# taz.de -- Nachlasswelle in Deutschland: Ist Erben ungerecht? | |
> In Deutschland wird derzeit so viel Geld an nachfolgende Generationen | |
> weitergegeben wie nie zuvor. Aber nur bestimmte Schichten profitieren. | |
Bild: Auch um Silberlöffel kann gestritten werden – wenn sie vererbt werden. | |
1972 stand Tom Koenigs mit zwei Sporttaschen voller Bargeld auf einem | |
Parkplatz in West-Berlin. Die Männer aus Vietnam kamen mit einem | |
Diplomatenauto aus dem Osten der Stadt, in der DDR gab es einen Botschafter | |
der Guerilla-Organisation Vietcong. Die Kämpfer sollten Koenigs Erbe | |
bekommen, viele hunderttausend Euro. | |
Koenigs ist heute menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im | |
Bundestag. 1972 war er 28 Jahre alt, lebte in einer Wohngemeinschaft in | |
Berlin und war Mitglied einer Gruppe mit dem Namen „Revolutionärer Kampf“, | |
in der er Leute wie Daniel Cohn-Bendit und Joschka Fischer traf. Viele der | |
linken Aktivisten kamen aus bürgerlichen Familien, erbten Geld und fragten | |
sich, wie sie damit umgehen sollten. „Ich fand, dass das Geld mir nicht | |
zustand, weil meine Vorfahren es nicht durch eigene Arbeit, sondern | |
vermutlich durch Ausbeutung angehäuft hatten“, schreibt Tom Koenigs auf | |
seiner [1][Internetseite]. | |
Er war das Vermögen seines Großvaters, eines erfolgreichen Bankiers. | |
Koenigs hatte selbst eine Ausbildung bei seinem Onkel in der Deutschen Bank | |
gemacht und ein Betriebswirtschaftsstudium angefangen, bevor ihn die | |
Schüsse auf Benno Ohnesorg politisierten. 1972 entschied er, dass das Erbe | |
seines Großvaters den Vietnamesen im Freiheitskampf gegen die US-Truppen | |
Richard Nixons helfen sollte. Er schreibt davon in seinem Lebenslauf und | |
spricht immer wieder in Interviews darüber, wenn auch ungern. [2][„Diese | |
alte Geschichte“], sagt er dann. Und: [3][„Lassen Sie uns lieber über | |
Erbschaftssteuer reden.“] | |
Koenigs spricht sich dafür aus, dass große Erbschaften höher besteuert | |
werden. Er selbst will seinen Nachkommen kein Geld hinterlassen. In seiner | |
Familie habe es drei Erbteilungen gegeben und jedes Mal Konflikte, sagte er | |
der Süddeutschen Zeitung. Er wolle nicht, dass seine Kinder sich streiten | |
und gebe deshalb aus, was er verdiene. „Für junge Menschen sind Vermögen | |
eher negativ.“ | |
## Das Vermögen der Nachkriegsgeneration | |
Es ist eine Frage, die sich heute für die Generation von Koenigs Kindern | |
noch drängender stellt als damals. Noch nie gabe es in Deutschland so viele | |
Menschen, die erben oder durch Schenkungen ein vorgezogenes Erbe bekommen. | |
Sie profitieren von dem Vermögen, dass die Nachkriegsgeneration anhäufen | |
konnte. Jährlich werden bis zu 260 Milliarden Euro an Privatvermögen in | |
Deutschland vererbt. Und diese Zahl wird noch steigen: „Es rauscht eine | |
wahre Nachlasswelle auf Deutschland zu“, sagt der Soziologie-Professor | |
Steffen Mau, Autor des Buches „Lebenschancen. Wohin driftet die | |
Mittelschicht?“. | |
In der Titelgeschichte der [4][taz.am wochenende vom 4./5. Oktober] geht | |
taz-Autorin Antje Lang-Lendorff der Frage nach, was es heute für Menschen | |
bedeutet, eine Generation der Erben zu sein. Oder eben nicht dazuzugehören. | |
„Die Risse gehen quer durchs akademische Milieu“, schreibt Lang-Lendorff. | |
„Man studiert gemeinsam, lebt in einer WG oder arbeitet im gleichen Job. | |
Und plötzlich gibt es diese Unterschiede. Der eine kann sich eine schöne | |
Wohnung kaufen und trotz steigender Mieten in der Innenstadt bleiben. Der | |
andere muss sich mit einem WG-Zimmer begnügen oder an den Stadtrand | |
ziehen.“ | |
Oftmals sind es Kinder westdeutscher Akademiker, die profitieren, während | |
viele Familien in Ostdeutschland in der Nachkriegszeit weniger | |
Möglichkeiten hatten, Vermögen aufzuhäufen. Für ihre Titelgeschichte trifft | |
Lang-Lendorff eine 31-Jährige Freiberuflerin, die durch ein vorgezogenes | |
Erbe in einer Eigentumswohnung lebt, die sie sich selbst nie hätte leisten | |
können. Und einen Ost-Berliner Dokumentarfilmer, der nichts von seinen | |
Eltern überlassen bekommen hat. Er ist glücklich damit. | |
## Wieviel soll der Staat sich nehmen? | |
„Was ist größer: die Freiheit, nichts zu besitzen, also keinerlei | |
Verpflichtungen zu haben? Oder die Freiheit der Möglichkeiten, die der | |
Besitz einem bietet?“, fragt Antje Lang-Lendorff. Und - gesellschaftlich | |
betrachtet: Ist es fair, dass die Geburt über die Verteilung dieser | |
Möglichkeiten entscheidet? | |
500.000 Euro können Ehepartner in Deutschland steuerfrei erben, bei Kindern | |
sind es 400.000 Euro. Die Überlegungen, wie man mit den Ungleichheiten, die | |
sich aus Erbschaften ergeben, staatlich umgeht, ist eine der großen | |
Gerechtigkeitsfragen der Geschichte. | |
Die Erbschaftssteuer sollte dabei ein Umverteilungsweg sein, ein Mittel den | |
Staatshaushalt zu sanieren – oder sogar ein Instrument der Familienpolitik. | |
Im Jahre sechs nach Christus führte Kaiser Augustuns eine fünfprozentige | |
Abgabe auf Erbschaften für römische Bürger ein. Er nahm Vererbungen im | |
engsten Familienkreis davon aus, um die reichen Stände – die Ritter und die | |
Aristokratie – damit zu ermutigen, wieder mehr Kinder zu bekommen. | |
Über die letzte große Erbschaftssteuerreform in Deutschland, die die Große | |
Koalition 2008 verabschiedete, wird in diesem Herbst das | |
Bundesverfassungsgericht entscheiden. Wer eine Firma mindestens fünf Jahre | |
fortführt, muss nur 15 Prozent der anfallenden Erbschaftssteuer zahlen. Ab | |
sieben Jahren bleibt man steuerfrei. Die Richter prüfen gerade, ob das eine | |
unrechtmäßige Bevorzugung ist. | |
Was meinen Sie: Ist es gerecht, Geld zu erben, für das man selbst nichts | |
getan hat? Sollte der Staat die Erbschaftssteuer endlich erhöhen, gerade in | |
Anbetracht der Nachlasswelle, die in den nächsten Jahren zu erwarten ist? | |
Oder sollte jemand, der sein Leben lang Geld gespart hat, auch selbst | |
entscheiden dürfen, was er damit tut – und damit die Freiheit haben, es | |
nach dem Tod einer Person seiner Wahl zu hinterlassen? | |
Diskutieren Sie mit! | |
Die Titelgeschichte „Das wird alles einmal dir gehören“ lesen Sie in der | |
[5][taz.am wochenende vom 27./28. September 2014]. | |
3 Oct 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tom-koenigs.de/ueber-mich-331408.html | |
[2] http://www.sueddeutsche.de/geld/reden-wir-ueber-geld-tom-koenigs-heute-gilt… | |
[3] http://www.stern.de/lifestyle/leute/was-macht-eigentlich-tom-koenigs-530711… | |
[4] /!146898/ | |
[5] /!146898/ | |
## AUTOREN | |
Luise Strothmann | |
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