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# taz.de -- Kommentar Ende der Nationalstaaten: Für eine wahre Union
> Nur ein wirklich demokratisches, konsequent nachnationales Europa hat
> Zukunft. Euroland könnte so zu einem Magneten werden.
Bild: Der Euro wird ohne Überwindung nationalstaatlicher Strukturen nicht zu h…
Europa ist in einem unproduktiven Widerspruch gefangen: Das derzeitige
System der EU, die institutionalisierte Blockade europäischer Politik durch
die stete Rücksicht auf die Fiktion nationaler Interessen, kann nicht die
Lösungen hervorbringen, die der Euro zum Überleben braucht. Aber das System
ist auch nicht in der Lage, sich zu reformieren. Wo der Weg zu politischen
Lösungen versperrt ist, regiert die Technostruktur, wächst der Unmut der
Bürger und zeigen die Umfragen, dass die Wähler in Scharen zu den
populistischen Parteien überlaufen.
Der Euro als erste transnationale Währung der Moderne war eine kühne
Entscheidung. Der Euro garantiert den Wohlstand Europas und auch Europas
Souveränität im globalen Kontext. Doch ohne die Überwindung der
nationalstaatlichen Strukturen innerhalb der Eurozone wird der Euro nicht
zu halten sein. Denn der Euro ist eine transnationale Währung ohne
transnationale Demokratie.
Diese nachnationale Demokratie für die Eurozone zu gestalten ist die
Aufgabe der nächsten Dekaden, wobei vor allem der Begriff der Solidarität
nicht mehr an den veralteten Begriffen von Nationalstaatlichkeit und
nationaler Souveränität gekoppelt sein kann. Es geht um die Erfindung einer
europäischen DemoIkratie mit großem I. Es geht um die Organisation einer
europäischen Zivilgesellschaft. Es geht um die Dehomogenisierung von
nationalen Diskursen. Die deutsche Meinung gibt es ebenso wenig wie die
französische, die finnische oder die portugiesische.
Das Bestehen auf der Fiktion nationaler Interessen innerhalb einer
nachnationalen Entwicklung produziert diesen unproduktiven Widerspruch, der
zu keiner vernünftigen Synthese führen kann, bei der die
zivilgesellschaftliche Stimme und die Interessen der Bürger aber meistens
zu kurz kommen.
## Sind wir bereit?
Es geht darum zu erkennen, dass nationale Demokratie so nicht mehr, aber
europäische Demokratie so noch nicht funktionieren kann. Und damit geht es
um die einzig wichtige Frage, die allen europäischen Bürgern und nicht den
Staaten gestellt werden muss: Sind wir bereit und willens, ein wirklich
demokratisches, das heißt konsequent nachnationales Europa zu entwickeln?
Sind wir bereit, auf der Grundlage des Gleichheitsprinzips der europäischen
Unionsbürgerschaft – beginnend mit der Eurozone – ernsthaft zum Beispiel
über eine europäische Arbeitslosenversicherung zu diskutieren? Oder über
gleichwertige europäische Arbeitsbeziehungen, die den schon längst
existierenden, transnationalen Sozialzusammenhängen entsprechen? Sind wir
bereit, über gemeinsame Steuern und gleiche Bemessungsgrundlagen zu
sprechen?
Würde man Euroland als gemeinsame Volkswirtschaft verstehen, was es längst
ist, dann könnte über Transfersysteme nachgedacht werden, die einen
Finanzausgleich von einem immer bevorzugten Zentrum zu einer immer
benachteiligten Peripherie herstellen würden; oder von städtischen zu
ländlichen Regionen, die heute staatenübergreifend von Strukturproblemen
betroffen sind.
So ist auch der Begriff Export innerhalb der Eurozone irreführend, bestimmt
aber derzeit die Diskussion über die Handelsungleichgewichte. Ebenso wenig
wie Exporte zwischen Hessen und Brandenburg gemessen werden, so wenig
sollten dies zwischen Deutschland und Spanien Fall sein. Es gibt eine in 18
Staaten gültige einheitliche Währung, aber weiterhin 18 nationale
volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen und nationale Haushalte, die der
Souveränität der nationalen Parlamente unterliegen.
## Unproduktiver Widerspruch
Das ist der unproduktive Widerspruch, der nur eines produzieren kann:
Krise! Euroland ist längst Binnenland, nur eben im (sozial)politischen Raum
der nationalen Parlamente und Staatshaushalte noch nicht. In der bisherigen
Euro-Governance-Struktur müssen die einzelnen nationalen Volkswirtschaften
etwa mit Blick auf Produktivität, Export oder Wachstum gleichsam
„gegeneinander antreten“: den Staaten werden detaillierte Ziele für
Wachstum vorgegeben, die sie auf ihre Art und Weise erreichen sollen, ohne
dass aber innerhalb der Eurozone ein einheitlicher ordnungspolitischer
Rahmen gegeben ist, zum Beispiel bei der Steuer- oder Sozialpolitik. Es
kann nicht funktionieren! Die Eurozone braucht eine europäische
Ordnungspolitik!
In Anlehnung an die Vorschläge der [1][Glienicker] und [2][Eiffel-Gruppe]
sowie an das [3][Manifest von Thomas Piketty] für eine politische Union
könnte so ein zukunftsfähiges Konzept für die Eurozone aussehen, dem die
anderen EU-Staaten sukzessive beitreten könnten: Die Eurozone verfügt über
ein gemeinsames Budget von etwa drei bis sieben Prozent des
Bruttoinlandsprodukts der Eurozone. Es gibt eine europäische
Arbeitslosenversicherung. Der europäische Rettungsschirm ESM wird zu einem
europäischen Finanzministerium, dem ein Eurozonenparlament gegenübersteht,
das Initiativrecht und volles Budgetrecht erhält.
So könnte die Eurozone zu einem kräftigen Magneten für die anderen Länder
der Europäischen Union werden, die dieser Eurodemokratie mit der Zeit
beitreten können. Einer starken europäischen Legislative stünde eine
europäische Exekutive gegenüber. Das demokratische System der Eurozone
würde sich in Richtung Gewaltenteilung mit einem parlamentarischen
Zweikammersystem bewegen. In einem solchen Aufbau wäre die europäische
Demokratie endlich horizontal angelegt: europäische Legislative versus
Europäische Exekutive. Er wäre nicht mehr vertikal: Nationalstaat versus
Europa.
Sind wir bereit, den europäischen Schatz der Französischen Revolution ernst
zu nehmen, der da sagt: Liberté, Egalité, Fraternité? Sind wir bereit,
durch eine europäische Demokratie den Gleichheitsgrundsatz endlich zu
verwirklichen, also die ungleich mächtigen Nationen Europas zu überwinden,
die den Bürgern Europas ungleiche Chancen geben? Es ist höchste Zeit,
darüber nachzudenken, wohin wir die europäische Idee im 21. Jahrhundert
weiterentwickeln wollen, wenn sich das bisherige System endgültig
systemisch erschöpft haben wird!
17 May 2014
## LINKS
[1] http://www.glienickergruppe.de/
[2] http://www.groupe-eiffel.eu/unser-manifest/
[3] http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/may/02/manifesto-europe-radic…
## AUTOREN
Ulrike Guérot
Robert Menasse
## TAGS
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