn, ein Mann so wie | |
| Hollywood einen Bundespräsidenten besetzen würde. Ärger gab es trotzdem. | |
| Weil er mit der Journalistin Daniela Schadt zusammenlebt, aber dennoch mit | |
| seiner Frau Gerhild verheiratet geblieben ist, regten sich Leute auf, die | |
| gar nicht bemerkt hatten, dass die Fünfzigerjahre schon rum waren. Gauck | |
| beförderte sie ins Jetzt. | |
| Seine [3][erste große Rede hielt er 2014 auf der Münchner | |
| Sicherheitskonferenz]. Vor Verteidigungsministern und Generälen entwarf er | |
| das Bild eines Deutschlands, das bloß nicht zu skrupulös sein soll, sondern | |
| sich einmischt, notfalls mit Gewalt. „Mehr Verantwortung bedeutet nicht | |
| 'mehr Kraftmeierei“, hat er gesagt. Es klang nach Kraftmeierei. | |
| ## Subtiles Ätzen | |
| Ein paar Monate später bildete sich in Thüringen die erste rot-rot-grüne | |
| Koalition unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei, unter Bodo | |
| Ramelow. Ein Befragung der SPD-Mitglieder stand noch bevor, da bretterte | |
| der Bundespräsident durch die Szenerie. Es gebe Teile in der Linkspartei, | |
| bei denen er Probleme habe, Vertrauen zu entwickeln. „Menschen, die die DDR | |
| erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön | |
| anstrengen, um dies zu akzeptieren“, [4][sagte der Präsident]. | |
| Er griff in den politischen Prozess ein. Er blendete aus, dass Ramelow kein | |
| SED-Beschöniger ist, sondern sensibel mit DDR-Unrecht umgeht. Gauck hat | |
| sich fortreißen lassen. Als Polterpräsident übersah er, dass in Thüringen | |
| etwas Wichtiges geschah. Ramelow machte dort vor, wie man integriert. | |
| Wenn Gauck wie in seiner letzten Rede im Schloss Bellevue auf den | |
| Sozialstaat kam, klang er pflichtschuldig, bisweilen kalt: „Unser Land kann | |
| nicht jedem Bürger einen gefüllten Tresor schenken“, sagte er. Ach, ja? | |
| Prekäre Verhältnisse? Armut? Abgehängt? Gauck wählte lieber den Begriff der | |
| „Chancengerechtigkeit“, der meint, dass es schon jeder schafft, der nicht | |
| faul oder blöde ist. | |
| Manchmal ätzte er subtil. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen, im | |
| September 2015, [5][sagte er]: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. | |
| Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Was für eine Rollenverteilung: Wer | |
| Flüchtlingen aufnehmen will, ist emotional. Die, die warnen, sind die | |
| Klugen. Und wer möchte emotional sein, aber nicht klug? Dann doch lieber | |
| andersrum. | |
| ## Ein scharfer Blick | |
| Doch in anderen Fällen verdarb er es sich mit genau den Richtigen. In | |
| Zusammenhang mit den Attacken gegen Flüchtlinge [6][sprach er von | |
| „Dunkeldeutschland.“] Dafür wurde er „Volksverräter“ gerufen. Aber Ga… | |
| wettert bis heute gegen Hass und Hetze. | |
| Auch Machthaber von Peking bis Moskau provozierte er. Er ist der Mann, der | |
| Putins Olympische Winterspiele [7][in Sotschi boykottierte]. 2014 trafen | |
| Gaucks Worte zu den Gezi-Protesten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip | |
| Erdoğan derart, dass dieser [8][Richtung Berlin wütete]: „Er hält sich wohl | |
| noch immer für einen Pastor.“ Der deutsche Präsident sprach ein Jahr später | |
| unbeeindruckt vom „Völkermord“ an den Armeniern. | |
| Für autoritäre und größenwahnsinnige Mächtige hat Gauck einen scharfen | |
| Blick. Schade, dass er nicht mehr auf Donald Trump trifft. | |
| Die richtige Vorgeschichte mit Trump hat jedoch auch Frank-Walter | |
| Steinmeier, der am 12. Februar in der Bundesversammlung alle Chancen hat, | |
| Gaucks Nachfolger zu werden. Steinmeier hat den US-Präsidenten [9][einen | |
| „Hassprediger“ genannt]. Perfekt. Denn gute Bundespräsidenten sind | |
| schlechte Schleimer. | |
| 6 Feb 2017 | |
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| ## AUTOREN | |
| Georg Löwisch | |
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