# taz.de -- Debatte Einkommensunterschiede: Die Reichen ernst nehmen | |
> Eine kleine Machtelite hat sich in Deutschland zu einer historisch | |
> einzigartigen Gehaltssteigerung verholfen. Das muss man nicht dulden. | |
Bild: Die Schere geht auseinander – besonders stark, seit es den Euro gibt. | |
Wer heutzutage über die Ungleichheit der Einkommen und Vermögen in der | |
Bundesrepublik diskutieren möchte, ist wohl beraten, mit einem drastischen | |
Beispiel zu beginnen. Die dreißig DAX-Vorstände verdienten im Jahr vor der | |
Wende 1989 jeweils 500.000 DM; sie erhielten damit zwanzigmal so viel wie | |
ihre Arbeitnehmer. | |
Zwanzig Jahre später empfingen sie jedoch 6 Millionen Euro (12 Millionen | |
DM) und damit das 200-Fache des Jahreseinkommens ihrer Arbeitnehmer. Keine | |
noch so atemberaubende Leistungsvermehrung, die ohnehin nirgendwo zu | |
erkennen ist, vermag diese extraordinäre Steigerung zu rechtfertigen. | |
Das beneidete Vorbild ist der atemberaubende amerikanische Gehältersprung | |
seit der Reagan-Ära, der häufig sogar das Dreifache der DAX-Einkommen | |
überschritten hat. Der Nobelpreisträger Joseph Stieglitz hat soeben | |
pointiert angeklagt, dass die amerikanische Einkommens- und | |
Vermögensvermehrung primär dem obersten ein Prozent in der Sozialhierarchie | |
zugute gekommen ist. Kein deutscher Ökonom hat sich bisher getraut, die | |
Verhältnisse im eigenen Land so klar zu kritisieren. | |
Dieser Größenordnung nähern sich nämlich auch inzwischen die deutschen | |
Vermögensbesitzer an. Denn das oberste Dezil, das 1977 noch 42 Prozent des | |
gesamten Geldvermögens bei sich versammelt hatte, erreichte 2010 bereits 66 | |
Prozent; das oberste ein Prozent kam auf 36 Prozent. Der neue „Armuts- und | |
Reichtumsbericht“ der Bundesregierung hat diese Explosion gegen den | |
Widerstand der FDP-Lemuren publik gemacht. | |
Inzwischen hat der Spiegel recherchiert, dass deutsche Spitzenmanager und | |
Banker außer ihrem Einkommen noch eine sogenannte Betriebsrente erhalten, | |
sobald sie aus ihren Unternehmen ausscheiden. Man denkt bei diesen biederen | |
Worten an den Zuschlag, den ein Fließbandarbeiter nach 40 Jahren im Betrieb | |
erhalten mag, bei den deutschen Topleuten handelt es sich aber bei ihrem | |
Ausscheiden um bis zu 39 Millionen Euro! | |
## Eine grotesk niedrige Erbschaftssteuer | |
Gleichzeitig hat die rasante Vermehrung der im Wirtschaftswunder von 1950 | |
bis 1973 verdienten Millionen dazu geführt, dass von 2000 bis 2010 2 | |
Billionen Euro vererbt worden sind; für die Zeitspanne von 2010 bis 2020 | |
hat das Statistische Bundesamt mit dem Institut für Altersvorsorge noch | |
einmal 3,2 Billionen Euro Erbmasse prognostiziert. Diese Summen unterliegen | |
einer grotesk niedrigen Erbschaftssteuer, die das Bundesfinanzgericht für | |
„nicht verfassungsgemäß“ erklärt hat, so dass das Bundesverfassungsgeric… | |
jetzt eine korrigierende Grundsatzentscheidung fällen soll. | |
Innerhalb weniger Jahre hat sich mithin eine drastische Verschiebung der | |
Einkommens- und Vermögensrelationen ereignet. Während in den letzten zehn | |
Jahren die Realeinkommen der Arbeitnehmer stagnierten – die Bundesrepublik | |
ist da das einzige Land in ganz Europa –, ist auf der obersten Etage der | |
großen Unternehmen, vor allem auch der Banken, eine Einkommenssteigerung | |
von einer kleinen Machtelite durchgesetzt worden. Die „katastrophale | |
Wirkung“ dieser Bereicherung haben der Bundestagspräsident Lammert, der | |
Kanzlerkandidat Steinbrück und der ehemalige Daimler-Benz-Chef Reuter mit | |
bitteren Worten kritisiert. | |
Was kann gegen diese Einkommens- und Vermögensentwicklung getan werden? | |
Politisch kann zum Beispiel die Steuerschraube am ehesten gedreht werden. | |
Die Rückkehr zu einer Einkommenssteuer von maximalen 55 Prozent, wie sie | |
unter Helmut Kohl galt, wäre trotz des Lamentos gegen Steuersteigerung | |
möglich. | |
Die Erbschaftssteuer sollte auf die französische Höhe von 50 Prozent erhöht | |
werden. Dann flössen dem Staat, der sein Ausbildungs-, sein Rechts- und | |
sein Außenhandelssystem zur Verfügung gestellt hat, aus der erweiterten | |
Erbmasse 2,6 Billionen Euro zu, die eine Reform des Bildungs- und | |
Verkehrssystems ermöglichen würde, ohne dem Bürger einen einzigen weiteren | |
Steuercent abzuverlangen. | |
## 5 Millionen Euro reichen | |
Nicht zuletzt könnte nach Schweizer Vorbild eine Einkommensbegrenzung der | |
Gehälter anvisiert werden. Das Jahreseinkommen der Spitzenmanager, das | |
inzwischen bis zu 17 Millionen Euro erreicht hat, ist seit Langem | |
umstritten. Als die „Schutzvereinigung der Wertpapierbesitzer“ unlängst | |
darauf insistierte, dass 10 Millionen Euro als Grenze des jährlichen | |
Gehalts endlich fixiert werden sollten, protestierte der Präsident dieses | |
Verbandes, der alles andere als Linksradikale versammelt, mit dem | |
energischen Einwand, dass in Deutschland für 5 Millionen Euro jede gute | |
Spitzenkraft zu gewinnen sei. | |
Gewöhnlich wird gegen derartige Vorschläge mit der Massenflucht von | |
Unternehmertalenten gedroht. Das ist aber eine hohle Drohung, die alles | |
andere als schnell verwirklicht werden kann. Und für jede derart | |
entstehende Lücke kann eine geeignete Frau oder ein Aufrücker aus der | |
zweiten Linie gewonnen werden. | |
Wenn die Beratungen im Vorfeld der Großen Koalition schon so viele Probleme | |
aufgreifen, wäre dann nicht die Zivilcourage wünschenswert, auch für die | |
Bundesrepublik eine Begrenzung der Jahreseinkommen vorzuschlagen? Und wer | |
in diesen Gremien, wie neuerdings die SPD, für plebiszitäre | |
Volksentscheidungen eintritt, könnte gewiss sein, dass eine solche | |
Begrenzung mehrheitsfähig wäre. | |
24 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Hans-Ulrich Wehler | |
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