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# taz.de -- Migration in der Eurokrise: „Mehr Geld, weniger Freiheit“
> Tausende junge Menschen aus Südeuropa suchen Arbeit im Norden des
> Kontinents. Wie geht es ihnen dort? Eine Umfrage.
Bild: Demonstration gegen Jugendarbeitslosigkeit in Turin, Italien.
Mehr als eine halbe Millionen junge Menschen haben in den vergangenen
Jahren Südeuropa in Richtung Norden verlassen. Von Portugal, Spanien,
Italien und Griechenland zogen die oft gut ausgebildeten Auswanderer in
Länder wie Großbritannien oder Deutschland, nach London oder Berlin. Die
Wanderungsbewegungen innerhalb Europas sind schwierig zu fassen.
Das Crowdsourcing-Projekt „Generation E“ des gemeinnützigen Recherchebüros
CORRECT!V sammelt diese Süd-Nord-Geschichten nun [1][in einem
Online-Fragebogen]. Wir zeigen die Wanderungs-Karte, die sich aus den
ersten Befragungsergebnissen ergibt. Und wir lassen junge Krisenmigranten
zu Wort kommen:
„In Cadiz ist es einfach unmöglich, eine gut bezahlte Arbeit zu finden.
Wenn überhaupt, dann kannst du Tische putzen. Aber als Ingenieur?“
Spanier, 32, seit 2011 in Irland
„Ich habe einfach überhaupt keine Arbeit gefunden. Mit einem Bachelor und
zwei Masterabschlüssen in Politikwissenschaft und Soziologie bekam ich
nicht einmal einen Halbtagsjob in einem Laden. Deshalb habe ich
beschlossen, mich auf ein Abenteuer einzulassen.“
Portugiese, 27, seit 2012 in Frankreich
„Ich arbeite im gleichen Bereich wie in Lissabon (Kommunikation), aber mit
dem Vorteil, dass ich im Job viel weniger Stress habe und fünfmal so viel
verdiene. Ich werde wohl niemals nach Portugal zurückkehren.“
Portugiese, 27, seit 2013 in der Schweiz
„Meine Freundin hat in einem Monat drei Jobangebote bekommen und konnte
sich das beste heraussuchen. Da ich nicht so fließend Englisch gesprochen
habe, brauchte ich zwei Monate, um einen Job als Softwareentwickler zu
finden. In weniger als sechs Monaten verdoppelte sich mein Gehalt und wir
begannen, über einen Hauskauf nachzudenken.“
Italiener, 29, seit 2013 in Großbritannien
„In den fünf Jahren, in denen ich nun hier lebe, ist die Zahl der hier
lebenden Spanier enorm angestiegen. Es vergeht kaum ein Tag, an dem du das
Haus verlässt, und keinen triffst, der Spanisch spricht. Aber viele, die
hierher kommen, haben nur ihre Rückkehr im Sinn. Es ist eine sehr traurige
Situation.“
Spanier, 29, seit 2009 in den Niederlanden
„Ich habe Portugal verlassen, weil das Leben dort einfach vergiftet war.
Der Sparkus hat das Schlimmste der Menschheit zu Tage gebracht, im
täglichen Leben, zwischen Freunden, in der Politik und auf der Arbeit.
Überall. Als Mitdreißigerin habe ich alles verloren, was ich in meinen
Zwanzigern erreicht habe: Wohnung, Auto, Ersparnisse, Job, Privatleben. Da
es keine Jobs gab – nichtmal in einem Café – und ich mir nicht anders zu
helfen wusste, habe ich beschlossen, dass es Zeit war zu gehen. Ich bereue
überhaupt nichts. Außer vielleicht, dass ich nicht früher gegangen bin.
Nach mehr als einem Jahr in Berlin hat sich mein Leben komplett verändert,
meine Persönlichkeit hat sich verändert. Ich kann wieder frei atmen.“
Portugiesin, 36, seit 2013 in Deutschland
„Seitdem ich in Irland wohne, hat sich mein Leben deutlich verbessert, vor
allem in finanzieller Hinsicht. Ich verdiene genug, um all meine Rechnungen
zu bezahlen und kann sogar etwas zurücklegen. Und trotzdem habe ich Spaß
und kann das Leben genießen. Aber ich vermisse auch mein Zuhause, meine
Freunde, das Essen, das Klima und überhaupt die ganze Lebensweise in
Portugal.“
Portugiese, 32, seit 2013 in Irland
„Spanien ist ein Land ohne Zukunft. Ein Land, in dem die Rentner von morgen
dazu verurteilt sind, ohne Rente da zu stehen. Also muss man gehen. Und ich
denke nicht daran, zurückzukehren. Der Grund ist offensichtlich: Die
Arbeitslosigkeit. Hier gibt es Arbeit und Lebensqualität, auch wenn ich
noch nicht im Eigenheim wohne. Schlecht ist hier, dass fast nie die Sonne
scheint. Die Tage sind kalt, genauso kalt wie die Menschen.“
Spanier, 26, seit 2014 in Österreich
„Ich arbeitete als selbstständiger Anwalt. Die Zahl meiner Klienten ging
zurück und das Hauptproblem war, dass viele nicht bezahlten, zumindest
nicht rechtzeitig. Meine Frau – sie ist Polin – und ich haben uns
entschieden, zu gehen. Sie hat Arbeit gefunden und beendet nun ihr Studium.
Die Lage in Polen ist nicht so schlecht. Warschau ist eine sehr
internationale Stadt. Ich habe auch einen Job, aber der stellt mich nicht
zufrieden. Ich würde lieber wieder als Anwalt arbeiten, aber das ist hier
sehr kompliziert. Wegen der Sprache ist die Integration in Polen schwierig,
aber ich hoffe, dass ich eines Tages perfekt Polnisch sprechen werde.“
Spanier, 33, seit 2012 in Polen
„Nachdem ich vier Jahre lang in verschiedenen Orten und Ländern gearbeitet
habe, habe ich bemerkt, dass ich als Architekt zu Hause keine Zukunft habe.
Ich bin also nach London gezogen und habe hier einen super Job gefunden,
gut bezahlt und mit guten Karriereaussichten. Was kann man mehr wollen?“
Portugiese, 30, seit 2012 in Großbritannien
„Mein Leben hat sich dramatisch verändert. Ich habe nun keine Unterstützung
durch die Familie mehr und muss mich auch an eine andere Kultur gewöhnen.
Ich stimme dem nicht zu, dass die Länder im Norden besser sind als die im
Süden. Das habe ich gemerkt, nachdem ich nun die britische Kultur und die
hiesigen Arbeitsgewohnheiten besser kennengelernt habe.
Portugiese, 28, seit 2012 in Großbritannien
„Mehr Geld, weniger Freiheit.“
Portugiese, 24, in der Schweiz
„Das Leben nach der Emigration besteht im Grunde nur aus Arbeit. Mir fehlt
sehr das Kaffeetrinken mit Freunden.“
Portugiese, 32, seit 2012 in Großbritannien
„Meine Freundin hat ein Jobangebot bekommen und deswegen sind wir beide
umgezogen. Erst war ich arbeitslos, aber nach drei Monaten habe ich Arbeit
gefunden. Im Nachhinein betrachtet war es die beste Entscheidung, die wir
hätten treffen können. Sowohl beruflich als auch was die Lebensqualität
angeht.“
Portugiese, 29, seit 2012 in Schweden
„Nachdem ich umgezogen bin, habe ich Menschen aus aller Welt getroffen. Ich
tausche mich mit ihnen aus und lerne viele neue Dinge kennen. Gott sie dank
fühle ich mich weder als Grieche noch als Däne. Ich fühle mich als
internationale Person und das mag ich sehr.“
Grieche, 24, seit 2011 in Dänemark
„Mir gefällt die Stadt, in der ich lebe: Die Jobmöglichkeiten sind gut, das
Gesundheitswesen auch, es gibt keine Schlangen auf dem Amt, wenig
Bürokratie, viele öffentliche Verkehrsmittel. Im Gegensatz dazu wird in
Italien auch eine einfache Sache immer zu einer komplizierten, vom
Krankenhausbesuch bis zur Steuererklärung.“
Italienerin, 26, seit 2013 in der Schweiz
„Im letzten Jahr meines Wirtschaftsstudiums in Mailand bin ich für ein
Auslandssemester nach Paris gegangen. Ich bin die zweite Hälfte des Jahres
geblieben, weil ich ein Praktikum angeboten bekam, das drei Mal so gut
bezahlt wurde wie eines in Italien. Aus dem Praktikum wurde ein Job,
ebenfalls viel besser bezahlt als zu Hause. Ich wollte immer zurück, habe
etliche Bewerbungen nach Italien geschickt. Ein konkretes Angebot kam
zurück, ein Praktikum für 600 Euro. Wir sprechen hier von der sogenannte
Wirtschaftselite, die von der Mailänder Uni kommt! Ich bin nicht
zurückgegangen. So wie ich es sehe, haben sie mich aus meinem Land verjagt.
Eine Art Soft-Exil für den, der keinen Job von seinen Eltern erben durfte.“
Italiener, 30, seit 2007 in Frankreich
3 Jan 2015
## LINKS
[1] http://generatione.correctiv.org
## AUTOREN
Jacopo Ottaviani
Daniel Drepper
## TAGS
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