# taz.de -- Urteil zur Erbschaftsteuer: „Produktives“ wird geschützt | |
> Wer ein vererbtes Unternehmen fortführt, muss keine Erbschaftsteuer | |
> zahlen. Karlsruhe fordert nur kleinere Korrekturen. | |
Bild: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: Unternehmen können steuerfrei … | |
KARLSRUHE taz | Die Steuerbefreiung für Unternehmenserben kann im | |
Wesentlichen bestehen bleiben, weil sie der Sicherung von Arbeitsplätzen | |
dient. Das entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht. Nur bei den | |
Modalitäten der Steuerbefreiung ziehen die Karlsruher Richter etwas die | |
Zügel an. | |
Seit einer Neuregelung im Jahr 2009 müssen Unternehmenserben kaum noch | |
Steuern zahlen, wenn sie das Unternehmen einige Jahre fortführen und die | |
Arbeitsplätze in dieser Zeit im Wesentlichen erhalten. Wer das Unternehmen | |
fünf Jahre fortführt, wird zu 85 Prozent von der Erbschaftsteuer befreit; | |
wer sieben Jahre auf einen Verkauf verzichtet, ist zu 100 Prozent befreit. | |
Der Bundesfinanzhof, das höchste deutsche Steuergericht, hatte das | |
Bundesverfassungsgericht im Jahr 2012 gebeten, diese Steuerbefreiungen zu | |
prüfen. Unternehmenserben würden hier „überprivilegiert“, so die | |
Überzeugung der Steuerrichter. | |
Die drohende Karlsruher Prüfung führte unter Unternehmern sofort zu großer | |
Unruhe. Aus Angst um die steuerlichen Privilegien gaben viele den Betrieb | |
schon zu Lebzeiten an ihre Nachkommen weiter – bei Schenkungen gelten die | |
gleichen Befreiungen wie bei Erbschaften. Allein im Jahr 2012 sind so | |
Befreiungsmöglichkeiten in Höhe von fast 40 Milliarden Euro genutzt worden | |
– während die Länder unter dem Strich nur 4,3 Milliarden Euro | |
Erbschaftsteuer einnahmen. | |
## Vorbeugen von „Liquiditätsengpässen“ | |
Das Bundesverfassungsgericht billigte jetzt das grundsätzliche Konzept des | |
Gesetzgebers. Das heißt: Unternehmenserben können auch künftig vollständig | |
von der Erbschaftsteuer befreit werden. Damit würden sie zwar gegenüber | |
anderen Großerben, die nur Immobilien, Aktien und Geld erben, bevorzugt. | |
Dieses Privileg sei aber gerechtfertigt, weil das Bezahlen der | |
Erbschaftsteuer bei Unternehmen zu „Liquiditätsengpässen“ führen und so | |
Arbeitsplätze gefährden könne. | |
Allerdings beanstandeten die Verfassungsrichter mehrere Regeln, die nicht | |
ausreichend der Sicherung von Arbeitsplätzen dienen. So ist es nach Ansicht | |
der Karlsruher Juristen verfassungswidrig, wenn wie bisher nur bei | |
Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten geprüft wird, ob sie nach dem | |
Erbfall die Arbeitsplätze erhalten. Damit werde derzeit bei rund 90 Prozent | |
der Unternehmens-Erbfälle faktisch auf die Sicherung der Arbeitsplätze als | |
Gegenleistung für die Steuerfreiheit verzichtet. | |
## Schlupflöcher stopfen | |
Unzulässig sind künftig auch Gestaltungsmöglichkeiten, wonach ein | |
Unternehmen so aufgesplittet wird, dass kein Erhalt der Arbeitsplätze | |
erforderlich ist – etwa, indem das gesamte Vermögen in ein | |
Tochterunternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern verschoben wird. Künftig | |
sollen nur noch Unternehmen mit „einigen wenigen“ Mitarbeitern | |
Steuerfreiheit ohne Beschäftigungsgarantie erhalten. | |
Außerdem darf künftig nur noch bei kleinen und mittelgroßen Betrieben ohne | |
Prüfung angenommen werden, dass das Bezahlen der Erbschaftsteuer zu | |
Liquiditätsproblemen führen wird. Wenn Großunternehmen wie BMW vererbt | |
werden, muss es künftig eine „Bedürfnisprüfung“ geben, ob hier wirklich | |
Steuerfreiheit erforderlich ist, um Arbeitsplätze zu sichern. Wie diese | |
Prüfung aussieht, ließen die Richter offen. Ein großes Unternehmen könnte, | |
so Karlsruhe, ab 250 Beschäftigten vorliegen. | |
## „Produktive Vermögen“ sind schützenswert | |
Schließlich beanstandeten die Richter auch, dass ein Unternehmen selbst | |
dann steuerfrei vererbt werden kann, wenn bis zu fünfzig Prozent seines | |
Vermögens aus Grundstücken, Wertpapieren und Kunstgegenständen besteht. | |
Solche Werte (das sogenannte Verwaltungsvermögen) seien „unproduktiv“. | |
Schützenswert seien nur „produktive Vermögen“, also insbesondere | |
Einrichtungen für Produktion, Dienstleistung und Handel. | |
Durch mehrstufige Konzernstrukturen kann bisher sogar bei einem | |
Gesamtanteil des unproduktiven Vermögens von weit über 50 Prozent noch | |
Steuerfreiheit verlangt werden. Die Richter legen nun eine Grenze von 15 | |
Prozent nahe. | |
Eine vom Bundesfinanzhof gerügte Gestaltungsmöglichkeit, die Cash-GmbHs, | |
hatte der Bundestag schon im Juni 2013 verboten. Dabei wurden private Güter | |
nur der Form nach zu Betriebsvermögen, um von der Steuerfreiheit zu | |
profitieren. | |
## Einstimmiges Urteil | |
Das Urteil im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts fiel einstimmig. | |
Während aber die Mehrheit der Richter um Vizepräsident Ferdinand Kirchhof | |
das Ergebnis nur auf das Grundrecht der Gleichbehandlung (der Erben) | |
stützte, wollten die drei eher linken Richter Reinhard Gaier, Johannes | |
Masing und Susanne Baer auch das Sozialstaatsprinzip als Maßstab nutzen. | |
In ihrem Sondervotum schreiben sie, der Sozialstaat fordere den „Ausgleich | |
sich sonst verfestigender Ungleichheit“. Im konkreten Fall hätte die | |
erweiterte Begründung zwar keinen Unterschied gemacht, aber künftig hätte | |
sich der Bundestag auf einen Verfassungsauftrag zur Umverteilung berufen | |
können. Das wollte die Mehrheit des Senats jedoch nicht mitmachen. | |
Der Bundestag hat nun Zeit bis zum 30. Juni 2016, eine Neuregelung zu | |
beschließen. Der Gesetzgeber könne entweder die Erbschaftsteuer für | |
Unternehmer ganz neu konzipieren – oder nur die kritisierten Punkte | |
nachbessern. Eine Rückwirkung der Neuregelung ist nur bis zum Tag des | |
Urteils möglich. Das heißt, die Steuerbefreiungen der letzten Jahre bleiben | |
trotz teilweiser Verfassungswidrigkeit auf jeden Fall bestehen. | |
17 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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