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# taz.de -- Geheimdienstkontrolleure: „Wachhunde ohne Gebiss"
> Sie werden „Dead Men Walking“ genannt: Die Mitglieder des
> „Parlamentarischen Kontrollgremiums“ wissen selbst nicht so genau, was
> sie eigentlich tun.
Bild: Kompetenzen beschnitten, aber niedlich: So darf man sich das Kontrollgrem…
Immerhin, die Fahrtkosten würden ihm ja erstattet. Und Übergangsgeld
bekomme er auch. Nein, der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei
will nicht unfair klingen. Etwas kurios scheint Steffen Bockhahn die ganze
Sache aber schon vorzukommen.
Am 22. September flog der Rostocker Politologe aus dem Bundestag. Sein
Abgeordnetenbüro ist abgewickelt. Nur einen Auftrag hat Bockhahn bis auf
Weiteres behalten: Als Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums des
Bundestags soll er den größten Geheimdienstskandal der jüngeren Geschichte
erhellen.
So pendelt der 34-Jährige als eine Art freier Mitarbeiter in Sachen
Spähaffäre von der Ostseeküste zu den Sondersitzungen der
Geheimdienstkontrolleure in die Hauptstadt. Seine nächste Berlinfahrt steht
schon fest: Kommende Woche soll das Gremium den Besuch des
Grünen-Politikers Christian Ströbele bei Whistleblower Edward Snowden in
Moskau auswerten.
Der Ex-Abgeordnete Bockhahn ist damit kein Einzelfall. Ausgerechnet jetzt,
da die NSA-Affäre einen neuen Höhepunkt erreicht, sind vier der ohnehin nur
elf Mitglieder des Gremiums „Dead Men Walking“, wie auf den
Reichstagsfluren gefrotzelt wird. Denn auch zwei Ex-Abgeordnete der FDP und
ein SPD-Mann, der den Wiedereinzug verpasste, mischen offiziell weiter mit
in der wichtigsten Instanz zur Geheimdienstkontrolle.
## Ein bisschen mehr Kontrolle, bitte!
Vermutlich endet diese schwierige Übergangssituation erst, wenn die neue
Bundesregierung steht. Denn erst dann dürfte klar sein, ob der amtierende
Vorsitzende des Kontrollzirkels, Thomas Oppermann (SPD), noch auf einen
Ministerposten wechselt. Für aufwendige Recherchen zur NSA-Affäre dürfte
Oppermann zurzeit kaum Luft haben: Der SPD-Mann ist federführend in die
Verhandlungen mit der Union zur Großen Koalition eingebunden – er feilscht
in Open-End-Runden mit Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) um
die Themen Inneres und Justiz.
Schon im Sommer, als sich die Kontrolleure nach den ersten
Snowden-Enthüllungen zu diversen Sondersitzungen in ihrem angeblich
abhörsicheren Raum im Reichstagskeller trafen, sah die FAZ das Gremium „an
den Rand der Lächerlichkeit geraten“. Heute steht es eher noch schlechter
um dessen Arbeit – obwohl die Enthüllungen zur NSA-Affäre demonstrieren,
wie bedeutend eine seriöse Kontrolle der Geheimdienste wäre.
Sogar BND-Präsident Gerhard Schindler forderte in der Zeit gerade eine
„verstärkte parlamentarische Kontrolle“ – er hoffe auf mehr Transparenz�…
und eine „breitere Vertrauensbasis“. Der Chef des Bundesnachrichtendienstes
wünscht, bitte ein bisschen mehr kontrolliert zu werden, sonst mache sich
das imagemäßig für seine Behörde schlecht? Viel schlimmer kann es wohl
nicht mehr kommen.
Den Parlamentariern sind ihre unzulänglichen Kapazitäten natürlich bewusst.
Im Dezember 2012 berieten sie bei einer Klausur im bayerischen Pullach, wie
sich das bessern könnte. Im Prinzip sei man sich einig gewesen, den
Mitarbeiterstab des Kontrollgremiums zu vergrößern und dessen operative
Kompetenzen zu stärken, heißt es aus Unionskreisen. Daraus wurde nichts.
Obwohl auch der NSU-Untersuchungsausschuss einhellig einen Ausbau der
Geheimdienstkontrolle forderte.
## „Wachhunde ohne Gebiss“
Der frühere Richter am Bundesgerichtshof, Wolfgang Neskovic, war als
Abgeordneter in dem Geheimgremium tätig – das Kontrollniveau dort nennt er
„erbärmlich“. Wenn die Parlamentarier ernsthaft informiert sein sollten,
müssten sie an der wöchentlichen „Präsidentenrunde“ mit den
Geheimdienstchefs im Kanzleramt teilnehmen dürfen, fordert er. Außerdem
müsse die Opposition auch im Kontrollgremium endlich Minderheitenrechte
bekommen.
Sollte die Große Koalition zustande kommen, hätten Union und SPD in dem
Kontrollgremium eine Mehrheit von 9 zu 2 Stimmen. Jegliche
Kontrollmaßnahmen müssen mit Mehrheitsentscheid beschlossen werden. Eine
Regierungsfraktion, sagt Neskovic, habe aber natürlich „kein Interesse
daran, ihre eigenen Leute in die Pfanne zu hauen“.
Der Jurist fordert Sanktionsmöglichkeiten für die Abgeordneten, sonst seien
sie „Wachhunde ohne Gebiss“. Die beste Strafe wäre: Öffentlichkeit. Bisher
könne das Gremium nur Bewertungen veröffentlichen, wenn es eine
Zweidrittelmehrheit dafür gäbe. Das bemängelt auch der
Geheimdienstkontrolleur Christian Ströbele. Wenn die Behörden in geheimer
Sitzung neue Informationen über die Spähattacke auf Angela Merkels Handy
lieferten, müsse er sie der Bevölkerung vorenthalten. „Das ist völlig
albern“, sagt er. „Die Öffentlichkeit hat das Recht, auf zentrale Fragen
eine Antwort zu bekommen.“
Steffen Bockhahn, einer der „dead men walking“, spricht gar von „absurden
Nummern“: So dürfe er alle streng geheimen Unterlagen nur in der
Geheimschutzstelle im Reichstag einsehen. Auch persönliche Notizen müssten
in dem Raum bleiben. Bei der Sitzung des Kontrollgremiums seien die
Parlamentarier auf ihr Gedächtnis angewiesen – „egal ob die Akte 3 Seiten
dick war oder 3.000“.
Immerhin, in der Affäre um das Handy der Kanzlerin bereitete ihm diese
Sicherheitsauflage keine Probleme – denn Akten bekamen die Kontrolleure
nicht zu sehen: „Alles, was uns vorgelegt wurde, war der Ausschnitt mit
Merkels Handynummer aus dem Spiegel.“
3 Nov 2013
## AUTOREN
Astrid Geisler
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