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# taz.de -- Debatte Zeitungssterben: Das Drama der Qualität
> Die „FR“ und die „Financial Times“ zeigen, dass Medien bei
> privatwirtschaftlichen Verlegern nicht in guten Händen sind. Eine
> weitsichtige Weiterentwicklung sieht anders aus.
Bild: Die Einstellung von „FR“ und „FTD“ ist kein Drama für Demokratie…
Ein Drama: Die Financial Times Deutschland wird beerdigt, die Frankfurter
Rundschau meldet Konkurs an. Ein Drama für die Entlassenen und von
Entlassung bedrohten. Aber nicht für Demokratie und Medienlandschaft. Denn:
Wenn beide Zeitungen wegfallen, dann verlieren im ersten Fall knapp 50.000,
im zweiten Fall gut 80.000 Käufer ihre Lieblingszeitung – und wechseln zu
einer anderen. Na und?
In diesen Zahlen steckt jedoch ein anderes Drama, das Journalisten und
Verleger viel mehr beschäftigen sollte: Warum verkaufte die FTD mit einem
kapitalstarken Konzern im Rücken nie mehr als 50.000 Exemplare? Warum
verlor die FR – seit 2006 mit zwei kapitalstarken Verlagen im Rücken – in
fünf Jahren 30.000 Käufer? Übrigens: Wir reden damit über jährliche
Mindereinnahmen von etwa 12 Millionen Euro, den Großteil des operativen
Verlusts der FR; es geht also schon lange nicht mehr „nur“ um eine
Anzeigenkrise, bei der FR und anderswo.
Die beiden Fälle zeigen, dass bedeutende journalistische Medien bei
privatwirtschaftlichen Verlegern nicht in guten Händen sind: Ein
profitabler Konzern macht die FTD platt. Ein „großer Verleger-Patriarch“
versenkt mit kleinformatigen Ego-Spielchen die sich in Schräglage
befindliche FR endgültig. Eine verantwortliche weitsichtige
Weiterentwicklung sieht anders aus.
Die Phase ist vorbei, in der Privatverleger mühelos mit gedrucktem
Informationsjournalismus lohnende Geschäfte machen konnten; und das
digitale Geschäftsmodell gibt es noch nicht. Deshalb wollen sie dieses
lästige Beiwerk loswerden. Hinweis: Hier ist nicht die Rede vom Landlust-,
Gala- und Bunte-Journalismus – das ist eine Unterscheidung, keine Wertung
–, sondern von dem Journalismus, der Anerkennung, Rechte und
Selbstwertgefühl in erster Linie aus seiner Funktion in einer Demokratie
bezieht: Unabhängig über relevante aktuelle Themen und Ereignisse
professionell recherchieren, die Informationen einordnen und verbreiten, um
so die Bildung einer freien öffentlichen Meinung zu befördern. Ein solches
„Produkt“ kann nur mit Sachkenntnis, gründlicher Recherche und unabhängig…
Urteil hergestellt werden und hat deshalb seinen Preis.
Es gibt zwei Strategien, um ihn loszuwerden. Die primitive Variante ist
verbreitet: zusammenlegen, streichen, schließen. Sie ist inzwischen so
unappetitlich anzusehen, dass sogar Michael Hanfeld, bei der FAZ rühriger
Missionar „der freien Presse“, nur noch die arg unterkomplexe Drohung
bleibt: Wenn jetzt der Staat eingreift, das wäre „der freien Presse … ihr
Ende“; das Jetzige bezieht seinen Wert nur noch aus dem Grauen des anderen.
## Und wieder lacht keiner
Die intelligente Variante: Der reputierliche Name Journalismus bleibt, sein
Inhalt wird ausgetauscht. Der Springer-Konzern lehrt, Aufgabe des
Journalismus sei es, herauszufinden, was das Publikum interessiere.
Konkret: Interesse vor Relevanz. Penisalarm vor Betreuungsgeld. „Leiche in
Schubkarre“ vor Finanzkrise. Ziel: Reichweite als Alleinstellungsmerkmal;
wer die meisten Käufer hat, macht den besten Journalismus. Leider lacht
keiner, wenn Kai Diekmann und Mathias Döpfner sagen, sie rieben sich auf
für den Qualitätsjournalismus.
Die Medien- und Kommunikationswelt hat sich so gravierend verändert, dass
der Journalismus seinen Markenkern neu definieren muss, um sich zu
unterscheiden. Erst dann wird er wieder strahlen, anziehend sein, seine
Relevanz vermitteln können. Wenn von FAZ über Express, „Brisant“, Gala bis
„Monitor“ und Zeit alles Journalismus ist, dann ist in den Augen des
Publikums alles Journalismus – und damit nichts.
Coca-Cola achtet darauf, dass nicht jede braune Brühe diesen Namen trägt.
Eine Arbeit der Unterscheidung, um der Klarheit der Sache und der
Gebrauchstüchtigkeit der Sprache willen. Es ist ja keine Schande, keinen
Journalismus zu machen. Aber es ist Täuschung, nacktes Mediengeschäft als
Journalismus zu verkaufen.
Und: Die Journalisten selbst müssen annehmen, dass ihre Arbeit eine
öffentliche Angelegenheit ist. Das bedeutet beispielsweise: Michael Hanfeld
und andere sollten nicht länger stereotyp den öffentlich-rechtlichen
Journalismus als Staats- und Beamten-Journalismus denunzieren und den
privatwirtschaftlichen als „freie Presse“ in den Himmel heben. Denn die
Frage lautet nicht: Wie sind die Printmedien der Verleger zu retten? Sie
lautet: Wie ist der Journalismus zu fördern?
Egal in welcher Organisationsform er hergestellt, egal in welcher Form er
vertrieben wird. Das Publikum selbst gibt Hinweise, dass es im Journalismus
ein öffentliches Gut sieht. Immer mehr Bürger informieren sich nicht
täglich über gesellschaftspolitisch relevante Themen. Aber wenn etwas
Wichtiges sich ereignet, dann wollen diese Bürger sofort und gut informiert
werden. Das heißt, der Journalismus muss ständig eine solide Nachrichten-
und Informationsstruktur vorhalten, auch dann, wenn die Nachfrage geringer
ist; die öffentliche Verkehrsinfrastruktur wird auch nur bei Bedarf genutzt
und nicht, weil sie da ist.
## Renditeziele werden begrenzt
Weil es also auch um Demokratie geht, kann selbstverständlich pragmatisch
überlegt werden: Wo und wie hilft der Staat? Und weil der Staat dabei die
Demokratie mehren und nicht mindern darf, deshalb darf er nur indirekt
handeln. Sonst gefährdete er die Unabhängigkeit des Journalismus und aus
dem Guten, das er bewirken soll, würde Schlechtes.
Es kann um die indirekte Förderung der Branche gehen, die gesellschaftlich
relevante Medien herstellt. Vorrang haben kleine und mittlere Unternehmen
ebenso wie Stiftungen, Genossenschaften und Mitarbeiter-Unternehmen. Und
die Hilfe ist an Bedingungen geknüpft: Redaktionsstatut, hohe Transparenz,
begrenzte Renditeziele. Und zu Michael Hanfeld: Natürlich muss das
öffentlich-rechtliche System demokratisiert und von diesen Seehofers,
Gabriels, Lafontaines und Trittins befreit werden.
Die Form der Organisation, in der dieser Journalismus hergestellt wird,
muss zu seinem Inhalt passen. Die Krise ist eine Einladung, an dieser
Vereinbarkeit zu arbeiten.
24 Nov 2012
## AUTOREN
Wolfgang Storz
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