Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Provinz-Gentrifizierung auf dem taz.lab: Geht aufs Land, darauf kom…
> Die Stadt als Avantgarde? Pah – viel zu teuer. Der Trend ist nicht in
> Berlin zu finden, sondern im Umland der Hauptstadt. Raus aufs Land!
Bild: Liebe Hipster, London und Paris machen's vor. Erobert die Provinz!
Die Torstraße ist vermutlich die hässlichste Straße in der Geschichte der
Gentrifizierung. Wenn man nicht betrunken ist, ist die Mischung aus
braunen, niedrigen Betonbauten und Mietshäusern aus der Vorkriegszeit
schwer zu ertragen. Die Bürgersteige sind seltsam, unnatürlich breit.
Selbst mit einigen französischen Restaurants wird der Blick von Schildern
gefangen genommen, die Video World und Spätkaufläden bewerben.
Inmitten dieser Landschaft befindet sich jedoch eine Insel teurer
Immobilien, ein Vorzeichen von dem, was noch kommen wird. Die Torstraße 140
ist ein Gebäude mit Luxuswohnungen, umgeben von einem Hotel mit einer
Boutique namens „Mani“ auf der einen und einem Geschäft mit dem Namen „T…
Dudes Factory“ auf der anderen Seite.
An „Mani“ stimmt nichts, es fängt schon beim Namen an, der wie eine
Abkürzung von Armani klingt: Wenn Aldi Kleidung verkaufen würde, hätte sie
einen solchen Namen. Ein Ort wie „Mani“ ist die uncoolste Art von Hotel,
die man sich vorstellen kann. Seine bloße Existenz beunruhigt, weil er
suggeriert, dass das post-wiedervereinigte Berlin von einem primitiven
Zustand antibourgeoiser Boheme direkt in ein Stadium geschmackloser
Dekadenz übergegangen ist, ohne eine reife, stabile Zwischenphase.
Berlins Konkurrenten unter den Städten der Welt - London, New York und
Paris - sind schon vor Jahren in ihre dekadenten Phasen eingetreten. Aber
sie waren zu jener Zeit schon seit Jahren vollständig ausgewachsene Städte.
Berlin dagegen ist wie ein Kindersoldat, der in den Kampf geschickt wird,
ein armseliger Ort, der nie richtig erwachsen wurde. Berlins plötzlicher
Status als ein Ort zum Bau von „Luxus“-Unterkünften läuft nicht besonders
gut; all den neuen Projekten haftet ein Gefühl der Gebrauchtheit und der
Zweitklassigkeit an.
Berlins Problem als die Stadt, die nie erwachsen wurde, ist: Sie schafft
es, ihre am wenigsten bezaubernden Aspekte (Video World, Kasinos,
betrunkene englische Touristen, die Bierflaschen zerschlagen) zu erhalten,
während sie daran scheitert, mit dem hereinfließenden Geld Schönes zu
erschaffen.
## Zweitklassige Architekten verschandeln Berlins Stadtbild
Als London und New York unmöglich teuer wurden, heuerten die reichen Leute
dort wenigstens berühmte Architekten wie Frank Gehry und Renzo Piano an, um
ihre Paläste bauen zu lassen. Währenddessen beschäftigt Berlin
No-name-Architekten, um nachgebildete „Konzept“-Wohnkomplexe wie Marthashof
im Prenzlauer Berg zu bauen, oder lässt Einrichtungsdesigner wie Philippe
Starck ihre Namen mit peinlichen Aufschriften wie „Yoo!“ auf fade Glastürme
schreiben, direkt gegenüber dem Berliner Ensemble. Die Bauherren verärgern
die Anwohner, indem sie die Preise herauftreiben, ohne den Wert der Stadt
wirklich zu erhöhen. Für diejenigen von uns, die Berlin als die letzte
Chance für Künstler und Schriftsteller sehen, zu leben und zu arbeiten, ist
das schlicht beschämend.
Unglücklicherweise ist das die Art des Westens: Allen coolen Städten ist
das passiert. Paris, London – vor allem New York und Berlin haben die
Fähigkeit verloren, Gastgeber jener Menschen zu sein (so wie Künstler,
Schwule usw.), die sie zu Legenden gemacht haben und die nun Angst haben,
dass ihre günstigen Mietverträge auslaufen.
Aber New York, Paris und London werden überleben. Sie sind allgemein als
begehrenswerte Orte zum Leben anerkannt. Berlin nicht so sehr. Berlins
Charme war immer seine magische Aura der Coolness, wie durch ein eher
überbeanspruchtes Zitat seines Bürgermeisters beispielhaft erläutert. Diese
Aura ist das Einzige, was Berlin sichtbar von Warschau oder Belgrad
unterscheidet. Macht Berlin uncool – und die jungen Leute werden nicht mehr
hierher ziehen.Das mag für diejenigen ein reizvolles Szenario sein, die der
Touristen und der neuen Bewohner, die keinen Bock haben, Deutsch zu
sprechen, überdrüssig sind. Aber wenn die jungen Künstler, Grafikdesigner
und die Leute, die sich mit ihnen umgeben möchten, feststellen, dass Berlin
seine Coolness verloren hat, wird die Stadt in ernsthafte Schwierigkeiten
geraten.
New York und London waren cool, aber sie haben diese Coolness gegen den
finanziellen Erfolg eingetauscht. New York hat die Wandlung von der coolen
Stadt zum Paradies der reichen Leute erfolgreich geschafft, indem es sich
zu einem einladenden Ort für das teuflische Banking-Geschäft gemacht hat.
Ich habe früher in Manhattan gelebt, und es ist mir peinlich zu sagen, dass
ich es persönlich genommen habe, als ich sah, wie teuer die Stadt wurde.
Ich wusste nicht, dass das auch an anderen Orten geschehen würde. Ich
wusste nur, dass sich New York immer wie meine Stadt angefühlt hatte. Ich
gehörte zu der Generation junger Amerikaner, die in kleinen Städten weit
weg von den großen Metropolen aufwuchsen und von dem New York in den Filmen
der siebziger und achtziger Jahre träumten, in dem man sein wahres Selbst
finden, die ganze Nacht wach bleiben, bedeutende Bücher schreiben und Kunst
machen konnte.
Viele Menschen in Berlin nehmen den Wandel der Stadt persönlich. Es ist
ihre Stadt, sagen sie; sie sind hierher gekommen, als die Stadt in wirklich
schlechter Verfassung war, oder sie sind hier aufgewachsen. Nun, es ist
Zeit, die Klappe zu halten. Jeder, der hierher gezogen ist, als es verrückt
billig war, war ein Kolonialist, die Avantgarde für die
Immobilienunternehmer und reichen Leute, die jetzt profitieren. Die
nichtreichen Leute hier haben drei Optionen: Sie können lernen, mit dem
Neuen Berlin zu leben, und abwarten, dass es schlimmer wird. Sie können
sich organisieren und gegen die Gentrifizierung ankämpfen (viel Glück dabei
auch). Oder sie können auf das Land ziehen, bevor es zu spät ist.
## Das Paradise der Coolen liegt in der Kleinstadt
Die dritte Option ist die vielversprechendste. Im Norden von New York gibt
es ganze Kleinstädte, die von hippen Menschen in ihren Zwanzigern bewohnt
werden. Es ist dort immer noch billig, ein Paradies für coole Leute, mit
künstlerischen Tattoostudios, Absinth-Bars und Gebrauchtplattenläden, wo
alles fast nichts kostet – wie in den guten alten Tagen Berlins.
Aber jemand muss den ersten Schritt machen. Bis jetzt gibt es trotz der
hohen Anzahl von Landlust-Abonnements keine wirkliche Bewegung urbaner
cooler Leute zum Land hin. Ich kann euch nur sagen: Tut es jetzt!
So hart wie es für eine Generation ist, die mit urbaner Mythologie erzogen
wurde, mit Geschichten von illegalen Nachtclubs und Kunstgalerien und der
Neuen Deutschen Welle: Die Stadt – sowohl Berlin als auch im Allgemeinen -
ist nicht mehr cool. Die Idee der hippen Stadt – nur noch Klischee. Die
Legenden von Künstlern, Architekten und Schwulen, die alte Fabrikhallen
entrümpeln, um einen Lebensstil zu erschaffen, der universal attraktiv ist,
sind, nun, universal.
Es ist nicht nur in Mitte und im Prenzlauer Berg passiert; die selben Dinge
geschahen zuvor im Marais von Paris, im Notting Hill von London und in New
Yorks Soho. Berliner haben das Gefühl, dass ihre Stadt besonders und anders
ist. Aber Leuten, die großes Geld investieren, ist das egal. Berliner
denken, dass sie den Trend der Gentrifizierung stoppen können. Das ist eine
Illusion, die auf Gefühlen basiert.
Die Amerikaner dachten auch, sie könnten Afghanistan besiegen.
Verschwindet, solange ihr noch könnt. In 20 Jahren wird die Stadt eine
Wüste wohlhabender, alter Investoren sein, die zwischen Plattenbauten
umherstreifen und sich fragen, warum sie überhaupt hierher zogen.
Und die Jungen? Sie werden auf dem Land sein. Ich würde auch dorthin gehen,
aber ich mag alle anderen hier. Ich möchte nicht der Erste sein, der geht.
Text aus dem Englischen übersetzt von Sophie Fedrau
2 Apr 2013
## AUTOREN
Ralph Martin
## TAGS
taz lab 2024
Gentrifizierung
Gentrifizierung
Journalismus
taz lab 2024
taz lab 2024
taz lab 2024
taz lab 2024
taz lab 2024
taz lab 2024
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gentrifizierung in Frankfurt: Pastrami-Boom neben Bordellen
Das Bahnhofsviertel wird zum Szeneviertel. Einwohner kritisieren, dass
steigende Mieten und „die Kreativen“ zu Verdrängung führen.
Neuer Politikjournalismus: „Qualität ist ein Scheißwort“
Das beste Magazin der Welt soll in 90 Minuten entstehen. Heraus kommt bei
dem Experiment eine Art bitterböser „Landlust“.
Kulturprojekte auf dem taz.lab: Der Genosse für urbane Kreativität
Kellner, Clubbesitzer, „Business-Hippie“ – ein Schweizer ist auf
Sendungstour im Kiez an seiner Spree. Juval Dieziger vom „Holzmarkt“ stellt
sein Projekt vor.
Kreativexpansion auf dem taz.lab: Wir Profibürger, unser Raumkonzept
Kaum eine Stadt besitzt so viele Freiflächen wie Berlin. Und nirgends ist
das Bürgerinteresse an der eigenbestimmten, nachhaltigen Nutzung der Orte
so groß.
Bürgerbeteilung auf dem taz.lab: „Politik muss einladender sein…“
Nicht nur ihr Kleiderschrank soll für den Wahlkampf neu erfunden werden -
Katrin Göring-Eckardt erklärt, wie sie mehr Beteiligung für Bürger
organisieren will.
Neurobiologie-Kritik auf dem taz.lab: Sein schräges Beharrungsvermögen
Felix Haslers Buch „Neuromythologie“ ist klug. Es verstört die Richtigen.
Bei einer Begegnung gibt er einen kritischen Einblick in die
Neurobiologie-Szene.
Queer- und Genderkritik beim taz.lab: Performancekunst als Experiment
Politik am menschlichen Körper – re.act.feminism ist ein aktuelles
Forschungsprojekt, das feministische Performances zu unsterblicher Kunst
macht.
Start-Up Ideen auf dem taz.lab: „Neue Arbeit braucht das Land“
Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ist ein Muss. Fehlende Förderangebote von
Arbeitsagenturen erschweren ExistenzgründerInnen die Aussicht auf Arbeit.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.