| # taz.de -- Thomas Piketty über Arm und Reich: „Ich brauche das Geld nicht“ | |
| > Der französische Ökonom Thomas Piketty ist der neue Rockstar unter den | |
| > Wirtschaftswissenschaftlern. Er fordert mehr Kontrolle über | |
| > Privatvermögen. | |
| Bild: „Viel Vermögen ist besser als wenig Vermögen, wenn wir Probleme löse… | |
| taz: Herr Piketty, es gibt schon so viele Bücher über Arm und Reich – warum | |
| hat gerade Ihres so einen Erfolg erzielt? | |
| Thomas Piketty: Weil es zum ersten Mal so viele historische Belege zur | |
| Ungleichheit liefert. Es fasst ein langfristiges Forschungsprojekt mit | |
| Wissenschaftlern von jedem Kontinent zusammen. Wir wollen deutlich machen, | |
| dass die Geschichte des Reichtums und die Einkommensverteilung zu wichtig | |
| ist, um sie nur den Volkswirtschaftlern zu überlassen. | |
| Was ist neu an Ihren Daten? | |
| Der ganze Teil über das Verhältnis von Vermögen und Volkseinkommen. Die | |
| offiziellen Daten über Vermögen sind über die Jahrhunderte und Grenzen | |
| hinweg oft sehr begrenzt, unvollständig und nicht einfach zu vergleichen. | |
| Also gehen wir in dem Buch pragmatisch vor. Wir nehmen, was wir kriegen | |
| können und versuchen, daraus zu lernen. | |
| Sie touren als Vortragsstar durch die Welt, vor allem durch die USA. Da | |
| treffen Sie doch genau die Vermögenden, über die sie forschen – die | |
| Reichsten. | |
| Nicht wirklich. Meistens treffe ich auf Leser. Das macht viel Spaß. Oft | |
| erzählen sie mir: „Ich habe noch nie ein so dickes Buch gelesen“. | |
| Die Vermögenden laden Sie also nicht ein? | |
| Üblicherweise nehme ich Einladungen gar nicht an, bei denen es nur um die | |
| Bezahlung geht. Ich brauche das Geld nicht. Aber es ist schon interessant, | |
| wie viel Geld da ist, zum Beispiel in großen Firmen. Die gleichen Leute, | |
| die hart um jeden Euro mit ihrem Reinigungspersonal oder ihren | |
| Niedriglohnarbeitern verhandeln, bieten mir 100.000 Euro für einen | |
| einstündigen Vortrag. Wenn ich ablehne, verdoppeln sie das Angebot. Es | |
| braucht eine gewisse Zeit, bis sie verstehen, dass das „Nein“ wirklich als | |
| Nein gemeint war. Und diese Leute wollen andere Leute ökonomische Vernunft | |
| lehren? Sie kontrollieren schlicht zu viele Ressourcen. | |
| Ihr Buchtitel „Kapital“ ist Programm; Sie wollen den Kapitalismus | |
| beschreiben. Ihr zentrales Gesetz lautet: Der Gewinn aus Kapital ist immer | |
| größer als das Wachstum der Wirtschaft, auf die Formel r>g („return größer | |
| growth“) gebracht. Aber das war im alten Rom schon so. Was macht dann den | |
| modernen Kapitalismus aus? | |
| Eine Botschaft meines Buches ist, dass Kapitalismus schon weit vor der | |
| industriellen Revolution begann. Ab der industriellen Revolution war nur | |
| das Wachstum stärker. Von Christi Geburt bis zum Jahr 1700 stieg die | |
| Weltbevölkerung von etwa 50 auf 600 Millionen. Seitdem hat sie sich nochmal | |
| verzehnfacht – und parallel hat sich auch noch der Lebensstandard | |
| verzehnfacht. Was ja gut ist. Auf sehr lange Sicht sehe ich übrigens nicht, | |
| wie das Wachstum vier oder fünf Prozent im Jahr betragen soll. Dies war nur | |
| bei den speziellen Umständen der Nachkriegszeit möglich. Auf Dauer liegt | |
| das Wachstum eher bei einem Prozent. Das ist zwar ein enormer Wechsel im | |
| Vergleich zu der Zeit vor 1700, aber die Grundstruktur von Ungleichheit und | |
| von Besitz blieb erhalten. Immer war r>g. Nur ein paar seltene Umstände im | |
| 20. Jahrhundert haben dieses Verhältnis kurzfristig umgekehrt – wie die | |
| beiden Weltkriege und die schwere Weltwirtschaftskrise ab 1929. | |
| Also brauchen wir solche Großkrisen, um das Kapital zu bändigen? | |
| Man will ja hoffentlich vermeiden, dass es zu solchen Schocks kommt. | |
| Bis zum Anfang des ersten Weltkriegs war die Gesellschaft sehr ungleich, | |
| und trotzdem wuchs die Wirtschaft stark. Also kann der Kapitalismus doch | |
| auch gut mit hohen Ungleichheiten funktionieren, oder? | |
| Das denke ich nicht. Die Verhältnisse vor hundert Jahren waren nicht der | |
| Pfad zur volkswirtschaftlichen Glückseligkeit, sondern der Weg zum | |
| Nationalismus. Ungleichheit war sicher nicht der einzige Grund für den | |
| ersten Weltkrieg. Aber sie war ein Teil der Geschichte. Die Länder haben | |
| ihre internen sozialen Probleme nicht auf friedliche Weise lösen können. | |
| Nehmen Sie das Niveau an Ungleichheit 1913 in Paris: Ein Prozent besaßen 70 | |
| Prozent des Vermögens. Und zwei Drittel der Bevölkerung hatten bei ihrem | |
| Tod so wenig Besitz, dass ihre Beerdigungskosten davon nicht bezahlt werden | |
| konnten. Bei solchen Zuständen ist es immer verlockend, die Schuld auf | |
| Andere abzuschieben. Diese Risiken haben wir heute wieder. Wenn wir unsere | |
| Probleme nicht in einer offenen rationalen Art angehen, werden wir | |
| Ausländer, Brüssel, China oder Deutschland dafür verantwortlich machen. | |
| Sie schlagen eine globale Vermögenssteuer vor. Aber die bisherige Erfahrung | |
| ist: Sobald eine weltweite Koordination nötig wird, kommt eine Steuer nie. | |
| Das hat sich zum Beispiel bei der Finanztransaktionssteuer gezeigt. | |
| Es stimmt. In der EU gilt bisher Einstimmigkeit bei Steuerfragen. Damit | |
| lässt sich alles verhindern. Zudem ist es nicht demokratisch, dass ein | |
| Finanzminister seine gesamte Bevölkerung vertritt – in Deutschland also 80 | |
| Millionen Menschen. Eigentlich müsste das EU-Parlament sehr viel mehr Macht | |
| haben. Das wird nicht einfach, aber die gute Nachricht ist: Die | |
| europäischen Verträge wurden schon öfters geändert. Es ist also machbar. | |
| Und wie sehen Sie in diesem Rahmen die Verhandlungen über eine | |
| Freihandelszone mit den USA? | |
| Es wäre eine völlige Verschwendung, die halbe Wirtschaftskraft des Planeten | |
| an einem Tisch zu versammeln, nur um dann ein weiteres Freihandelsabkommen | |
| auszuhandeln. Viel nützlicher wäre es, wenn Europa sich nur auf ein | |
| Abkommen mit den USA einlässt, wenn es gleichzeitig ein bindendes Abkommen | |
| zu Steueroasen oder eine internationale Mindeststeuer auf | |
| Unternehmensgewinne enthält. Wenn nicht bei dieser Gelegenheit, wann dann? | |
| Was ist Ihr Fazit, vielleicht der wichtigste Punkt? | |
| Es muss eine demokratische und finanzielle Transparenz bei den Vermögen | |
| geben. Anders als in den USA ist es in Europa heutzutage noch nicht so sehr | |
| ein Problem, dass die Ungleichheit exorbitant zunimmt – soweit wir das aus | |
| unseren Daten erkennen können. Aber dies ist genau die Schwierigkeit: Die | |
| Daten sind so lückenhaft, dass es oft nicht möglich ist festzustellen, über | |
| das Vermögen vernünftige Aussagen machen. | |
| In Deutschland wird das Vermögen des reichsten Prozent statistisch nicht | |
| erfasst. Man vermutet aber, dass dieses oberste Hundertstel rund ein | |
| Drittel des gesamten Volksvermögens besitzt. Wie können Sie überhaupt noch | |
| Schlüsse ziehen? | |
| Das hat Tücken, richtig. Ich vertraue der Quantifizierung des Reichtums für | |
| das Jahr 1913 stärker als der von 2013. Das Nationaleinkommen wird relativ | |
| gut erfasst. Aber die Verteilung des Einkommens bis in die obersten | |
| Schichten ist eine andere Frage. Einen gewissen Hinweis gibt das | |
| Milliardärs-Ranking von Forbes: Deren Vermögen hat jährlich real sechs bis | |
| sieben Prozent zugenommen. | |
| Das klingt nicht sehr gerecht. | |
| Wir dürfen nicht vergessen: Viel Vermögen ist besser als wenig Vermögen, | |
| wenn wir Probleme lösen wollen. Das ist die positive Seite. Wir reden in | |
| Europa immer über unsere Schulden. Aber wir haben unterm Strich gar keine, | |
| wir vererben unseren Kindern netto mehr Vermögen denn je. Wie gesagt: Das | |
| einzige Problem ist, dass wir nicht wissen, wem was gehört, welche Firmen, | |
| welche Immobilien. Schon wieder ein fruchtbarer Grund, auf dem sich | |
| Populismus bilden kann. | |
| Viele Reiche argumentieren gegen eine Vermögenssteuer nach dem Motto, sie | |
| würde wenig bringen – und viel Verwaltung kosten. | |
| Dabei wird aber vergessen, dass eine Vermögenssteuer wertvolle Daten über | |
| die Besitzverteilung liefern würde. Und diese Daten sind wichtig für die | |
| demokratische Debatte. Als 1902 die erste progressive Erbschaftssteuer in | |
| Frankreich eingeführt wurde, war die bedeutendste Folge, dass man plötzlich | |
| statistische Aussagen treffen konnte. Der Spitzensteuersatz betrug nur zwei | |
| Prozent. Aber die Daten zeigten, dass wir überhaupt keine gleiche | |
| Gesellschaft waren. Die Konzentration des Reichtums war exakt so hoch wie | |
| in Großbritannien – trotz der französischen Revolution. Dieses neue Wissen | |
| hat dann die politische Debatte erst möglich gemacht. | |
| In Deutschland wurde schon eine Vermögenssteuer von Null Prozent | |
| vorgeschlagen, nur um die Daten zu kriegen. | |
| 0,1 Prozent wären besser (lacht). Die G 20-Staaten sprechen gerade darüber, | |
| grenzüberschreitenden Besitz zu registrieren. Dafür brauchen Sie meiner | |
| Meinung nach eine Steuer – und eine Erfassung der Bankbewegungen zu | |
| Steueroasen. Diese Daten wären auch bei einer Finanzkrise sehr nützlich. | |
| Denn wenn Sie marode Banken haben und Sie wissen nicht, wer die Gläubiger | |
| sind, dann ist eine effiziente und akzeptable Verteilung der Lasten sehr | |
| schwierig. | |
| Womit wird sich Ihr nächstes Buch beschäftigen? | |
| Wir arbeiten jetzt verstärkt an der Vermögensballung in Schwellenländern. | |
| Wir wollen unsere „World Top Income Database“ um diese Daten ergänzen. In | |
| China zum Beispiel ist die Ungleichheit neuerdings ein großes | |
| Forschungsthema. | |
| 25 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Reiner Metzger | |
| Ulrike Herrmann | |
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