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# taz.de -- Debatte Zeitungssterben: Nur die Marke bleibt
> Die gedruckte Tageszeitung ist nicht mehr zu retten. Springer zieht daher
> Ressourcen aus Print ab. Nur so kann die Marke überleben.
Bild: Keiner mag sie mehr.
Die gedruckte überregionale Tageszeitung hängt am Tropf. Sie ist nicht nur
abhängig von Lesern, die sich Zeitungen kaufen, obwohl sie die bloßen
Nachrichten längst anderswoher früher bekommen könnten.
Längst ist sie auch auf Querfinanzierung, auf das Vermögen von privaten
Geldgebern und auf staatliche Steuervorteile angewiesen. Es ist wenig übrig
geblieben von der Unabhängigkeit, zu der sich so viele Blätter nach dem
Krieg verpflichtet fühlten, wie sie in den Titelköpfen manifestierten.
Die [1][Insolvenz der Frankfurter Rundschau] hat es wieder einmal bewiesen:
Versiegt einer der drei Infusionsbeutel – im Falle der FR hatten die
Verleger schlicht keine Lust mehr, jedes Jahr die Verluste auszugleichen –,
ist der Überlebenskampf verloren. Auch die Financial Times Deutschland wird
nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eingestellt. Da
helfen auch keine Soli-Abo-Aktionen. Das sind Heftpflaster auf eine weit
klaffende Wunde.
## Verträumte Journalisten
1991 wurden in Deutschland an einem (Werk-)Tag noch 27,3 Millionen
Zeitungen verkauft. 2012 sind es noch gut 18 Millionen. In 21 Jahren haben
die Zeitungen mehr als ein Drittel ihrer verkauften Auflage eingebüßt. Auch
auf der anderen Einnahmenseite, bei den Anzeigen, sieht es nicht besser
aus: Seit der Jahrtausendwende sinken die Werbeaufwendungen in
Tageszeitungen stetig.
Als die Dotcom-Blase am größten war, pusteten die Unternehmen 6,5
Milliarden Euro in die Tageszeitungen. 2011 waren es noch 3,55 Milliarden,
die für Anzeigenwerbung ausgegeben wurden. Ein Minus von – ach was soll die
Rechenaufgabe. Als Angestellter in einem Verlag, der in erster Linie eine
gedruckte Tageszeitung vertreibt, mag man solche Rechnungen nicht. Dabei
muss sich genau das endlich ändern.
Journalisten und Medienschaffende müssen die Augen weit aufreißen und
erkennen, dass sich die Welt gewandelt hat. Die so genannte Zeitungskrise
ist unendlich. Unser Bild von potenten gedruckten Tageszeitungen passt
nicht mehr – und es wird auch nie mehr passen. Da hilft auch der immer
wiederkehrende (und jetzt nach Bekanntwerden der FR-Pleite wieder
hervorgekramte) Verweis auf die Relevanz der gedruckten Tagespresse für die
Demokratie nichts. Das ist Nachkriegsromantik, die im Umkehrschluss nichts
anderes sagt, als dass Informationen, Kommentare und Service, die den Leser
auf anderen Wegen erreichen, demokratiegefährdend seien. Was natürlich
Unfug ist.
Wir Journalisten sind es doch immer, die Statistiken heranziehen, um uns
der Wirklichkeit zu nähern. Wir lieben Studien. Wir zitieren sie jeden Tag.
Wir bewerten sie jeden Tag (und das zumeist in die maximal mögliche
negative Richtung). Doch die Statistiken über die eigene Branche nehmen wir
zwar wahr – aber offenbar nicht nicht ernst.
## Zur „Frankfurter Rundschau“
Wie sonst ist es zu begreifen, dass nun der Rundschau von allen Seiten
Ratschläge erklärt wird, was sie falsch gemacht hätte: Tabloidformat? Ein
Fehler. Zusammenschluss mit der Berliner Zeitung? Noch ein Fehler.
Überhaupt, viel zu unklares Profil. Fehler, Fehler, Fehler. Selbst schuld.
Als hätten Verantwortliche und Redaktion nur ein, zwei Dinge anders machen
müssen, und Verkäufe sowie Anzeigenerlöse wären nicht gesunken.
Dabei wissen Journalisten wie Verleger wie Kapitalgeber ganz genau, dass
nur eine schonungslose Bestandsaufnahme hilft. Die Axel Springer AG zeigt
das gerade recht konsequent an ihrem dauerdefizitären konservativen
Schlachtschiff Die Welt.
Mit immer neuen Ansätzen sollten neue Leser für die gedruckte Tageszeitung
gefunden werden. Die vermutlich letzte Idee hieß: lange Texte, nur noch
zwei, maximal drei auf einer Seite. Wer eine Zeitung kauft, will mehr lesen
als im Internet. Das war der Gedanke dahinter. Er hat keinen Erfolg
gebracht. Die Auflage der Welt sinkt trotz Hinzurechnung der Verkaufszahlen
von Welt kompakt kontinuierlich. Kein Chefredakteur hat den Turnaround
geschafft.
Jetzt wurde entschieden: Sollte die gedruckte Welt sterben, werden keine
lebenserhaltenden Maßnahmen eingeleitet. Denn die neue Strategie fußt
ausschließlich auf den zwei Antworten auf eine simple Frage: Wo lässt sich
jetzt oder in naher Zukunft mit der Welt noch Geld verdienen? Im Internet.
Und: am Sonntag.
Also arbeiten alle Redakteure seit wenigen Monaten wie eine
Onlineredaktion. Alle Inhalte werden so schnell wie möglich auf der eigenen
Internetseite, die nun auch „Die Welt“ und nicht mehr „Welt Online“ hei…
publiziert. Kurz vor Feierabend wird zwar noch eine Zeitung gedruckt, doch
das ist eher ein Abfallprodukt dessen, was für welt.de sowieso geschrieben
wurde. Eine Papierausgabe für all die treuen Abonnenten, die noch nicht
gestorben sind. Fast ohne störende Anzeigen.
## Marke halten, auch ohne Print
Das einzige gedruckte Produkt der Welt-Gruppe, dem der neuen Strategie nach
noch Beachtung geschenkt wird, ist die Welt am Sonntag. Sonntags haben die
Leute Zeit, sonntags geben sie Geld aus, sonntags lesen noch immer mehr als
400.000 Menschen hierzulande die WamS. Inklusive der Anzeigen. Das rechnet
sich. Trotz des teuren Drucks, trotz des aufwendigen Vertriebs am Feiertag.
Dass diese Strategie zu Lasten der Belegschaft geht, die, ohne spürbar
aufgestockt worden zu sein, nun – dem Rhythmus des Internets folgend – von
frühmorgens bis spätnachts besetzt sein muss und über ein neues
Redaktionssystem diverse Publikationswege bestücken muss, liegt auf der
Hand. Dass die Folge, eine überlastete Redaktion, zu nichts anderem als
einem Qualitätsverlust führen kann, liegt ebenso auf der Hand.
Doch die Frage, die sich die Verantwortlichen der Welt gestellt haben, ist
die richtige: Was bleibt den Zeitungen noch, wenn keiner ihre Zeitungen
kaufen will? Die Marke. Aufgeladen mit alldem, wofür die Tageszeitungen
seit der Gründung der Bundesrepublik (und im Falle der FR auch schon davor)
standen und stehen: Glaubwürdigkeit, Tiefe, Haltung. Ein Machtkorrektiv.
Die Marke mit ihren Attributen muss ihren Platz in der neuen Medienwelt
finden. Denn die gedruckte Tageszeitung wird ihn verlieren – trotz aller
Nachkriegsromantik.
20 Nov 2012
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[1] /Frankfurter-Rundschau-insolvent/!105491/
## AUTOREN
Jürn Kruse
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