# taz.de -- Debatte Agenda 2015: Mindestlöhne durchsetzen | |
> Prognosen für Entwicklung der Wirtschaft in diesem Jahr sind schwierig. | |
> Eines aber ist sicher: Die Konjunktur muss gestärkt werden. | |
Bild: Die Risiken der Exportwirtschaft werden wegen der Weltwirtschaft hoch bew… | |
Am Anfang des Jahres haben die Konjunkturprognostiker Hochkonjunktur. Im | |
Jahr 2015 schwankt das Wirtschaftswachstum nach den jüngsten Vorhersagen in | |
einer Bandbreite zwischen 1,2 und 1,6 Prozent. Allerdings müssen sich die | |
großen Wirtschaftsforschungsinstitute sowie der gesetzlich verordnete „Rat | |
der fünf Weisen“ eingestehen, dass sie für das zu Ende gehende Jahr 2014 | |
falsch lagen. Die erwartete Wachstumsrate mit 1,9 Prozent und damit die | |
Wirtschaftsdynamik sind erneut überschätzt worden. | |
Wieder einmal bestätigte sich die auch Karl Valentin zugeschriebene Ironie: | |
„Prognosen sind schwierig, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Die | |
Not, nichts Genaues zu wissen, erzwingt die einseitige Orientierung an der | |
Vergangenheit. Diese wird dann durch die dominierende Beratungsökonomie mit | |
einer marktoptimistischen Überschätzung der Aufschwung- und Unterschätzung | |
der Abschwungdynamik fortgeschrieben. | |
Hinzukommen die wirtschaftspolitisch nicht beeinflussbaren Annahmen zu | |
strategischen Preisen: So erfolgt die Vorhersage des Wirtschaftswachstums | |
mit 1,5 Prozent durch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung unter | |
den Annahmen: Der Ölpreis bleibt mit rund 70 Dollar pro Barrel niedrig und | |
der für die Außenwirtschaft relevante Preis für einen Euro sinkt auf 1,25 | |
Dollar. Kleinste Änderungen wie ein weiter sinkender Ölpreis werfen die | |
Prognose über den Haufen. | |
Die Ursachen der immer noch viel zu schwachen Bereitschaft der Unternehmen | |
in den Kauf von Maschinen und Ausrüstungen sowie in den Bau zu investieren, | |
gibt für eine taugliche Vorhersage zu 2015 wichtige Hinweise. Es sind die | |
schwächelnden Gewinnerwartungen, die den eigentlich wegen des billigen | |
Geldes zu erwartenden Investitionsboom verhindern. Zentrale Ursache sind | |
die pessimistische Bewertung der Nachfrage zur Auslastung der neu | |
geschaffenen Produktionskapazitäten: Die Binnennachfrage gilt als zu | |
schwach. | |
## Allgemeine Vertrauenskrise | |
Die Risiken der Exportwirtschaft werden wegen der Weltwirtschaft und | |
speziell in wichtigen Absatzländern wie China und den Euroländern hoch | |
bewertet. Da bringt auch der in diesem Jahr Euro den Exporteuren kaum | |
Trost. Geostrategische Änderungen vor allem der Boykott gegenüber Russland | |
im Ukrainekonflikt hemmen nicht nur die direkt betroffenen Unternehmen. | |
Sie verstärken die allgemeine Vertrauenskrise in die wirtschaftlichen | |
Rahmenbedingungen. Dabei wird auch 2015 die Europäische Zentralbank mit | |
ihrer Politik des billigen Geldes den Banken die Kreditfinanzierung der | |
Unternehmenswirtschaft schmackhaft machen. | |
Allerdings sind Erfolge von der sich am Rande der Verzweiflung bewegenden | |
Geldpolitik allein nicht zu erwarten. Vielmehr tobt sich die überschüssige | |
Liquidität auf den Finanzmärkten aus. Gewiss ist, dass sich die Flucht auf | |
die Aktienmärkte fortsetzen wird. Da die dadurch spekulativ aufgeheizten | |
Kurse wenig mit der realen Wertschöpfung der Unternehmen auf Aktienbasis zu | |
tun haben, droht eine Blase, die am Ende platzen muss. | |
## Investitionslücke | |
Daher hat die wirtschaftspolitische Agenda 2015 dem Ziel zu dienen, die | |
seit Jahren in Deutschland aufgestaute Investitionslücke abzubauen. Während | |
1999 noch insgesamt 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts | |
gesamtwirtschaftlich in Ausrüstung und Bauten investiert wurden, sind es | |
heute nur noch knapp 17. Die über die Jahre kumulierten Rückstände bei den | |
Gesamtinvestitionen belaufen sich nach Angaben des Deutschen Instituts für | |
Wirtschaftsforschung auf 40 Prozent der heutigen gesamtwirtschaftlichen | |
Produktion. | |
Zu dieser Investitionslücke trägt auch der öffentliche Sektor bei. Seit | |
1999 ist das Nettovermögen des Staats von 20 Prozent auf 0,5 Prozent des | |
Bruttoinlandsprodukts gesunken. Die öffentliche Investitionsquote ist von | |
4,7 Prozent in 1970 vor allem seit der einsetzenden öffentlichen | |
Einsparpolitik im Jahr 2006 und 2007 auf den Tiefststand mit 1,5 Prozent | |
zusammengeschrumpft. | |
Auf der Agenda 2015 stehen auch Maßnahmen zum Ausbau der wettbewerbsfähigen | |
Produktionskapazitäten für qualitatives Wachstum durch die Stärkung der | |
gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die eine Säule ist die Konsumnachfrage | |
der privaten Haushalte. Hier ist eine tarifliche Lohnpolitik, die zumindest | |
den realen Verteilungsspielraum ausschöpft, erforderlich. Auch konsequent | |
durchgesetzte Mindestlöhne gegen Beschäftigungsarmut stärken die | |
Binnennachfrage. | |
## Expansive Finanzpolitik | |
Die andere Säule steht für die Stärkung der Binnenwirtschaft durch eine | |
expansive Finanzpolitik vor allem zum Abbau des dramatischen Staus | |
öffentlicher Infrastrukturausgaben (allein bei den Kommunen in den letzten | |
Jahren auf knapp 50 Mrd. Euro gestiegen). Der Substanzverlust des | |
öffentlichen Vermögens führt zu einer schweren Last künftiger Generationen. | |
Es fehlt an ausreichenden öffentlichen Investitionsausgaben in den Erhalt | |
und die Erweiterung der Infrastruktur besonders im Bereich der Bildung, des | |
Verkehrs und der Umwelt. | |
Mit einem die Schuldenbremse umgehenden Sofort-Infrastrukturfonds von | |
jährlich 10 Mrd. Euro in den kommenden 15 Jahren ließen sich wenigstens die | |
dringlichen Ersatzinvestitionen finanzieren. | |
Durch den Abbau von öffentlichen Infrastrukturdefiziten lässt sich die | |
EZB-Politik des billigen Geldes durch eine expansive Finanzpolitik wirksam | |
komplettieren. Es geht um die Rückführung überschüssiger Liquidität in die | |
Finanzierung volkswirtschaftlicher Produktion. Gegenüber dieser mutigen | |
Politik der Sanierung öffentlicher Haushalte über qualitatives | |
Wirtschaftswachstum wird die Inkompetenz einer Nullverschuldungspolitik | |
durch die Bundesregierung offensichtlich. | |
Die Idee der neuen EU-Kommission, die Politik des billigen Geldes, durch | |
die die Nachfrage steigernde Finanzierung von Projekten mit einem | |
Gesamtvolumen von 315 Mrd. Euro zu unterstützen, geht in die richtige | |
Richtung. Allerdings kann der Plan, mit 21 Mrd. Euro Startkapital und einem | |
Kreditvolumen von 60 Mrd. Euro von der Europäischen Investitionsbank 250 | |
Mrd. Euro an Privatkapital zu hebeln, nicht aufgehen. Nur durch effektiv | |
für sinnvolle Projekte ausgegebenes EU-Geld sind darüber hinausgehende | |
Wachstumsimpulse zu erwarten. | |
10 Jan 2015 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Hickel | |
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