| # taz.de -- Prekäre Arbeitsverhältnisse für Pflegekräfte: Infektionsrisiko … | |
| > Eine polnische Altenpflegerin aus Buchholz wurde ansteckenden Keimen | |
| > ausgesetzt und dann ohne Untersuchung rausgeworfen. | |
| Bild: Kündigung statt Behandlung: Eine Pflegerin aus Buchholz wurde über eine… | |
| BUCHHOLZ taz | Zahlreiche polnische Frauen kümmern sich in Deutschland um | |
| hilfsbedürftige Senioren. Oft unter schwierigen Bedingungen, meist zu einem | |
| Hungerlohn. Die 57-jährige Gabriela R. pflegte eine ältere Frau. Dass diese | |
| einen ansteckenden Darmkeim in sich trug, wurde R. nicht mitgeteilt. Als | |
| sie auf eine Untersuchung bestand, wurde sie genötigt, ihren Arbeitsplatz | |
| zu verlassen. | |
| Gabriela R. will kämpfen. Für die Polin kommt es nicht in Frage, sich | |
| einfach so abspeisen zu lassen und auf Lohnfortzahlung zu verzichten: „Ich | |
| habe einen Vertrag bis zum 5. März und habe den Arbeitsplatz in Buchholz | |
| nicht freiwillig verlassen.“ | |
| R. ist Betreuerin und pendelt seit acht Jahren zwischen ihrem Heimatort | |
| Katowice und Norddeutschland. Sie macht den Haushalt, kocht, putzt, aber | |
| sie kümmert sich auch um die oft gebrechlichen Senioren, wechselt wenn | |
| nötig Windeln, und achtet darauf, dass Medikamente genommen werden. | |
| Nun sei sie genötigt worden, das Haus der Seniorin Maria O. in in Buchholz | |
| zu verlassen und einer Kollegin Platz zu machen. „Ich denke, weil ich | |
| nachgefragt habe und darauf bestanden habe eine ärztliche Untersuchung | |
| machen zu lassen, ob ich mich infiziert habe“, sagt sie. | |
| Am 9. Januar nahm R. die Arbeit bei Maria O. in Buchholz auf. Angefordert | |
| worden war sie über ihren Arbeitgeber, die polnischen Vermittlungsagentur | |
| Felizajob aus Slupsk bei Gdansk, die Pflegekräfte, die sogenannten | |
| Betreuerinnen, nach Deutschland vermittelt und mit einer Berliner Agentur | |
| zusammenarbeitet. | |
| R. war telefonisch angefordert worden, später erhielt sie die Job-Details | |
| schriftlich. „Darin war nicht die Rede davon, dass die Patientin infektiös | |
| war. Das habe ich erst nach und nach erfahren“, sagt R. | |
| Schwach, von Schwindelanfällen geplagt, war O. nach ihrer Hüftoperation aus | |
| dem Krankenhaus nach Hause entlassen worden. Erst am nächsten Morgen wurde | |
| Gabriela R. langsam klar, warum die alte Dame so schwach war, sie litt | |
| unter Durchfall und hatte es nicht rechtzeitig geschafft, aus dem Bett ins | |
| Bad zu kommen. | |
| Also reinigte R. das Schlafzimmer, diese Situation wiederholte sich in den | |
| nächsten Tagen mehrfach. Die Tochter der Seniorin machte für den | |
| hartnäckigen Durchfall ein Antibiotikum verantwortlich. | |
| Doch es wurde nicht besser und so bat die polnische Betreuerin um einen | |
| Toilettenstuhl und später, als O. bettlägerig wurde, um ein | |
| Krankenhausbett. Schließlich ordnete der Hausarzt an, dass ein | |
| professioneller Pflegedienst sich um die Seniorin kümmern müsse. | |
| Als der mit Schutzmasken, Schürze und Desinfektionsgeräten anrückte, | |
| realisierte R., dass ihre Patientin unter ansteckenden Darmbakterien litt. | |
| Clostridium heißt der Bakterienstamm, er kann lebensbedrohliche | |
| Durchfallerkrankungen auslösen. Das bestätigten R. auch die Mitarbeiter des | |
| beauftragten Pflegedienstes und deshalb bestand R. gegenüber ihrer | |
| Arbeitgeberin Susanne M., Tochter von O., auf eine Laboruntersuchung. „Ich | |
| wollte wissen, ob sie mich infiziert hatte.“ | |
| Das war Anfang Februar. Daraufhin verschlechterte sich das Klima zur | |
| Arbeitgeberin nachhaltig. „Mir wurde gesagt, dass ich gehen könne, wenn mir | |
| die Arbeit zu viel sei. Dann haben sie sich bei meiner Firma über mein | |
| negatives Wesen beschwert, mich schließlich aufgefordert, zu gehen, und | |
| jemand neues eingestellt“, sagt Gabriela R. | |
| Kein Einzelfall im deutschen Pflegealltag, sagt Sylwia Timm vom DGB-Projekt | |
| Faire Mobilität in Berlin. Sie hat sich auf den Pflegebereich spezialisiert | |
| und berät Frauen wie Gabriela R. bei der Durchsetzung ihrer Rechte. | |
| Zu den Agenturen, die nicht den gesetzlichen Mindestlohn zahlen, obwohl sie | |
| dazu seit dem 1. Januar 2015 verpflichtet sind, gehört auch Felizajob – | |
| R.’s Vermittlungsagentur. Die weigerte sich, ihr schriftlich den Grund für | |
| den Abbruch des Arbeitsverhältnisses, die bestehende Ansteckungsgefahr, zu | |
| bestätigten. | |
| „So muss ich nicht nur damit rechnen, nicht bezahlt zu werden, obwohl ich | |
| einen Arbeitsvertrag und Anspruch auf Lohnfortzahlung habe, sondern | |
| zusätzlich auch mit einer Vertragsstrafe“, ärgert sich Gabriele R. Am | |
| vergangenen Freitag hat ihre Arbeitgeberin Susanne M. sie in den Bus von | |
| Hamburg nach Katowice gesetzt. | |
| Für die Familie aus Buchholz ist der Fall damit erledigt, Gabriela R. hofft | |
| hingegen auf Unterstützung von Timm. Die sieht gute Chancen vor dem | |
| Arbeitsgericht, denn die Familie aus Buchholz hat mit Ewa K. bereits die | |
| nächste polnische Pflegerin eingestellt – ebenfalls ohne sie über das | |
| Infektionsrisiko zu informieren. | |
| 23 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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