# taz.de -- Ökonomin über Staat und Wachstum: „Apple wurde vom Staat geför… | |
> Innovationen entstehen nur durch Geld vom Staat, sagt die Ökonomin | |
> Mariana Mazzucato. Deshalb müsse er auch an Gewinnen beteiligt werden. | |
Bild: Bezahlt vom Staat, erfunden von Apple: das Smartphone. | |
taz: Frau Mazzucato, Sie stellen in Aussicht, Staaten mit schwächelndem | |
Wachstum könnten ihre Probleme leicht lösen. Dafür müsse man allerdings das | |
Verhältnis von Staat und Markt überdenken. Wieso? | |
Mariana Mazzucato: Ich habe mir wachstumsstarke Länder angesehen und | |
untersucht, wie sie das geschafft haben. Dabei zeigt sich, dass die | |
Regierungen dieser Länder aktiv Märkte geschaffen und gestaltet haben. Wie | |
die USA, die viel mehr tun als nur, wenn der Markt versagt, die damit | |
einhergehenden Probleme nachträglich zu lösen. Wir sind heute wegen des | |
Irrglaubens, ein aufgeblasener Staat sei wachstumshemmend, gar nicht mehr | |
in der Lage, über die Notwendigkeit eines strategisch denkenden Staats zu | |
sprechen. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch, Apples Erfolgsgeschichte sei nicht darauf | |
zurückzuführen, dass die Leute unbehelligt vom Staat drauflos erfinden | |
konnten? | |
Genau. Natürlich sind sie schlau, man kann sie von mir aus auch Genies | |
nennen. Aber das ist nur die eine Seite der Geschichte. Die andere ist, | |
dass alles, was das iPhone smart macht, durch öffentliche Gelder gefördert | |
wurde. Steve Jobs und seine Leute haben bloß mehrere bereits existierende | |
Technologien zusammengesetzt und ihnen ein cooles Design verpasst. Das | |
Internet, GPS, die Touchscreen, Siri, der persönliche Assistent, all das | |
gibt es nur durch öffentliche Gelder. In der herkömmlichen Erzählung über | |
die Unternehmensgeschichte wird dieser staatliche Anteil völlig | |
ausgeblendet. Und die Gewinne behalten sie schön für sich. | |
Apple zahlt doch Steuern. | |
Nein, da wird jedes erdenkliche Schlupfloch genutzt. Auf diese Weise graben | |
Apple oder Google sich selbst das Wasser ab. Diese Firmen haben zusammen | |
mit der Venture Capitalist Association (Vereinigung der Risikokapitalgeber) | |
jahrelang Lobbyarbeit für Steuersenkungen gemacht. Jetzt liegt die | |
Kapitalertragsteuer in den USA nur noch bei 15 Prozent. | |
Die Höhe ist vielleicht umstritten. Aber wer leugnet denn grundsätzlich, | |
dass es einen Lastenausgleich geben muss? Schießen Sie da nicht auf einen | |
Pappkameraden, zumal in Europa? | |
In Europa wird dem schlanken Staat sogar noch viel schlimmer das Wort | |
geredet. Deutschland sagt den schwächeren europäischen Staaten wie | |
Griechenland, Spanien oder Italien, sie müssten kürzen, kürzen, kürzen, um | |
wettbewerbsfähig zu werden. Sie verraten ihnen aber tunlichst nicht, dass | |
man dazu Geld für so etwas wie das Fraunhofer-Institut ausgeben oder sich | |
eine Investitionsbank wie die KfW zulegen muss. Das Ungleichgewicht in | |
Europa ist nicht dadurch entstanden, dass Deutschland bei der | |
Euro-Einführung getrickst hat, auch nicht durch die Agenda 2010 oder durch | |
niedrige Löhne. Deutschland hat einfach ein sehr gut funktionierendes | |
Innovationsökosystem. | |
Die Staaten sollten also mehr Geld in Forschung und Entwicklung stecken, um | |
Wachstum zu erzeugen? | |
Nein, sie müssen entlang des gesamten Innovationsprozesses aktiv sein. | |
Nicht nur bei Forschung und Entwicklung, auch im Bereich der Anwendung und | |
bei der frühen Förderung von Unternehmen. So funktioniert in Wahrheit auch | |
das Silicon Valley. Alle starren da hin, und alles, was sie sehen, ist die | |
Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Dabei hat das Silicon Valley riesige | |
Mengen an staatlichen Investitionen bezogen, in der | |
Informationstechnologie, wofür es bekannt ist, aber auch in anderen | |
Branchen wie der Biotechnologie. | |
Manche sehen Wirtschaftswachstum überhaupt mit kritischen Augen. Was sagen | |
Sie zur Degrowth-Bewegung? | |
Ich finde das ziemlich snobistisch und regressiv. Wenn man eine statische | |
Situation hat, ohne Einwanderung, ohne Bevölkerungszuwachs – gut, dann kann | |
man Degrowth machen. Wenn nicht, erzeugt man Arbeitslosigkeit. Aber einen | |
guten Punkt gibt es: Wachstum nicht um jeden Preis zu wollen. Es sollte | |
niemanden ausschließen, vernünftig sein und nachhaltig. Allerdings bedeutet | |
grünes Wachstum für mich nicht nur, Geld für Wind und Sonne auszugeben, | |
sondern auch die Art, wie wir leben, zu ändern. Dazu muss man auch die | |
IT-Revolution voll ausschöpfen. | |
Überraschenderweise sehen Sie die USA und China nicht als die größten | |
Klimakiller. Sie loben deren Einsatz für grüne Technologien. Wie das? | |
Heute versucht China, seine CO2-Produktion massiv zu reduzieren, obwohl da | |
immer noch unfassbar die Umwelt verpestet wird. Die amerikanische Regierung | |
ist allerdings jetzt, nach einem riesigen grünen Konjunkturprogramm, durch | |
die Förderung des Frackings wieder ziemlich zurückgefallen. Ich lobe | |
niemanden. Ich will nur zeigen, dass Staaten etwas bewirken können, wenn | |
sie wollen. Das ist natürlich ein Grund mehr, aufmerksam zu sein. Was, wenn | |
der Staat anfängt, wirklich blödsinnige Sachen zu finanzieren? Jedenfalls | |
können wir umweltfreundliche Technologien nicht dem privaten Sektor | |
überlassen. Dessen Investitionen sind viel zu kurzsichtig. Für große | |
Visionen braucht es den Staat. | |
Damit der Staat das finanzieren kann, schlagen Sie im Buch eine Art | |
Tantieme vor, die Unternehmen zahlen könnten. Wie sollen die verhandelt | |
werden? | |
Ich bin doch keine Juristin. Aber natürlich ist es wichtig zu fragen, wo | |
das Geld herkommen soll. Das Problem des Lastenausgleichs muss gelöst | |
werden. Das kann durch eine Art Golden Share passieren, durch Darlehen, | |
deren Rückzahlung an spätere Gewinne gebunden ist, was manche Länder | |
bereits machen, durch Tantiemen oder durch Steuererhöhungen. | |
Hört sich ähnlich an wie bei Thomas Piketty. | |
Ja, aber Piketty spricht einzig von der Vermögensteuer als Lösung. Ich | |
denke dagegen, man muss über viele verschiedene Wege nachdenken, dem Staat | |
Geld zukommen zu lassen. Es wäre schlauer, nicht nur das Risiko, sondern | |
auch den Ertrag stärker zu vergesellschaften. | |
Werden die Unternehmen nicht drohen, in andere Länder zu gehen? | |
Aber sie gehen nicht. Die Unternehmen, die man halten will, werden bleiben. | |
Allen anderen bezahlt man das Taxi und bringt sie hin. Nein, im Ernst, | |
diese hohle Drohung ist in der Tat der Grund dafür, dass Regierungen all | |
diesen Quatsch machen. | |
Und ist sie nicht real? | |
Das Biotechnologieunternehmen Pfizer zum Beispiel hat gerade ein | |
Unternehmen geschlossen hier in Kent und ist nach Boston gegangen. Aber | |
nicht wegen der Steuern, nicht, weil es dort weniger Regulierung gibt, | |
sondern wegen der 32 Milliarden, mit denen die USA Innovationen in diesem | |
Sektor fördern. Vergessen Sie die Unternehmen, die zum Beispiel bloß nach | |
billigerer Arbeitskraft Ausschau halten. | |
Die Finanzierung ist mir noch nicht klar. Müssen nicht, und zwar | |
kurzfristig, entweder die Unternehmen stärker zur Kasse gebeten oder | |
weitere Staatsschulden gemacht werden? | |
Steuererhöhungen sind ja gar nicht realistisch zurzeit. Ich sage nur, es | |
geht auch schlauer, als ständig bei staatlichen Ausgaben zu kürzen. Ich | |
sage nicht, es soll anders sein, sondern ich zeige, dass da, wo es | |
geschieht, die besseren Ergebnisse erzielt werden. | |
Vielleicht haben die anderen das Geld nicht? | |
Haben Sie je von einem Land gehört, das gesagt hätte, wir haben kein Geld, | |
um in den Irak zu gehen? Wer das Geld für Krieg braucht, findet einen Weg, | |
das zu finanzieren. | |
Sehen Sie denn gute Chancen, dass in puncto Eurokrise noch in diesem Jahr | |
der Knoten platzen könnte? | |
Dafür muss Deutschland aufhören, die schwächeren Länder zum Sparen zu | |
zwingen. Die von der EZB geplanten Anleihenkäufe sind eine riesige | |
Geldverschwendung, es sei denn, das Geld wird in die Realwirtschaft | |
geleitet und landet nicht einfach bei den Banken. Es wird keine Lösung der | |
Krise in Europa geben, wenn wir nicht das Narrativ ändern und das Geld auf | |
den Gebieten ausgeben, die wir als ausschlaggebend erachten für die | |
zukünftige Wettbewerbsfähigkeit Europas. Und ich denke, das ist eine grüne | |
Richtung. | |
Sie geißeln in Ihrem Buch halbherzige Strategien bei der Energiewende und | |
streichen zugleich heraus, wie vorbildlich es Deutschland gelungen sei, mit | |
grüner Energie Wachstum zu erzeugen … | |
… Dänemark ist auch nicht schlecht. | |
Sollten denn alle in Europa auf das gleiche Pferd setzen? | |
Die Energiewende dreht sich nicht nur um grüne Technologie, es geht auch | |
darum, wie jeder einzelne Sektor arbeitet. Neue Motoren für Autos, grüne | |
Städte, da gibt es auch für andere Länder viel zu tun. Mir ist das im | |
Einzelnen aber egal. Mein Punkt ist: Die Staaten haben eine Wahl zu | |
treffen. Das kann eine grüne, gelbe, rote oder blaue Zukunft sein. Die | |
Entscheidungen, die sie treffen, sind in hohem Maß gestaltend. So oder so | |
sollten sie sich auf massive staatliche Eingriffe einstellen. Wenn sie | |
glauben, sie können das mit ein paar Subventionen oder durch das Stellen | |
kleiner Besteuerungsstellschrauben hinbekommen, werden sie scheitern. | |
30 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Christiane Müller-Lobeck | |
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