# taz.de -- Zeitungsindustrie in Europa: Lieber Staat, rette uns! | |
> Die „FTD“ ist Geschichte, die „Rundschau“ insolvent. Jetzt rufen alle | |
> nach Subventionen für Zeitungen. Doch taugen die Modelle in Europa als | |
> Vorbilder? | |
Bild: Zum letzten Mal: die „Financial Times Deutschland“. | |
Die Zeitungsverleger preschten als Erste vor: Man wolle zwar keine direkten | |
Subventionen, sagte Helmut Heinen, Präsident des Bundes Deutscher | |
Zeitungsverleger, nach den jüngsten Pleiten, doch die Abschaffung der | |
Mehrwertsteuer für Zeitungen sollte schon drin sein. | |
Und wenn wir schon dabei sind, sollten die Leser auch gleich die Ausgaben | |
für Zeitungsabos von der Einkommensteuer absetzen können. | |
SPD-Medienpolitiker Martin Dörmann steht dem aufgeschlossen gegenüber, die | |
Grünen wollen eine staatlich unabhängige Stelle zur Förderung des | |
Journalismus einrichten und die Linke fordert „eine staatsferne, | |
öffentliche Finanzierung von Qualitätsjournalismus“. | |
Ist die öffentliche Förderung die Rettung für die deutsche | |
Zeitungslandschaft? Immer wieder wird auf Modelle in anderen Ländern | |
verwiesen. Was die taugen, berichten die taz-Korrespondenten. | |
ITALIEN: Zuschuss für jedes Exemplar | |
Mit drei Jahren und acht Monaten Haft wurde Valter Lavitola vor wenigen | |
Wochen von einem Gericht in Neapel bestraft: Über Jahre hatte er staatliche | |
Subventionen für die Tageszeitung LAvanti! kassiert, im Zeitraum 1997 bis | |
2009 flossen gut 23 Millionen Euro auf seine Konten. | |
LAvanti! - das war mal das glorreiche Parteiblatt der italienischen | |
Sozialisten. Die Partei gibt es nicht mehr, die Zeitung aber erschien üppig | |
subventioniert weiter. | |
Denn in Italien fließen reichlich staatliche Mittel für die Presse, unter | |
einer Bedingung: Die Blätter müssen einer Partei oder einer Genossenschaft | |
gehören. Etwa 115 Millionen Euro schüttete die Regierung für das Jahr 2011 | |
aus, für die Tageszeitung der Bischofskonferenz LAvvenire genauso wie für | |
die Unità, für den stramm linken Il Manifesto genauso wie für das | |
Fachmagazin Le chitarre. | |
Wirklich am Markt müssen die Gazetten nicht sein, um zu kassieren: Nicht | |
die verkaufte, sondern die gedruckte Auflage entscheidet über die Höhe der | |
staatlichen Zuschüsse. Und so wandern Tag für Tag Hunderttausende Zeitungen | |
direkt von den Druckereien zur Altpapierverwertung, ohne störende Umwege | |
über den Kiosk. | |
Doch Regierung und Parlament haben beschlossen, der Förderung ein Ende zu | |
setzen; ab 2015 soll Schluss sein mit der Gießkannen-Alimentierung. Dann | |
wird auch ein Valter Lavitola keine Chance mehr zum Betrug haben: Er hatte | |
es sich besonders einfach gemacht und gleich auch auf den Druck seiner | |
Zeitung verzichtet. MICHAEL BRAUN, ROM | |
FRANKREICH: Eine Milliarde Euro für Presse | |
Vor drei Jahren kündigte der damalige französische Staatspräsident Nicolas | |
Sarkozy im Anschluss an eine Tagung der Medienvertreter an, 600 Millionen | |
Euro zur Rettung der Presse auszugeben. | |
Der Applaus der Journalisten war ihm einmal sicher. Doch abgesehen von | |
einigen punktuellen Aktionen wie Gratisabos für junge Menschen oder | |
Starthilfe für Onlinemagazine setzte Sarkozy lediglich ein System der | |
öffentlichen Subventionen fort, das seit Langem existiert und | |
wahrscheinlich so manche Zeitung vor dem sicheren Untergang bewahrt hat. | |
Doch auch die staatliche Förderung der Meinungsvielfalt konnte nicht | |
verhindern, dass seit Kurzem zwei Tageszeitungen nicht mehr gedruckt | |
werden: France-Soir und La Tribune. | |
Jedes Jahr investiert der französische Staat auf drei Wegen rund eine | |
Milliarde Euro in die Printmedien. Bereits seit der Vorkriegszeit genießen | |
Journalisten aufgrund einer großzügig eingeschätzten Pauschale für | |
Berufsauslagen Steuererleichterungen, die das Metier trotz bescheidener | |
Löhne attraktiv machen, für die Staatskasse aber Einbußen von 200 Millionen | |
bedeuten. | |
Der Vertrieb der Zeitungen und Zeitschriften wird außerdem von der | |
staatlichen Post zu Vorzugspreisen erledigt, was einer Subvention von mehr | |
als 400 Millionen gleichkommt. Und rund 450 Millionen fließen direkt an die | |
Zeitungen, wobei der Anteil nach Auflage und Verbreitung variiert: Le | |
Monde, Le Parisien, Le Figaro oder Libération erhalten so je zwischen 13 | |
und 18 Millionen Euro pro Jahr. Zum Sterben zu viel, zum Überleben zu | |
wenig, meinen diese mit der (schwachen) Hoffnung auf eine Erhöhung dieser | |
Zuwendungen. RUDOLF BALMER, PARIS | |
ÖSTERREICH: Staatliche Anzeigen | |
Anlässlich einer Untersuchung im österreichischen Nationalrat forderte | |
Thomas Kralinger, der Vorsitzende des Verbands der Österreichischen | |
Zeitungen (VÖZ), kürzlich eine deutliche Erhöhung der Presseförderung. | |
Statt bisher 11 Millionen Euro jährlich solle die Regierung 50 Millionen | |
bereitstellen, um die „Ausgewogenheit am Markt wenigstens einigermaßen | |
wiederherzustellen“. | |
Seit den 1970er-Jahren bekommen Tages- und Wochenzeitungen staatliche | |
Subventionen. 2011 wurden 2,2 Millionen an insgesamt 14 Tageszeitungen und | |
1,8 Millionen Euro an 35 Wochenblätter ausgezahlt. Dazu kommen noch 5,3 | |
Millionen an „besonderer Förderung“ für die Zeitungen in den Bundeslände… | |
Die Ausgewogenheit auf dem Markt sieht Kralinger durch den werbefreien | |
Internetauftritt des marktbeherrschenden Rundfunks ORF zerstört. | |
Unausgesprochen ließ er die Marktverzerrung durch Boulevard- und | |
Gratisblätter, die von der Politik mit fetten Anzeigen gefüttert werden. | |
Bundeskanzler Werner Faymann, so glauben viele, verdankt den Wahlsieg | |
seiner SPÖ den millionenschweren Kampagnen, die er in seiner Zeit als | |
Minister in der großen Kronen-Zeitung und den Gratisblättern Heute und | |
Österreich schalten ließ. Ein Wettbewerbsvorteil der drei gegenüber der | |
Qualitätspresse. Die Regierung aus SPÖ und ÖVP signalisierte bereits, die | |
Presseförderung aufzustocken. RALF LEONHARD, WIEN | |
SCHWEDEN: Wenig „Presstöd“ | |
Die Lage ist akut, sagt Schwedens Kultusministerin Lena Adelsohn Liljeroth, | |
nachdem Hunderte JournalistInnen in den letzten Monaten entlassen und | |
rundum im Land bei den Zeitungsverlagen umfassende Kürzungen angekündigt | |
wurden. Kommende Woche will sie sich deshalb mit dem für Pressesubventionen | |
zuständigen Gremium treffen, um über zusätzliche „Umstellungshilfen“ zu | |
beraten. | |
Wie die aussehen sollen – es wird auch eine Art öffentlich-rechtliches | |
Modell diskutiert, das journalistische Mindeststandards mit staatlichen | |
Geldern belohnen soll – ist noch nicht klar. | |
Breite politische Übereinstimmung besteht aber, dass das bisherige | |
Subventionsmodell nicht reicht, die für die Demokratie als fundamental | |
angesehene Medienvielfalt zu erhalten. | |
Seit 40 Jahren gibt es in Schweden staatliche Pressesubventionen. Der | |
„Presstöd“ besteht aus zwei Elementen: Eine allgemeine | |
Vertriebskostensubvention, die an alle Titel geht, die sich an einem | |
gemeinsamen Vertriebssystem beteiligen, und eine Produktionssubvention, auf | |
die alle Zweitzeitungen (weniger als 30 Prozent Marktanteil am | |
Erscheinungsort) mit bestimmter Mindestauflage und einem eigenproduzierten | |
Inhalt von wenigstens 55 Prozent Anspruch haben. 2011 wurden rund 65 | |
Millionen Euro „Presstöd“ ausgezahlt. | |
Das bremste das Zeitungssterben: In 15 Orten gibt es mehr als eine | |
Tageszeitung – 1972 waren es 20 – und auch die Neugründung von Titeln wurde | |
erleichtert. So wäre die 2001 gestartete und auch von der | |
taz-Genossenschaft finanziell mitunterstützte Fria Tidningen ohne | |
„Presstöd“ nicht möglich gewesen. REINHARD WOLFF, STOCKHOLM | |
POLEN: Geld von Katholiken | |
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stürzten sich die Polen auf die junge | |
freie Presse. Der Medienmarkt wuchs und wuchs, ebenso der Reklamekuchen, | |
der den Medienmanagern und Journalisten ein überdurchschnittliches | |
Einkommen bescherte. Doch damit ist es nun vorbei. Die Branche musste sich | |
an Verluste und Pleiten gewöhnen. | |
Der Staat unterstützt lediglich die Zeitschriften der ethnischen und | |
religiösen Minderheiten in Polen sowie einzelne Musik-, Theater- oder | |
Literaturblätter. An die Stelle des Staates ist allerdings die katholische | |
Kirche getreten, die die katholische Presse massiv fördert. So hat der Gosc | |
Niedzielny (übersetzt: „Sonntagsgast“) mit einer Auflage von inzwischen | |
fast 142.000 Exemplaren alle anderen Nachrichtenmagazine hinter sich | |
gelassen. | |
Gosc Niedzielny wird von der Erzdiözese Kattowitz herausgegeben - und | |
insbesondere am Sonntag in den Kirchen verkauft. Ähnliches gilt für Nasz | |
Dziennik („Unser Tagblatt“), das zum Medienimperium des Paters Tadeusz | |
Rydzyk gehört. | |
Ein offenes Geheimnis war die finanzielle Unterstützung rechtsnationaler | |
Zeitungen durch eine Bank, die mehrheitlich in den Händen der Partei „Recht | |
und Gerechtigkeit“ war. | |
Als dies zu offensichtlich wurde, gingen Banken, Parteien und | |
Interessengruppen dazu über, große Teile der Auflage einer bestimmten | |
Zeitung oder Zeitschrift aufzukaufen und entweder kostenlos zu verteilen | |
oder gleich in den Schredder zu werfen. Nach außen wirkt die künstlich | |
erhöhte Auflage aber so, als gehörten die Redakteure der gesponserten | |
Zeitung zu den Meinungsführern in Polen. So ist die | |
katholisch-rechtsnationale Publizistik in Polen heute führend. GABRIELE | |
LESSER, WARSCHAU | |
6 Dec 2012 | |
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