# taz.de -- Abhöraffäre um die Kanzlerin: Merkel spricht Handy Vertrauen aus | |
> Krisendiplomatie und ein flüchtender Kanzleramts-Chef: Die NSA-Affäre | |
> trifft Berlin mit voller Wucht und blamiert die Kanzlerin. | |
Bild: Herr Obama, hören sie mich? | |
BERLIN taz | Seine Zufriedenheit ist Ronald Pofalla anzusehen, als er sich | |
vor dem abhörsicheren Saal im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte vor den | |
Kameras aufbaut. „Die Vorwürfe sind vom Tisch“, sagt der Kanzleramtschef. | |
Sowohl der US-Geheimdienst NSA als auch der britische Nachrichtendienst | |
hätten erklärt, sich in Deutschland an deutsches Recht zu halten. Die | |
Abhöraffäre, findet Pofalla, ist damit offiziell beendet. Diese Szene | |
spielte am 12. August, kurz nach einer Sitzung des Parlamentarischen | |
Kontrollgremiums. | |
Gute zwei Monate später trifft die Affäre, die in Wirklichkeit natürlich | |
nie zu Ende war, die Bundesregierung wieder mit voller Wucht. Merkels | |
Handy. Schlimmer konnte es nicht kommen. Das persönliche Werkzeug der | |
mächtigsten Frau der Welt, die fast alles Wichtige per SMS oder Telefonat | |
regelt. Es wäre ein Angriff, der allen BürgerInnen die Dramatik des | |
technischen Themas Datenschutz drastisch klar macht, das die | |
Bundesregierung lange herunterspielte. Merkels Handy-Gate. | |
Seitdem das Presseamt der Bundesregierung am Mittwochabend bekannt gab, | |
„dass das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin möglicherweise durch | |
amerikanische Dienste überwacht wird“, wurden die Koalitionsverhandlungen | |
in Berlin zur Nebensache. Politiker aller Parteien stellen sich eine | |
einzige Frage: Wie kann das sein? | |
## Angeblich kalt erwischt | |
Pofallas Sätze klingen im Nachhinein wie das naive Gebrabbel eines | |
Fünfjährigen. Schon damals wirkte die Bundesregierung merkwürdig hilflos | |
angesichts der Eskapaden der international tätigen Geheimdienste, die | |
offenbar jenseits der demokratischen Kontrolle agieren. Auch dieses Mal | |
wurde sie von der bösen Überraschung angeblich kalt erwischt. | |
Jedenfalls lieferten recherchierende Journalisten des Spiegels die ersten | |
Hinweise auf die prominente Abhöraktion, nicht etwa der | |
Bundesnachrichtendienst, der mit seinen US-Kollegen kooperiert, oder der | |
Verfassungsschutz, der laut gesetzlichem Auftrag für die Spionageabwehr | |
zuständig ist. | |
Die Nachricht sorgte für eine diplomatische Krise ersten Ranges. Guido | |
Westerwelle bestellte am Donnerstag US-Botschafter John B. Emerson ins | |
Auswärtige Amt ein, der scheidende Außenminister machte dem Amerikaner | |
deutlich klar, wie man die Sache hierzulande sieht – der Vorfall sei | |
„ungeheuerlich“, hieß es in Regierungskreisen. Ranghohe Leute von Union und | |
FDP wiesen darauf hin, dass die USA immer noch nicht alle Fragen | |
beantwortet hätten, die die Bundesregierung im Sommer übersandte. Damals | |
wurde bekannt, dass die NSA Telefondaten von Bundesbürgern abzapft. | |
Die jetzt wieder aufgefrischte Empörung drückte allerdings keine Stärke | |
aus, sondern Hilflosigkeit. Die Deutschen sind weiter auf Informationen der | |
Medien angewiesen und auf Häppchen, die die Amerikaner nach Gutdünken | |
weiterreichen – oder eben nicht. | |
## Diplomatische Eskalation | |
Die Kanzlerin hatte noch am Mittwoch persönlich reagiert, sie telefonierte | |
umgehend mit US-Präsident Barack Obama. Angela Merkel habe deutlich | |
gemacht, dass sie solche Praktiken – falls sie zutreffen – als „völlig | |
inakzeptabel ansieht“, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. „Dies | |
wäre ein gravierender Vertrauensbruch.“ | |
Ein persönliches Telefonat mit harscher Kritik, das steht im Code der | |
Diplomatie für eine Eskalation. Hektisch wurde auch auf der Arbeitsebene | |
telefoniert, hochrangige Beamte in Berlin und Washington versuchten, | |
Details zu erhellen. | |
Stimmt die Information? Wenn ja, hörten die Geheimdienstler Merkels | |
Gespräche ab? Oder lasen sie ihre SMS mit? Experten untersuchten das | |
persönliche Handy der Kanzlerin. Es spreche manches dafür, dass es um | |
Telefonate und möglicherweise auch Kurzmitteilungen gehe, sickerte durch. | |
Dies sei schwer nachzuweisen, da solche Schnüffelaktionen keine Spuren | |
hinterließen. | |
## „Aber nicht für die Vergangenheit“ | |
Und der Kanzleramtschef? Er musste sich rechtfertigen, mal wieder. Spontan | |
wurde eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums einberufen, | |
um die Bundestagsabgeordneten über den Vorgang zu informieren. Am späten | |
Donnerstagnachmittag endete die Sitzung, die Beteiligten erklärten ihre | |
Sicht der Dinge. | |
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann hält die Glaubwürdigkeit der | |
US-Amerikaner für erschüttert. Schließlich hätten sie behauptet, zu keiner | |
Zeit deutsche Interessen verletzt zu haben, sagte er. Bei dem aktuellen | |
Verdacht handele es sich aber um eine „flagrante Verletzung“, so Oppermann. | |
Der Grüne Hans-Christian Ströbele betonte: „Das ist heute ein Wendepunkt.“ | |
Niemand könne jetzt noch behaupten, dass sich die NSA in Deutschland an | |
Recht und Gesetz halte, so Ströbele. Die Hinweise auf den Abhörverdacht | |
seien sehr stichhaltig, sagte der Grüne zu den Informationen. | |
Als Letzter stellte sich Ronald Pofalla vor die Mikrophone. Das Weiße Haus | |
habe den Vorwurf zwar dementiert, „aber nicht für die Vergangenheit“, sagte | |
er. Sollten die Vorwürfe zutreffen, werfe dies „ein neues Licht“ auf die | |
Äußerungen der NSA in der Vergangenheit. All ihre Aussagen der vergangenen | |
Monate müssten erneut überprüft werden. Ein Journalist rief dem | |
Kanzleramtschef von hinten zu: „Herr Pofalla, gilt Ihre Aussage noch, dass | |
die NSA-Affäre beendet ist?“ | |
Pofalla drehte sich auf dem Absatz um. Und eilte schweigend aus dem | |
Bundestagsgebäude. | |
24 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
Astrid Geisler | |
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