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# taz.de -- Ökonom Thomas Piketty im Berliner HKW: Wer hat, dem wird gegeben
> Vor vollem Haus sprach Piketty über die Konzentration von Vermögen. Klar
> wurde: Kapitalakkumulation funktioniert für ihn automatisch.
Bild: Alle laden Piketty ein: Das Bild zeigt ihn nicht im HKW, sondern im Senat…
Szenen wie beim Ausverkauf. Eine Frau missachtet die Absperrung. „Ich bin
extra aus Basel angereist“ sagt sie empört, während an einer anderen Stelle
ein älterer Herr ungehalten einen Security-Mann zur Seite schieben will.
Der große Saal im Berliner Haus der Kulturen der Welt ist bereits voll.
1.024 Menschen passen rein. Draußen stehen etwa noch mal doppelt so viele –
junge und ältere, wenig mittelalte – der Eintritt ist kostenlos und drinnen
soll es um „Das Ende des Kapitalismus im 21. Jahrhundert“ gehen. Dafür kann
man schon mal aus Basel anreisen.
Alle wollen Thomas Piketty sehen. Unter Ökonomen ein Linker, unter Linken
ein Sozialdemokrat, wird ihn das Ende des Kapitalismus auch an diesem Abend
eher nicht interessieren. Seit seinem Megabestseller „Das Kapital im 21.
Jahrhundert“ von 2013 ist der 43-jährige Pariser Professor ein Star.
Piketty fasst in dreißig Minuten schnell und frei sprechend sein Buch
zusammen. Dann folgt eine einstündige Diskussion mit dem
Kulturwissenschaftler Joseph Vogl, der Philosophin Susan Neiman und dem
Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban. Piketty sieht sein Buch
als Versuch, die Geschichte des Kapitalismus seit der Industriellen
Revolution zu schreiben. Seine Ausgangsfrage ist, warum die
Vermögenskonzentration von 1914 jener im Ancien Régime gleicht, wo doch die
Französische Revolution nicht nur die politische Gleichheit, sondern auch
gleiche Eigentumsverhältnisse versprochen habe. Die ungleiche Verteilung
von Vermögen erklärt er aus dem Zusammenhang zwischen Kapitalrendite (r)
und nominalem Wirtschaftswachstum (g).
## Akkumulationsregime
Ist r größer als g, wachsen zwar die Vermögen, aber die Wirtschaft
stagniert. Und damit über kurz oder lang auch die Einkommen. Es kommt zu
einer Vermögenskonzentration, die Ungleichheit wächst, und das ist schlecht
für die Demokratie. Diese Formel bringt er ebenso für die
Vermögenskonzentration im Ancien Régime wie für die von 1914 und
schließlich auch für die Entwicklung seit den 80ern in Anschlag. Damit ist
jedoch noch nichts über die Entwicklung und die historischen Formationen
des Kapitalismus beziehungsweise über die je spezifischen
Akkumulationsregime gesagt.
Das wiederum liegt an Pikettys Kapitalbegriff. Kapital erklärt er in seinem
Buch „als die Gesamtheit der nicht-humanen Aktiva, die auf einem Markt
besessen und ausgetauscht werden können“. Damit erscheint die Akkumulation
von Kapital als ein Automatismus und nicht als ein soziales Verhältnis
zwischen Kapital und Arbeit. Folgerichtig kann Piketty auch den technischen
Fortschritt dahingehend überschätzen, dass er ihn in der Lage sieht,
stagnierendes Wachstum aufzufangen.
An diesem Punkt setzt auch die Kritik Joseph Vogls an, der den Titel
„Reichtumsverteilung im 21. Jahrhundert“ dem Buch angemessener findet. Im
Anschluss an Pikettys Vortrag erinnert er daran, dass die Finanzmärkte
nicht einfach über uns gekommen sind, sondern seit den 70ern in einer
politökonomischen Regulierung durchgesetzt wurden. Piketty nehme die
Ungleichheit als gegeben hin. Die Frage müsse jedoch sein, welche
elementaren Enteignungsverhältnisse Ungleichheit produzieren. Piketty sagt,
er verstehe das nicht, und versucht es später mit der Definition vom
Kapital als sozialem Konstrukt. Für ihn sind es die Kriege und
Katastrophen, in denen Vermögen vernichtet wird und neues Wachstum
entsteht.
## Akteure für Umverteilung
Hans-Jürgen Urban fragt sich dementsprechend, ob es wirklich Sinn macht,
sich von Tarifrunde zu Tarifrunde zu arbeiten, oder man die destruktive
Verteilungspolitik nicht aufhalten muss, und er fordert ein Bündnis
unterschiedlicher Akteure, die an einer Umverteilung arbeiten. Die Macht
von Pikettys Buch in den etablierten Wissenschaften könne helfen, ein
solches politisches Bündnis zu schaffen.
Susan Neiman hingegen freut sich unter dem Motto „Das Beste am Jahr 2014“
über Pikettys Buch genauso wie über die neuesten Vorstöße des Papstes. Als
Philosophin interessiert sie sich eher für die Normativität des Wertes
Gleichheit.
So richtig ins Gespräch kommt man trotz all der Bemühungen des Moderators,
des Journalisten Mathias Greffrath, an diesem Abend dann doch nicht.
Piketty erklärt noch einmal, dass zwangsläufig das Gewicht des Erbes
zunehmen wird, während die Bevölkerung schrumpft. In den Jahren 2030/40
könne das ganze Szenario dann aussehen wie zu Zeiten Honoré de Balzacs, den
er wie schon Marx als Chronist des 19. Jahrhunderts sehr schätzt.
Piketty fordert eine Transparenz der Vermögen sowie eine progressive
Vermögensteuer, steuerungsfähige demokratische Institutionen sowie ein Ende
der Staatenkonkurrenz und der egoistischen Politik gegenüber Griechenland.
Beim letzten Punkt ist der Beifall groß. Die Reihen im Auditorium haben
sich längst gelichtet.
10 Nov 2014
## AUTOREN
Tania Martini
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