| # taz.de -- Neuer Politikjournalismus: „Qualität ist ein Scheißwort“ | |
| > Das beste Magazin der Welt soll in 90 Minuten entstehen. Heraus kommt bei | |
| > dem Experiment eine Art bitterböser „Landlust“. | |
| Bild: So sieht unsere Landlust aus: mit der Mistgabel ganz tief in der Scheiße | |
| BERLIN taz | Das Ziel ist ambitioniert, die Zeit knapp, das Vorbild klar | |
| definiert: In gut 90 Minuten soll „das beste Magazin der Welt“ entstehen, | |
| wie es Moderator Peter Unfried sagt, „wir wollen Millionen verkaufen“ – so | |
| wie die Macher des Gartenpflege- und Backrezeptemagazins Landlust. | |
| Das Heft hat gerade einen neuen Auflagenrekord vermeldet. Anfang 2013 | |
| verkaufte sich Landlust knapp 1,1 Millionen Mal. „Das werden wir auch | |
| schaffen“, sagt Unfried. „Die schönen Seiten des Politischen“, heißt die | |
| Veranstaltung auf dem tazlab. Es ist ein Workshop mit Zeitungs- und | |
| Zeitschriftenmachern. Taz-Chefreporter Unfried hat ein Blatt Papier vor | |
| sich. Am Ende soll darauf ein Erfolgsleitfaden für das neue Magazin stehen: | |
| „Politiklust“, der Arbeitstitel steht schon auf dem Blatt, darunter das | |
| Ziel: eine Million Auflage. | |
| Das Rezept der Landlust auf ein Politmagazin zu übertragen sei schwierig, | |
| bremst sogleich Udo Röbel, der von 1998 bis 2000 Chefredakteur der Bild | |
| war. Heute schreibt er Krimis. Klar sei nur eins: Die Nachricht sei heute | |
| nichts mehr wert. „Jede Redaktion bekommt täglich den gleichen Scheißhaufen | |
| auf den Tisch“, es komme auf die unterschiedliche Aufbereitung an. | |
| „Nachrichten?“ schreibt Unfried auf den Zettel und „Scheißhaufen“. Ohne | |
| Fragezeichen. | |
| ## Unglaubliche Recherche | |
| Doch welche Sehnsüchte bedient Landlust, die auch ein neues Politmagazin | |
| ansprechen müsse? So genau weiß Constantin Seibt das auch nicht. Der | |
| Redakteur des Schweizer Tagesanzeiger versucht in seinem Blog Deadline den | |
| Journalismus des 21. Jahrhunderts zu definieren. Für ihn muss der | |
| Journalist ein „Stuntman für die Leser“ sein – mit unglaublicher Recherc… | |
| oder schockierendem Bekenntnis. „Stunt-Artikel“ – das nächste Stichwort … | |
| Unfrieds Zettel. | |
| Für Nicole Zepter vereint Leser und Journalisten eine Sehnsucht: Politik | |
| anders aufzubereiten und – auf Seite der Leser – anders zu konsumieren. | |
| „Nicht so provinziell, nicht so weichgespült, nicht mit Sigmar Gabriel auf | |
| dem Titel, wie es die Zeit gemacht hat“, sagt die Gründerin und | |
| Chefredakteurin von The Germans. Das versucht sie mit ihrem Magazin zu | |
| verwirklichen. 5.000 bis 10.000 Käufer erreicht sie, „die mit Spiegel und | |
| Zeit nichts mehr anfangen können“. Von der Landlust-Million ist sie noch | |
| weit entfernt. | |
| Man müsse Bürger ansprechen, die aufbegehren, die Neues wollen, meint | |
| Josef-Otto Freudenreich, der jahrelang Chefreporter bei der Stuttgarter | |
| Zeitung war und seit 2011 das baden-württembergische Wochen- und | |
| [1][Onlinemagazin Kontext] herausbringt. | |
| Zepter will noch „Qualität“ auf dem Arbeitspapier stehen sehen. Seibt will | |
| das nicht. „Qualität ist ein Scheißwort, das hat etwas von | |
| ‚EU-Normsiegel‘.“ Das Magazin brauche Haltung, es brauche Stil. „Der St… | |
| ist die Hälfte der Botschaft“, sagt Seibt. | |
| Und der Stil muss ein böser sein, glaubt Ex-Bild-Chef Röbel. Nur mit „Rache | |
| und Wut“ erreiche man die Masse – gegen die gierigen Banker zum Beispiel. | |
| Und diese Boshaftigkeit solle das Heft mit neuen Ideen, mit dem Guten | |
| verbinden. | |
| „Sehr Böse. Das Magazin“ – Unfried gewinnt aus Röbels Vorschlag den Tit… | |
| des Hefts. | |
| ## Mit den Regeln brechen | |
| Die DiskutantInnen stürzen sich nun auf die Boshaftigkeit, auf das | |
| Anderssein. Seibt nennt als Vorbild die großen US-Fernsehserien des Senders | |
| HBO wie „Sopranos“ oder „Breaking Bad“, „die sind die kulturelle | |
| Errungenschaft des 21. Jahrhunderts“ – und so erfolgreich, weil sie mit den | |
| Regeln des Mediums Fernsehen, das immer versucht habe, es allen Recht zu | |
| machen, gebrochen hätten. | |
| „Die Wirtschaftskrise als Fortsetzungsroman“, so stellt sich Röbel die | |
| Symbiose von Böse und Fernsehserie vor. Bissig, minutiös erzählt. | |
| „Anti-Medien-Medium“ und „große Geschichten“ landen auf Unfrieds Zette… | |
| Dabei gerät allerdings aus dem Blick, dass „böse“, „bissig“ und „an… | |
| Attribute sind, die dem Vorbild Landlust niemand zuschreiben würde. „Die | |
| Landlust ist so erfolgreich, weil die Macher Spaß daran haben“, sagt ein | |
| Zuschauer, „es ist einfach authentisch.“ Er erwarte, dass das Magazin | |
| diesen Spaß, diese Lust transportiere. Also doch mehr Lust? Mehr Spaß? | |
| „Ich erwarte von Journalismus keine Lust, sondern Information“, erregt sich | |
| ein anderer Zuschauer. Landlust kenne er nicht, aber er finde das Heft | |
| jetzt schon ganz schlimm: „Ich bin fassungslos, dass sie jetzt so ein | |
| Magazin machen wollen.“ | |
| Der Weg zu einem Magazin, das alle anspricht, ist also noch lang. „Uns ist | |
| es heute nicht gelungen“, schließt Unfried. Aber eigentlich gebe es ja | |
| schon ein Heft, das das Landlust-Gefühl perfekt transponiere: „Die wahre | |
| Landlust ist Die Zeit“, sagt Unfried, „eine Kuschelzeitung für Angsthasen.… | |
| Und damit auch erfolgreich. | |
| 20 Apr 2013 | |
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| ## AUTOREN | |
| Jürn Kruse | |
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