# taz.de -- Das letzte Mal günstiger Spargel?: Für eine Handvoll Euro | |
> Erntehelfer aus Osteuropa machen es möglich, dass Spargel sechs bis acht | |
> Euro pro Kilo kostet. Was passiert, wenn nächstes Jahr der Mindestlohn | |
> kommt? | |
Bild: Allein bei der Spargelernte in Niedersachsen sind rund 15.000 Saisonarbei… | |
DEINSTE/HAMBURG taz | Doina Cornea bindet die Enden eines mit kleinen | |
Fischen bedruckten Tuchs unter ihrem Zopf zusammen, zieht an der Stirn eine | |
Strähne heraus, schlüpft in die rosafarbenen Latschen und macht sich auf | |
den Weg zu den Feldern. Seit Anfang Mai, als sie aus einem Kleinbus stieg, | |
der sie aus einem rumänischen Dorf im Kreis Calarasi herbrachte, macht sie | |
das jeden Tag. Während ihre polnischen Kolleginnen im Hofladen Früchte auf | |
Kuchen legen, Spargel durch die Schälmaschine jagen und während | |
Cafébesucher in der Sonne Cappuccino trinken, steht sie auf dem Feld und | |
pflückt Erdbeeren. | |
Doina Cornea ist 42 Jahre alt. Wenn sie von „dicken Erdbeeren“ spricht, | |
bekommen ihre Augen etwas Kindliches. Obwohl sie hier, in Deinste, einem | |
kleinen rund 1.000 Einwohner zählenden Dorf im Landkreis Stade, jetzt schon | |
die vierte Saison als Erntehelferin arbeitet, schmecken sie ihr immer noch. | |
In Rumänien ist Cornea Hausfrau, hat zwei Kinder. | |
Viele aus Calarasi arbeiten auf deutschen Feldern, irgendwann fragte auch | |
sie, ob sie noch jemanden suchen. So landete sie in Deinste, weil es in | |
Rumänien wenig Arbeit gibt. Außerdem sind die Löhne viel zu niedrig, um | |
genügend Geld für die Familie zu verdienen. Ihren Mann und ihre beiden | |
Kinder, die Tochter ist zehn, der Sohn ist 19, hat sie zurückgelassen. | |
Bleibt das Wetter gut, könnte die Erdbeersaison noch bis in den August | |
hinein laufen. | |
## Rumänen pflücken Erdbeeren | |
Insgesamt arbeiten 350 Saisonarbeitern für den Spargelhof Werner, ein | |
Familienbetrieb, der, so steht es auf der Internetseite, sich für seine | |
Mitarbeiter verantwortlich fühlt. Die Polen stechen den Spargel, die | |
Rumänen pflücken das Beerenobst. | |
Allein bei der Spargelernte in Niedersachsen sind nach Angaben der dortigen | |
Vereinigung der Spargelbauern rund 15.000 Saisonarbeiter im Einsatz, vor | |
allem aus Polen und Rumänien. Sie machen es möglich, dass Bauern wie Werner | |
ihren Spargel für sechs bis acht Euro pro Kilo und eine Schale Erdbeeren | |
für drei Euro verkaufen. | |
Wie viel Stundenlohn dafür bei den Erntehelfern ankommt, lässt sich schwer | |
ausrechnen – für deutsche Arbeitskräfte ist es jedenfalls zu wenig: Am | |
Anfang der Saison zahlt der Betrieb pro Stunde, später in der | |
Haupterntezeit nach Akkord, sagt Spargelbauer Christoph Werner. Im | |
vergangenen Jahr fuhr Cornea mit 3.000 Euro brutto wieder nach Hause, drei | |
Monate hatte sie dafür gearbeitet. Von dem Geld kann sie, wenn sie sparsam | |
ist, das Jahr über leben – bis zur nächsten Saison. | |
Für ihre Arbeit steht sie früh morgens auf, arbeitet vier bis fünf Stunden, | |
bis die Erdbeeren in der Mittagshitze zu weich werden, um sie zu pflücken, | |
dann legt sie eine Pause ein. Nachmittags, wenn es wieder kühler wird, | |
arbeitet sie noch mal vier Stunden auf dem Feld. Bei den Spargelstechern | |
liegt die Kernarbeitszeit meist zwischen 7 und 18 Uhr. | |
Wenn sie genügend Erdbeeren für den Tag geerntet hat, geht Cornea duschen, | |
macht sauber, ruft bei ihrer Familie an, damit die sich keine Sorgen | |
machen. Kochen braucht sie nicht – auf dem Hof gibt es für die | |
Saisonarbeiter drei Mahlzeiten in einer schlichten Kantine. | |
## Zu dritt in einem Container | |
Vor dem Bürogebäude des Spargelhofs steht Doina Corneas Vorarbeiter, | |
Nicolai Solovastru. Er ist seit acht Jahren für die rumänischen | |
Saisonarbeiter auf dem Hof zuständig. Warum kommen sie hier her, wenn die | |
Löhne in anderen Ländern höher sind? Andere hätten davon erzählt, dass man | |
in England mehr Geld bekäme, sagt Solovastru. „Wir haben es aber nicht | |
probiert.“ Solovastru arbeitet inzwischen das ganze Jahr auf dem | |
Spargelhof. Vor vier Wochen hat er sich im Ort sogar ein eigenes Haus | |
gekauft. | |
Cornea dagegen schläft mit zwei anderen Arbeitern in einem Container. In | |
der Scheune neben dem Bürogebäude stehen sie aneinandergereiht und | |
übereinandergestapelt. Irgendwo tockt ein Tischtennisball hin und her, es | |
klappert Geschirr. An einer Holzkonstruktion, über die man die obere | |
Containerreihe erreicht, hängt Wäsche an einer Leine, sandige Gummistiefel | |
und Latschen liegen auf einem Haufen. | |
In der Scheune ist auch der Aufenthalts- und Essraum untergebracht, über | |
der Tür hängen eine rumänische und eine polnische Flagge. Die Leute seien | |
zwar hier, um Geld zu verdienen, nicht um Urlaub zu machen, sagt Christoph | |
Werner, dennoch bemühe er sich, die Unterbringung möglichst angenehm zu | |
machen. „Wir haben ja schließlich auch nichts davon, wenn wir jedes Jahr | |
von Neuem wieder Leute einarbeiten müssen.“ | |
Doch wie viele Leute im nächsten Jahr kommen, ist ungewiss: Dann nämlich | |
soll ein gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde gelten. | |
Spargelbauer Werner rechnet vor, dass sein Spargel dann pro Kilo rund zwei | |
Euro mehr kosten wird. Ob die Kunden das zu zahlen bereit sind? | |
## Die Sorge der Mindestlohngegner | |
Von der Bundesregierung ist Werner enttäuscht. Eigentlich hatte die doch im | |
Koalitionsvertrag eine Ausnahmeregelung für die Saisonarbeiter versprochen. | |
Doch nun will Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) von Ausnahmen nichts | |
mehr wissen. | |
Die Bauernlobby befürchtet, dass dies die Spargel- und Beerenpreise in die | |
Höhe treiben und die lokalen Betriebe ruinieren könnte – eine Klage, in die | |
Jan-Uwe Klee, Geschäftsführer von Demeter im Norden, nicht einstimmen will: | |
„Es ist richtig, Mindestlohn einzuführen“, sagt er. Zwar ist die Entlohnung | |
bei den Demeter-Betrieben kein Bestandteil der Zertifizierung, dennoch | |
dürften die Löhne dort bereits jetzt am ehesten an den Mindestlohn | |
heranreichen. Klee glaubt jedenfalls nicht, dass die Preise für | |
Demeter-Produkte durch den Mindestlohn steigen werden. | |
Auch Doina Cornea glaubt, dass die Ernte in Deutschland für sie weitergeht | |
und sie in der nächsten Saison wieder zum Hof Werner fahren wird. Sie will | |
ihren Mann überreden, nächstes Jahr mitzukommen. | |
Unseren ganzen Saisonarbeiter-Schwerpunkt lesen Sie in der taz.am | |
Wochenende oder [1][hier] | |
23 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] /e-Paper/!p4350/ | |
## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
## TAGS | |
Saisonarbeitskräfte | |
Spargel | |
Erdbeeren | |
Mindestlohn | |
Migration | |
Mindestlohn | |
Schwerpunkt Rassismus | |
Lobbyarbeit | |
Andrea Nahles | |
Mindestlohn | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Erntehelfer in Apulien: Die Sklaven der Tomaten | |
Viele Migranten schuften im Sommer auf den Obst- und Gemüseplantagen in | |
Süditalien. Ihr Stundenlohn beträgt oft nur 2,50 Euro. | |
Mindestlohn für Praktikum: Generation Kurzzeitpflege | |
PraktikantInnen könnten es beim Jobeinstieg mit dem Mindestlohn schwer | |
haben. Wer länger als sechs Wochen hospitiert, muss bald mehr verdienen. | |
Debatte Armutszuwanderung: Über alles, überschätzt | |
Deutschland ist schön, die Löhne sind hoch und die Sozialleistungen | |
unübertroffen. So stellen die Deutschen ihr Land gerne dar. Stimmt aber | |
nicht. | |
Lobbyist der Woche: Hohe Löhne, Spargel futsch | |
Er warnt vor Mindestlöhnen: Bernhard Krüsken, Generalsekretär des | |
Bauernverbands, sagt uns üble Preissteigerungen voraus. Was ist dran? | |
Mindestlohn kommt fast ohne Ausnahme: Kein Flickenteppich | |
Die SPD setzt sich bei Lohnuntergrenze weitgehend durch. Ausgenommen sind | |
nur sehr wenige Gruppen, darunter Jugendliche unter 18 Jahren. | |
Ausnahmen vom Mindestlohn: Weniger Geld für zwei Millionen | |
Die Union fordert Ausnahmen vom Mindestlohn. Die würden nach Berechnungen | |
der Hans-Böckler-Stiftung zwei Millionen Menschen treffen. |