# taz.de -- Mindestlohn für Pflegerinnen: Heikles Pflegemodell | |
> Der Stundenlohn von 8,50 Euro gilt auch für „entsandte“ polnische | |
> Pflegerinnen in Privathaushalten. Immer mehr arbeiten daher als | |
> Selbstständige. | |
Bild: Ein Mensch, der diesen Händen hilft, hat wohl zukünftig eher den Status… | |
BERLIN taz | Bei Renate Föry von der Vermittlungsagentur Seniocare24 im | |
pfälzischen Kandel laufen die Telefone heiß. „Es ist schwierig, den Kunden | |
zu vermitteln, dass die Preise steigen“, sagt die Agenturchefin: „Der | |
Mindestlohn verändert den ganzen Markt.“ | |
Seit Januar gilt der gesetzliche Mindeststundenlohn von 8,50 Euro auch für | |
Pflegekräfte aus Polen oder anderen EU-Ländern, die in deutschen | |
Seniorenhaushalten wohnen und arbeiten. Bisher kamen viele dieser | |
Betreuerinnen als Entsandte in die deutschen Haushalte. Dabei sind sie bei | |
einer Leiharbeitsfirma in Polen angestellt, dort sozialversichert und | |
werden über eine Vermittlungsagentur in Deutschland in die Haushalte | |
geschickt. | |
Für die Privathaushalte fielen Kosten zwischen 1.800 und 2.200 Euro an. | |
Föry erwartet jetzt Preiserhöhungen von bis zu 250 Euro im Monat. „Die | |
Preise werden um 200 bis 400 Euro im Monat steigen durch den Mindestlohn“, | |
sagt auch Mariusz Lankowski von der Agentur Pflege24Stunden im bayerischen | |
Fürth. | |
Das Konzept gerät dabei nicht nur durch die höheren Bruttostundenlöhne ins | |
Wanken. Vor allem können die steuer- und abgabenfreien „Dienstreisespesen“ | |
nicht mit dem Mindestlohn verrechnet werden. Diese Spesen machten bisher | |
bei manchen Verträgen mehr als die Hälfte des Nettoeinkommens der Frauen | |
aus, erklärt Sylwia Timm von der Beratungsstelle Faire Mobilität des | |
Deutschen Gewerkschaftsbundes in Berlin. Die Frauen erreichten dann | |
inklusive der „Dienstreisespesen“ ein Nettoeinkommen zwischen 1.000 und | |
1.200 Euro im Monat. | |
## Das Brutto erhöht sich, das Nette weniger | |
Mit dem Mindestlohn von 8,50 Euro muss den Frauen nun bei einer | |
vertraglichen 40-Stunden-Woche ein Bruttolohn von gut 1.400 Euro gezahlt | |
werden, der Arbeitgeberanteil zur polnischen Sozialversicherung kommt an | |
Kosten obendrauf. Das Bruttoeinkommen erhöht sich damit zwar, aber netto | |
bleibt den Frauen nicht so viel mehr übrig. Allerdings erwerben sie höhere | |
Ansprüche in die Rentenversicherung. Das deutsche Mindestlohngesetz | |
verhelfe vor allem dem polnischen Staat und den Sozialversicherungen zu | |
höheren Einnahmen, sagt eine Mitarbeiterin eines polnischen | |
Zeitarbeitunternehmens, die nicht namentlich zitiert werden will. | |
Offen geben die Leiharbeitsfirmen keine Auskunft, sondern verweisen an die | |
Labour Mobility Initiative (LMI) , ein Netzwerk mit Sitz in Krakau. „Die | |
polnischen Unternehmen werden sich an die Bestimmungen halten, aber es gibt | |
noch Zweifel über die Bestandteile des Entgelts“, teilt Anna Samson von der | |
LMI mit. | |
Ein umstrittener Weg, den gesetzlichen Mindestlohn zu umgehen, besteht | |
darin, die Betreuerinnen als „Selbstständige“ in die deutschen Haushalte zu | |
vermitteln. Für diese gilt kein Mindestlohn, sie müssen nur ein Gewerbe | |
angemeldet haben. „Es kommen immer mehr Damen als Selbstständige “, | |
berichtet Föry. Auch Sylwia Timm hat „einen Trend zu mehr | |
Selbstständigkeit“ festgestellt. Damit jedoch haben die Frauen noch weniger | |
soziale Absicherung. | |
## Schwarzarbeit ist billiger | |
Möglich ist auch, dass durch die neuen Bestimmungen die ohnehin schon | |
verbreitete Schwarzarbeit wieder zunimmt. Schwarz ist eine Pflegekraft über | |
private Kontakte schon für 1.000 Euro im Monat zu haben – ohne jede | |
Absicherung für die Frauen und die Pflegehaushalte. | |
13 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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