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# taz.de -- Kommentar Welthandelsabkommen TTIP: Die Diktatur des Kapitals
> Der transatlantische Handel soll zugunsten multinationaler Konzerne
> dereguliert werden. Chlorhühner und Hormonfleisch wären dann in der EU
> legal.
Bild: Diese Hühner kommen zum Glück nicht gechlort auf dem Markt
BERLIN taz | Nur vordergründig geht es um den Abbau von Zöllen zwischen den
USA und der EU. Denn die belaufen sich in der EU auf durchschnittlich 5,2
Prozent und in den USA auf 3,5 Prozent. Im Zentrum der Verhandlungen um das
„Transatlantische Handelsabkommen und Investitionspartnerschaft“ (TTIP)
stehen vielmehr die sogenannten nichttariflichen Handelshemmnisse.
Dazu zählen politisch gewollte Regulierungen zu Produktqualität und
Produktionsbedingungen. In den USA mit Hormonen behandeltes Fleisch sowie
gechlorte Hühner sind derzeit in der EU verboten. Beim Einsatz gentechnisch
behandelter Pflanzen sieht die EU im Unterschied zu den USA eine
Mitteilungspflicht auf der Verpackung vor.
Das soll sich ändern, die US-Unternehmen sollen künftig zu ihren vorwiegend
niedrigen Standards Waren in Europa anbieten können. Aufgrund der fehlenden
Qualitätsstandards sind die US-Produkte natürlich billiger als die
europäischen – ein Verdrängungswettbewerb wird beginnen.
Am Ende werden niedrigere Preise mit höheren gesundheitlichen Risiken
bezahlt werden. Dieses Wegkonkurrieren von Qualitätsstandards wird auch die
arbeitsrechtlichen, sozialen und ökologischen Mindestregulierungen
schwächen. Aber das ist noch nicht alles.
## Prima Waffe gegen Mindestlohn
Dem geplanten transatlantischen Abkommen, sprachlich auf Sympathiegewinn
angelegt, wurde nicht nur im Titel eine transatlantische
„Investitionspartnerschaft“ hinzugefügt. Damit sollen neben den direkten
vor allem „indirekte Enteignungen“ von ausländischen Investoren im
jeweiligen Gastland verhindert werden.
Im Klartext: Unternehmen werden davor geschützt, dass sie in ihrer
unternehmerischen Hoheit eingeschränkt werden, weil sie nationale
Regelungen etwa zum Arbeitnehmerschutz einhalten müssen. Für strittige
Fälle erhalten ausländische Investoren daher das Klagerecht gegen
nationalstaatlich demokratisch beschlossene Regeln vor einem eigens dafür
geschaffenen Schiedsgericht.
Der Energiekonzern Vattenfall klagt bereits in Milliardenhöhe gegen die
Energiewende in Deutschland. Sollte das TTIP zustande kommen, sind auch
Klagen gegen das Verbot von Fracking zur ökologisch umstrittenen
Erschließung von Gas im Gestein zu erwarten.
Die Logik vom Schutz profitwirtschaftlicher Investoren ermöglicht also
prinzipiell, das Tarifvertragssystem, die Mitbestimmung, ja selbst die
Mindestlöhne als „Investitionshemmnis“ wegzuklagen. Dabei dürften
neoliberale Kräfte im Inland darauf spekulieren, die ungeliebten, jedoch
grundgesetzlich gewollten Regulierungen über diesen Umweg zu demontieren.
Bei Lichte besehen führt der Schutz des ausländischen Kapitals vor
indirekter Enteignung zu einer Enteignung der nationalstaatlichen
Demokratie. Das zeigt sich auch an der geplanten Einrichtung von
Schiedsstellen im Falle von Konflikten.
## Die Schiedsstellen dienen den Kapitalinteressen
Diese außerhalb des nationalen und internationalen Rechts stehenden
Schiedsstellen sollen mit einem Vertreter des betroffenen Konzerns, einem
Repräsentanten des Staats sowie einem neutralen Dritten gebildet werden.
Die über 500 Schiedsstellen, die seit den letzten Jahren weltweit tätig
sind, haben sich bereits verselbständigt und dienen überwiegend den
Kapitalinteressen. Unterstützt werden die Unternehmen durch eine Heerschar
von Anwaltsbüros.
Die Risiken dieser Liberalisierung liegen auf der Hand. Deshalb wird von
Unternehmerseite massiv versucht, die den Wohlstand mehrenden Effekte zu
unterstreichen: Das Abkommen garantiere ein höheres Wirtschaftswachstum und
deutlich mehr Arbeitsplätze. Doch die makroökonomischen
Untersuchungsergebnisse der durch die EU und die USA beauftragten
Forschungsinstitute belegen diese Annahme nicht.
Der US-Thinktank „Center for Economic and Policy“ rechnet dem TTIP nur
geringe Wachstums- und Beschäftigungseffekte zu. Auf den Zeitraum von 15
Jahren prognostiziert, gibt er den langfristigen Wachstumseffekt mit
zusätzlichen 0,48 Prozentpunkten in der EU und mit 0,39 Prozentpunkten in
den USA (jahresdurchschnittlich 0,028) an.
Die optimistischer ausgefallene Bertelsmann-Studie schätzt, dass in
Deutschland in den kommenden 15 Jahren 181.092 neue Jobs entstehen könnten
(pro Jahr 12.935). Laut der makroökonomischen Studie des Ifo-Instituts
hingegen dürfte sich der Gesamtzuwachs nur auf 68.590 neue Jobs (pro Jahr
1.801) belaufen.
## Einzige Gewinner sind die Konzerne
Bereits die enorme Bandbreite an Untersuchungsergebnissen zu den Wachstums-
und Jobeffekten zeigen, dass hier eine große Schätzunsicherheit besteht.
Dabei werden systematisch die Verluste an Jobs durch die Verdrängung
bisheriger Produktion nicht adäquat erfasst. Gemessen an den versprochenen
Wohlfahrtseffekten lohnt sich die transatlantische Partnerschaft nicht.
Die Verlierer und Gewinner sind eindeutig zuordenbar. Verlierer sind die
Beschäftigten, die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Umwelt und
der profitfreie öffentliche Sektor. Den Verlierern stehen einzig und allein
die multinationalen Konzerne als Gewinner gegenüber.
Die hier verfolgte einseitige Interessenpolitik gegen soziale und
ökologische Schutzrechte erklärt auch den Ausschluss von Gewerkschaften,
Verbraucher- und Umweltverbänden sowie anderen
Nichtregierungsorganisationen aus den Entscheidungszentren.
Mangelnde demokratische Legitimation, Intransparenz und machtvolle
Geheimnistuerei haben bisher den Prozess geprägt. Wie kann man sich da des
Eindrucks erwehren, das profitierende Kapital habe sich mit unterstützenden
Vertretern der Politik verschworen?
## Globalisierung ohne Rücksicht auf alle Standards
Die hochoffiziellen Beratungen werden von über 600 Vertretern der
Wirtschaftslobby zusammen mit politischen Repräsentanten vorangetrieben.
Durchgesetzt werden soll eine Globalisierung, bei der die Großinvestoren
ohne Rücksicht auf soziale und ökologische Standards dominieren.
Dagegen steht das politisch gestaltende und kontrollierte Modell der
Globalisierung: Hier soll die Harmonisierung von Arbeits-, Sozial- und
Umweltrechten in einem Regelsystem für die Weltwirtschaft durchgesetzt
werden. Dazu gehören einheitliche Mindeststandards, die von keinem Land
unterschritten werden dürfen.
Ein sofortiger Stopp dieser transatlantischen Demontage von notwendigen
Regulierungen ist wichtig, reicht jedoch nicht aus. Vielmehr sollte die
transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft das gleiche
Schicksal ereilen wie ihre Vorgängerin, die den Titel „Multilaterales
Investitionsabkommen“ (MAI) trug.
Der Versuch der OCED von 1996, mit einem Abkommen zum Schutz der
profitablen Investoren nationalstaatlich demokratisch legitimierte
Regelungen bis hin zur Mitbestimmung zu demontieren, war grandios
gescheitert.
11 Feb 2014
## AUTOREN
Rudolf Hickel
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