| # taz.de -- Debatte Armutszuwanderung: Über alles, überschätzt | |
| > Deutschland ist schön, die Löhne sind hoch und die Sozialleistungen | |
| > unübertroffen. So stellen die Deutschen ihr Land gerne dar. Stimmt aber | |
| > nicht. | |
| Bild: Den Rücken dürfen sie krummmachen auf unseren Spargelfeldern, aber kein… | |
| Die Briten haben schon einen besonderen Humor. Dort erwogen Fremdenhasser | |
| im vergangenen Jahr, eine Art Negativkampagne gegen das eigene Land zu | |
| machen. In Rumänien und Bulgarien geschaltete Werbespots mit Sauwetter und | |
| langen Warteschlangen sollten potenzielle EU-Migranten aus Südosteuropa | |
| davon abhalten, auf die Insel zu kommen und dort möglicherweise | |
| Arbeitslosenunterstützung zu beantragen. | |
| Auch für Deutschland wäre eine solche Abschreckungskampagne denkbar: Bilder | |
| von Regen und Kälte, Abbruchhäusern in Duisburg, BettlerInnen auf den | |
| Straßen, frustrierten Südosteuropäern vor Jobcentern, die den Antrag auf | |
| Arbeitslosengeld II zum xten-Mal abschlägig bescheiden. Dazu die Demo einer | |
| rechtsextremen Partei in Köln, die vor Überfremdung warnt. Gegenschneiden | |
| könnte man das im Antiwerbespot mit Bildern von deutschen | |
| Jack-Wolfskin-Wanderern in den Karpaten, von Rentnern in billigen Hotels am | |
| Schwarzen Meer: Schaut her, wie idyllisch es in eurer Heimat ist! Ihr | |
| braucht doch gar nicht herzukommen ins hässliche Deutschland. Alles eine | |
| Frage der Wahrnehmung. | |
| Lustig – aber die Selbstwahrnehmung der Deutschen ist anders. Bei uns | |
| herrscht die größenwahnsinnige Annahme, dass die Zuwanderer aus den ärmeren | |
| Ländern ganz dringend herkommen wollen, um a) hier zu unseren Löhnen zu | |
| arbeiten, die im Vergleich zum Heimatland gigantisch sind und b) Hartz IV | |
| und Kindergeld zu beantragen – für die armen Migranten wie ein Lottogewinn, | |
| für den man nicht zu arbeiten braucht. | |
| Mit ihrem Größenwahn haben die Deutschen in den vergangenen Jahren | |
| allerdings Ernüchterungen erlebt. Da war die Werbekampagne für indische | |
| Computerspezialisten, die im Jahre 2000 großzügig ins Land gelassen werden | |
| sollten, um den Mangel an IT-Fachkräften zu beheben. Nette Idee, nur kam | |
| fast keiner, weil die gut ausgebildeten Inder halt lieber nach | |
| Großbritannien und in die USA gehen. Dort spricht man Englisch und muss | |
| keine holprige Sprache lernen, die international völlig nutzlos ist. Die | |
| Angst vor dem Rassismus in Deutschland hat ihr Übriges getan. | |
| ## Zweitwohnung in Deutschland? Nein danke | |
| Im Jahre 2011, als die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit für die Polen kam, | |
| rechnete man dann mit einem Ansturm aus dem Nachbarland. Doch auch der | |
| blieb aus, denn so toll sind die deutschen Löhne in der Gastronomie und im | |
| Handel auch wieder nicht, als dass sich für die Polen der massenweise Umzug | |
| mit Zweitwohnung in Deutschland und das Pauken deutscher Vokabeln lohnen | |
| würde. Die schon länger in Deutschland lebenden Polen nahmen 2011 | |
| allerdings zu Tausenden legale Anstellungen an und zahlen seitdem | |
| Sozialversicherungsbeiträge – was ja erfreulich ist. | |
| Und jetzt die Rumänen und Bulgaren. Seit Januar dieses Jahres können sie | |
| als Arbeitnehmer hier anheuern und dann im Zweifelsfall als Minijobber | |
| aufstockende Hartz-IV-Leistungen beantragen. Doch nur 7 Prozent der | |
| beschäftigten Bulgaren und Rumänen sind „Aufstocker“. Die Zahl der | |
| ArbeitnehmerInnen aus Südosteuropa insgesamt steigt, die allermeisten | |
| entrichten regulär Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Der Anteil der | |
| Hartz-IV-Bezieher unter den Rumänen und Bulgaren in Deutschland liegt zwar | |
| etwas höher als im Bevölkerungsdurchschnitt, ist aber niedriger als bei der | |
| ausländischen Bevölkerung insgesamt, sagt der Migrationsexperte Herbert | |
| Brücker vom IAB-Institut in Nürnberg. | |
| Bleibt die Sache mit dem Kindergeld – das bekommen laut EU-Rechtsprechung | |
| auch EU-BürgerInnen, wenn sie in Deutschland Saisonarbeiter und | |
| steuerpflichtig sind und der Nachwuchs in der Heimat lebt. Das dortige | |
| bescheidene Kindergeld wird dann mit der hiesigen Leistung verrechnet. Wer | |
| diese Familienleistung nun etwa polnischen Wanderarbeitern abspricht, ist | |
| doppelbödig: Migranten aus Ländern der Europäischen Union sollen uns keine | |
| Jobs wegnehmen und keine Sozialleistungen beanspruchen, als Schwarzarbeiter | |
| fürs Eigenheim, als Pflegekraft für die alte Mutter, als Spargelstecher | |
| oder Huhnentbeiner aber sind sie uns willkommen. | |
| Vielleicht ist diese deutsche Verblendung, diese stetige | |
| Selbstüberschätzung nur die Kehrseite eines Minderwertigkeitsgefühls. Weil | |
| wir ein EU-Land sind, in dem es kalt ist und regnerisch, wo die Innenstädte | |
| abends ausgestorben sind und Familienbindungen bröseln. Hier wandert doch | |
| niemand freiwillig ein! Da halten wir wenigstens das Geld zusammen. | |
| 13 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Dribbusch | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Nationalismus | |
| Hartz IV | |
| Sozialtourismus | |
| Kündigung | |
| Europäische Union | |
| Europa | |
| Hartz IV | |
| Flüchtlinge | |
| Saisonarbeitskräfte | |
| Zuwanderung | |
| Schwerpunkt Wahlen in Rumänien | |
| Arbeitslosigkeit | |
| Armutsmigration | |
| EU-Ausländer | |
| Abschiebung | |
| CSU | |
| Hartz IV | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Prekäre Arbeitsverhältnisse für Pflegekräfte: Infektionsrisiko inklusive | |
| Eine polnische Altenpflegerin aus Buchholz wurde ansteckenden Keimen | |
| ausgesetzt und dann ohne Untersuchung rausgeworfen. | |
| Migration in Europa: Auf den Spuren der Generation E | |
| Tausende junge Leute ziehen von Südeuropa in den Norden der Europäischen | |
| Union. Sie suchen einen Job und eine bessere Zukunft. | |
| Migration in der Eurokrise: „Mehr Geld, weniger Freiheit“ | |
| Tausende junge Menschen aus Südeuropa suchen Arbeit im Norden des | |
| Kontinents. Wie geht es ihnen dort? Eine Umfrage. | |
| Gesetz gegen „Armutszuwanderung“: Ausweisung und Einreisesperren | |
| Laut „FAZ“ plant die Bundesregierung härtere Strafen für EU-Bürger, denen | |
| Sozialmissbrauch nachgewiesen wurde. Wer nach 6 Monaten keinen Job findet, | |
| soll wieder gehen. | |
| Europa und Migration: Jenseits der Staatsbürgerschaft | |
| Das Versprechen der Freizügigkeit ist Europas größte Eigenwerbung. Damit | |
| Migranten auch etwas davon haben, verschieben sie selbst die Grenzen. | |
| Das letzte Mal günstiger Spargel?: Für eine Handvoll Euro | |
| Erntehelfer aus Osteuropa machen es möglich, dass Spargel sechs bis acht | |
| Euro pro Kilo kostet. Was passiert, wenn nächstes Jahr der Mindestlohn | |
| kommt? | |
| Höchster Stand seit 20 Jahren: So viel Zuwanderung wie lange nicht | |
| Mehr als 1,2 Millionen Menschen sind im vergangenen Jahr nach Deutschland | |
| gezogen. Viele von ihnen kamen aus den Krisenländern Spanien und Italien. | |
| Kommentar EuGH zu Hartz IV: Sozialschmarotzer raus | |
| Zugereisten EU-Ausländern soll zukünftig Hartz IV vorenthalten werden. Die | |
| Stimmung gegen Ausländer auf Ämtern wird nicht gerade freundlicher werden. | |
| EU-Migration nach Deutschland: Aufenthalt auf Abruf | |
| Kurz vor der Europawahl will die Bundesregierung die EU-Freizügigkeit | |
| beschränken. Im Visier stehen dauerarbeitslose Einwanderer. | |
| Gesetze gegen Armutszuwanderung: Wer keinen Job findet, soll gehen | |
| Die Bundesregierung will Einwanderung von EU-Bürgern ins Sozialsysten | |
| verhindern – mit Aufenthaltsbefristungen und Wiedereinreisesperren für | |
| Betrüger. | |
| Ausweisung von EU-Ausländern erleichtert: Schlechte Karten für Straffällige | |
| Je länger EU-Bürger sich legal in einem anderen EU-Staat aufhalten, desto | |
| schwieriger die Ausweisung. Doch wer ins Gefängnis muss, kann abgeschoben | |
| werden. | |
| Einreise nach Deutschland: Zu Unrecht ferngehalten | |
| Rund 400.000 Ausländer könnten rechtswidrig mit einer Einreisesperre belegt | |
| sein. Die Bundesregierung will das Aufenthaltsgesetz nachbessern. | |
| CSU zu Zuwanderung: Nein, nein, kein Rechtspopulismus | |
| „Wer betrügt, der fliegt.“ So steht es nun tatsächlich in einem von allen | |
| CSU-Abgeordneten abgesegneten Papier. Kritik weist die Landesgruppenchefin | |
| zurück. | |
| EU-Freizügigkeitsabkommen: Kein Grund zur Angst vor den Armen | |
| Die CSU warnte jüngst vor Armutsmigration aus Osteuropa. Doch Bulgaren und | |
| Rumänen, die in Deutschland ohne Job sind, erhalten gar keine Leistungen. |